Holocaust-Überlebende zu Besuch im Maria-Theresia-Gymnasium

Gegen das Vergessen

Mit echtem Interesse verfolgten die Schüler des Maria-Theresia-Gymnasiums die Lebensgeschichte von Rita Gutmann. Den Holocaust erlebte sie als kleines Kind (Foto links).   Foto: ms, Privat

Mit echtem Interesse verfolgten die Schüler des Maria-Theresia-Gymnasiums die Lebensgeschichte von Rita Gutmann. Den Holocaust erlebte sie als kleines Kind (Foto links). Foto: ms, Privat

Haidhausen · Gerade eben herrschte noch spätpubertärer Frohsinn bei den Jungs mit den weiten Hosen und lässigen T-Shirts.

Sogar ein Fußball rollte durch den Raum. Doch jetzt ist schlagartig Stille eingekehrt im Musiksaal unterm Dach des Maria-Theresia-Gymnasiums am Regerplatz.

Vorne auf dem Podest steht eine zierliche Person mit hellen Haaren, um den Hals einen goldenen Davidstern. Die Gesichter der Schüler der K12 und der neunten Hochbegabten-Klasse sind gespannt auf die 63-jährige gerichtet. Rita Gutmann ist ein »Child Survivor«. So nennt man sie und ihresgleichen in Amerika, wo sie seit Ende des 2. Weltkrieges bis letztes Jahr gewohnt hat – ein Kind, das überlebt hat.

Die dynamische, sympatische Frau gehört zu den letzten Zeugen der Generation, die den Holocaust leibhaftig am eigenen Leib miterlebt hat.

1939 als zweite Tochter Berliner Juden geboren, hat sie 40 Jahre über ihre schreckliche Vergangenheit geschwiegen. Inzwischen erzählt sie ihre persönliche Familiengeschichte in Schulen.

In Amerika schon seit sieben Jahren, in Deutschland erst seit wenigen Monaten. »Hiding - Flucht!« ist das Motiv ihres Lebens: zuerst vor den Nazis und vor dem Tod, dann vor der eigenen Vergangenheit.

Ihre Eltern starben in den Gaskammern von Auschwitz. Von den elf Geschwistern der Mutter und von der restlichen Familie Gutmann haben insgesamt nur fünf überlebt. Darunter Rita und ihre ältere Schwester Susi. Die Mutter hatte die beiden schweren Herzens zurückgelassen, Ihnen aber dadurch das Leben gerettet. Eine junge, französische Widerstandskämpferin, bewahrte die beiden Mädchen und insgesamt weitere 100 Kinder vor den Nazis. »Mother Superior«, Übermutter, wird sie von Rita Gutmann genannt.

Gutmanns Stimme ist mal laut und fest, mal leise und flüsternd, am Ende tränenerstickt. Im Saal herrscht echte Betroffenheit.

Das entscheidende Fußballspiel Deutschland – Korea naht. Trotzdem werden die Schüler nicht unruhig, diskutieren rege und kontrovers – aber nicht um den Geschichtslehrer zu befriedigen! »Was bedeutet für sie Heimat?«, will zum Beispiel ein Schüler wissen. Ein anderer interessiert Gutmanns Meinung zum Konflikt zwischen Israel und Palästina.

Ein Mädchen beschwert sich dass man in den USA als Deutscher oft unvermittelt auf Hitler angesprochen wird. »Dumme Menschen gibt es überall«, mehr sagt Rita Gutmann dazu nicht. Sie erzählt ihre Geschichte auch um Dummheit, Ignoranz und Vorurteile abzubauen.

Seit September letzten Jahres lebt sie übrigens in Berlin, »wo alles angefangen hat«. ms

Artikel vom 03.07.2002
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