VdK-Präsidentin Bentele sieht Erfolge - und mahnt mehr an

VdK warnt: Die soziale Kluft in Bayern wächst

VdK-Präsidentin Verena Bentele mahnt, die soziale Kluft in Bayern nicht noch größer werden zu lassen. Foto: Susie Knoll

VdK-Präsidentin Verena Bentele mahnt, die soziale Kluft in Bayern nicht noch größer werden zu lassen. Foto: Susie Knoll

Bayern/München · Welchen Stellenwert haben Armutsbekämpfung und Altersabsicherung in der Ampelkoalition? Der Sozialverband VdK Bayern hat diese Seiten des Koalitionsvertrags ganz genau angeschaut, denn von diesen Grundsatzentscheidungen hängt für die Bürger viel ab.

VdK-Präsidentin Verena Bentele nennt es „die größte Enttäuschung“, dass der Einstieg in ein Sozialversicherungssystem für alle verpasst wurde. "Der Einstieg in die Pflegevollversicherung wurde verpasst, das Nebeneinander von privater und gesetzlicher Krankenversicherung bleibt bestehen", bedauerte sie. "Eine Rente für alle werde es also nicht geben. "Stattdessen wird am System gerüttelt, geschraubt, geschnitten."

Ihr Fazit: "Es hätte mehr drin sein können. Doch noch ist das Glas halbvoll."

Es gibt auch Erfolge

Dennoch könne der VdK einige Erfolge in der Rentenpolitik verbuchen: Es werde keine Rentenkürzungen und keine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters geben. "Eine weitere Anhebung des Rentenalters würde zu deutlichen Rentenkürzungen für Geringverdiener führen, weil viele von ihnen es schon heute nicht schaffen, gesund bis 65 oder gar 67 zu arbeiten", erklärte Bentele. Ein weitere Erfolg sei die Sicherung des Rentenniveaus bei 48 Prozent – auch wenn nach Auffassung des VdK hier eigentlich 53 Prozent notwendig wären. Ein wichtiges Versprechen aus dem Koalitionsvertrag betrifft die 1,2 Millionen Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentner, die zwischen 2001 und 2019 wegen Erkrankungen vorzeitig in Rente gehen mussten. Diese Gruppe wird bisher von den höheren Zurechnungszeiten ausgeschlossen, die bei späteren Jahrgängen zu im Durchschnitt 80 Euro höheren Zahlbeträgen führen. Laut Koalitionsvertrag will man hier nachbessern. „Wir fordern, dass dieses Versprechen eingelöst wird, denn diese Menschen erreichen Durchschnittsrenten von kaum 900 Euro und sind oft armutsgefährdet. 80 Euro mehr bedeutet für diese Menschen sehr viel“, sagte Bentele.

Es wäre mehr nötig

„Licht und Schatten“ erkennt Bentele im Koalitionsvertrag in Sachen Armutsbekämpfung. „Mit der deutlichen Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro wurde eine zentrale VdK-Forderung umgesetzt. Allerdings müsste dieser sogar bei 13 Euro liegen, damit mit einer Vollzeittätigkeit eine Rente oberhalb der Grundsicherung erwirtschaftet werden kann“, so Bentele.
Heftige Kritik übte sie an der gleichzeitigen Anhebung der Minijobgrenze auf 520 Euro: „Damit fördert die Bundesregierung die Verdrängung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. So haben wir uns eine aktive armutsbekämpfende Arbeitsmarktpolitik der neuen Bundesregierung nicht vorgestellt.“

Neuer Ansatz für Kinder

Mit der neuen Kindergrundsicherung hat eine weitere VdK-Forderung Einzug in den Koalitionsvertrag gefunden. Wurden Kinder und Jugendliche bei den Regelsätzen bisher wie kleine Erwachsene behandelt, soll ein neuer Ansatz sie künftig besser fördern - weit verstreute Einzelleistungen für sie sollen gebündelt werden. Das findet der VdK gut. „Gespannt sind wir auf die Ausgestaltung, denn Ehrlichkeit muss sein. Zur Kindergrundsicherung gehört nämlich ganz wesentlich die Umverteilung, also beispielsweise das Herunterfahren steuerlicher Vorteile für einkommensstarke Eltern. Das wird nicht allen gefallen“, prophezeite Bentele.

So sieht es im echten Leben aus

Das "Bürgergeld", das Hartz IV ablösen soll, begrüßte Bentele. Allerdings müssen die Regelsätze dringend angepasst werden, sagte sie: "Ich glaube nicht, dass sich die Regierenden jemals wirklich darüber Gedanken gemacht haben, ob man von diesem Regelsatz leben kann."

Sie verwies auf das Beispiel eines VdK-Mitglieds aus München (alleinstehend, 67 Jahre alt, gehbehindert):
"Mit Rente und Grundsicherung zusammen kommt die Frau auf etwa 1.000 Euro im Monat. 600 Euro davon gehen für die Miete drauf. Bleiben 400 Euro. Für Essen, für Strom, für den MVV, für Kleidung, für Medikamente, für eigentlich alles. Eine Hilfsorganisation hat ihr zum Glück einen Kühlschrank gespendet, als der alte kaputt gegangen ist. Solche Ausgaben kann sie sich nicht leisten. Das Handy musste sie aus Kostengründen wieder abschaffen. Ist zwar nicht so nötig wie ein Kühlschrank, sagt sie, aber damit ist wieder ein Stück Unabhängigkeit weg, wenn sie mal unterwegs ist. Unserem Mitglied hilft auch nicht, dass die Zuverdienstgrenzen für Grundsicherungsbezieher erhöht werden sollen. Für unser schwerbehindertes Mitglied klingt das fast zynisch. Denn was soll diese Frau mit ihrer Einschränkung in ihrem Alter arbeiten?"

Bayern liegt vorn - bei der Altersarmut

VdK-Landesgeschäftsführer Michael Pausder analysierte die Renten- und Altersarmutssituation in Bayern.

„Seit 2005 ist Bayern trauriger Spitzenreiter mit der höchsten Altersarmutsquote im Bundesländervergleich. Die Renten halten mit den Lebenshaltungskosten und der Inflation nicht Schritt“, sagte er.
2020 liegt die Altersarmutsquote in Bayern bei Männern bei 17,5 Prozent, bei Frauen bei 23,8 Prozent. Dazu tragen die niedrigen Renten in Bayern wesentlich bei, denn etwa zwei Drittel der Alterseinkommen werden aus der gesetzlichen Rente bestritten, in ärmeren Haushalten sind es nahezu 100 Prozent.
Durchschnittlich 1265,20 Euro beträgt eine Männerrente in Bayern, bei Frauen nur 765,84 Euro. Spitzenreiter für Frauen ist die Stadt München mit 913,37 Euro, gefolgt vom Landkreis München mit 876,21 Euro.

„Die Armutsgefährdungsschwelle für einen Einpersonenhaushalt liegt in Bayern bei 1212 Euro. Bei diesen Rentenzahlbeträgen ist klar, warum die Altersarmut in Bayern so hoch ist“, so Pausder.

Artikel vom 29.12.2021
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