Dem Schrecken einen Namen geben

München · Erinnerung lebendig halten

In LebensBilder werden 34 Portraits vorgestellt. Alle beschriebenen Personen haben im jüdischen DP-Lager Föhrenwald gelebt. Foto: VA

In LebensBilder werden 34 Portraits vorgestellt. Alle beschriebenen Personen haben im jüdischen DP-Lager Föhrenwald gelebt. Foto: VA

München · Am 9. November gedenkt die Landeshauptstadt München alljährlich ihrer jüdischen Bürgerinnen und Bürger, die in der Pogromnacht 1938 und in den darauffolgenden Jahren entrechtet, verfolgt, deportiert, in den Suizid getrieben oder ermordet wurden. In diesem Jahr stehen die 997 Männer, Frauen und Kinder im Mittelpunkt des Gedenkens, die am 20. November 1941 vom Sammellager Milbertshofen nach Kaunas in Litauen deportiert und dort ermordet wurden.

Ab 13.00 Uhr erinnert eine öffentliche Lesung der Namen und Biographien am Gedenkstein der ehemaligen Hauptsynagoge an der Herzog-Max-Straße an die Opfer der Deportation nach Kaunas. Um 19.00 Uhr findet die Gedenkstunde im Alten Rathaus am Marienplatz als Präsenzveranstaltung statt und wird gleichzeitig live online übertragen.

Es sprechen Dieter Reiter (Oberbürgermeister der Landeshauptstadt München) und Charlotte Knobloch (Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern). Prof. Dr. Kim Wünschmann (Direktorin des Instituts für die Geschichte der deutschen Juden in Hamburg) hält die Gedenkrede zum Thema »Bewegte Bilder der Zerstörung jüdischen Lebens: Vom Abbruch der Münchner Hauptsynagoge zum Novemberpogrom 1938«. Der Beitrag von Lea Lewitan und Daniel Gitbud (Mitzwe Makers e.V.) widmet sich dem Thema »2021 – jüdische Gedanken«.

Wer an der Gedenkstunde im Alten Rathaus teilnehmen will, kann dies nur nach Voranmeldung bis zum 7. November unter der E-Mail antwort-einladung@muenchen.de tun. Für die Teilnahme an der Gedenkstunde gelten die 3G-Plus-Regeln (geimpft, genesen oder mit Zertifikat eines maximal 48 Stunden vor Veranstaltungsbeginn durchgeführten PCR-Tests mit negativem Ergebnis, jeweils nach geltenden gesetzlichen Vorschriften) und Maskenpflicht. Es wird zudem ein Livestream der Gedenkstunde unter www.gedenken9nov38.de/live angeboten.

Schon einen Tag zuvor, am 8. November, um 19 Uhr beschäftigt sich die MVHS München mit dem Thema in Form eines Podiumsgesprächs unter dem Titel "Nach der Schoah - die Zukunft der Erinnerung". In der deutschen Gesellschaft, die längst eine Einwanderungsgesellschaft geworden ist, aber auch innerhalb der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland gibt es unterschiedliche Erinnerungen und Narrative.

Welche Gedenktage sind konstitutiv für jüdisches Leben in Deutschland: der 9. November oder der 9. Mai? Welche Bedeutung hat das Gedenken an den Holocaust für die nicht-jüdische Mehrheitsgesellschaft? Wie kann die Erinnerung an die NS-Verbrechen in Bezug gesetzt werden zur Geschichte und Erfahrung von Zugewanderten? Die Erinnerung an den Zivilisationsbruch des Holocaust bedarf der ständig neu geführten Auseinandersetzung.

Wie verhandeln und gestalten wir Erinnerung heute? Die Moderation des Abends übernimmt Dr. Maximilian Strnad von der Koordinierungsstelle Erinnerungszeichen, Stadtarchiv München. Eine Anmeldung zum kostenfreien Vortrag ist unter Tel. 480066239 (Kursnummer 110721) nötig. Die Podiumsdiskussion findet online statt - bitte spätestens einen Tag vor der Veranstaltung anmelden. Man erhält dann am Veranstaltungstag eine E-Mail mit dem Zugangslink zum Online-Vortrag. Der Online-Kursraum wird 15 Minuten vor Beginn der Veranstaltung geöffnet.

Erinnerung in vielfältiger Form

Die Erinnerung wach halten will auch der Verein der den "Erinnerungsort Badehaus" in Waldram-Wolfratshausen, früher Föhrenwald, ins Leben gerufen hat. Was viele nicht wissen, nach dem Zweiten Weltkrieg entstand bei Wolfratshausen das Lager Föhrenwald, das größte und am längsten bestehende Lager für jüdische DPs (Displaced Persons). Heimatlos gewordene Juden warteten hier auf ihre Ausreise unter anderem nach Israel und Canada. Manche von ihnen blieben nur für wenige Tage, andere leben dort Jahre, denn das Lager wurde erst 1957 aufgelöst bzw. der katholischen Kirche übergeben, die hier die bestehenden Räumlichkeiten für katholische Heimatvertriebene nutzte.

Viele der jüdischen Flüchtlinge waren bereits zu alt oder zu krank, um nach Israel übersiedeln zu können. Sie fanden hier ein zweitweises Zuhause. Ein im Oktober 2018 eröffnetes Museum am Kolpingplatz 1 in Wolfratshausen-Waldram (früherer Ortsteil Föhrenwald) zeigt, wie das Leben damals in Föhrenwald verlief. Bevor 1945 die Flüchtlinge hier Quartier nahmen, wurde der abgelegene Ortsteil ab 1940 als NS-Siedlung für Zwangsarbeiter genutzt, die in einer nahe gelegenen Rüstungsfabrik arbeiten mussten.

An diese Geschichte(n) erinnert in Waldram heute nur noch das alte Badehaus, das von einer Bürgerinitiative vor dem Abriss gerettet und dank vieler Unterstützer und jeder Menge ehrenamtlichen Engagements zum Museum umgebaut wurde. Noch bis zum 28. November ist dort die Ausstellung "LebensBilder" zu sehen.

Die 32 Porträts zeigen Menschen, die nach dem Krieg im oberbayerischen Isartal vorübergehend eine Bleibe fanden und heute in Deutschland, Israel und USA leben. Sie entstanden im Zeitraum von 2018 bis 2020 im Erinnerungsort BADEHAUS und am jetzigen Lebensmittelpunkt der Zeitzeugen. Im gleichnamigen Buch "Lebensbilder" findet man Interviews mit 34 Zeitzeugen. 15 Autoren, fünf Übersetzer, ein 4-köpfiges Redaktionsteam und eine Fotografin haben monatelang kreativ und rein ehrenamtlich Hand in Hand gearbeitet, um dieses Buch (24,90 Euro) zu veröffentlichen.

Zu den ehrenamtlichen Mitarbeitern und Autoren gehört auch Emanuel Rüff, der Rachel Salamander, die bekannte und vielfach ausgezeichnete Autorin und Journalistin, die in München lebt, befragt hat. "Wir wollen die Erinnerung an diesen besonderen Ort erhalten und mehr Menschen für dieses wichtige Thema sensibilisieren", erklärte Emanuel Rüff stellvertretend für alle, die am Museum und am Buch mitwirken und mitgewirkt haben.

Wer sich für die Arbeit des Museums interessiert findet weitere Infos unter www.erinnerungsort-badehaus.de Geöffnet hat das Museum immer freitags von 9 bis 17 Uhr und samstags und sonntags von 13 bis 17 Uhr. hw

Artikel vom 05.11.2021
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