Zum Arzt gehen – bevor es zu spät ist!

Kreisklinik Ebersberg verzeichnet mehr Patienten mit inoperablen Tumoren

Von links: Dr. Daniel Plecity und Prof. Dr. Thomas Bernatik bereiten das Koloskop für eine Darmspiegelung bei einem Patienten vor. Foto: kk/sf

Von links: Dr. Daniel Plecity und Prof. Dr. Thomas Bernatik bereiten das Koloskop für eine Darmspiegelung bei einem Patienten vor. Foto: kk/sf

Ebersberg · Der Anteil der Patienten, die mit einer Tumorerkrankung im fortgeschrittenen Stadium in die Klinik kommen, scheint im Vergleich zu vergangenen Jahren zu steigen. Das ist die Beobachtung von Prof. Dr. Thomas Bernatik, Chefarzt der Inneren Medzin I in der Kreisklinik Ebersberg, sowie dem Leitenden Oberarzt Dr. Daniel Plecity. Wir sprachen mit den beiden Ärzten über die Gründe und Folgen.

Prof. Bernatik, gibt es Zahlen, die Ihre Beobachtung belegen?

Prof. Dr. Thomas Bernatik: Noch nicht, aber wir haben festgestellt, dass sich zum Beispiel die Anzahl der Patienten mit operablem Bauchspeicheldrüsenkrebs – eine eher seltene Tumorerkrankung – im letzten Jahr halbiert hat. Da es unwahrscheinlich ist, dass die Rate der Erkrankungen im Landkreis Ebersberg plötzlich gesunken ist, befürchten wir, dass es Patienten mit dieser Erkrankung gibt, diese aber noch nicht diagnostiziert wurde. Es gibt keine eindeutigen Symptome und meist wird diese Krebsart eher zufällig bei einem Gesundheits-Check entdeckt. Bei Darmkrebspatienten hat sich die Zahl derer, bei denen sich bereits Metastasen gebildet haben, erhöht, und wir haben weniger geplante Eingriffe bei Krebspatienten. Die Patienten kommen vielmehr öfter über die Notaufnahme. Unsere Kollegen aus der Gynäkologie und Urologie teilen unsere Beobachtung. Dort kommen immer häufiger Patienten mit fortgeschrittenem Brust- beziehungsweise Prostatakrebs.

Wie erklären Sie sich das?

Dr. Daniel Plecity: Seit Ausbruch der Corona-Pandemie sind weniger Menschen zum Hausarzt gegangen, selbst wenn sie Beschwerden hatten, und haben auch seltener Krebsvorsorge-Angebote wahrgenommen – aus Angst, sich in der Praxis mit dem Virus anzustecken. Viele haben ihre Beschwerden einfach ausgesessen in der Hoffnung, dass sie irgendwann von alleine verschwinden. Es gibt aber noch einige andere Gründe. Wir hatten zum Beispiel einen Patienten, der seine demente Frau rund um die Uhr pflegen musste. Trotz Schmerzen im Gesäß ging er erst sehr spät zum Arzt. Als er für eine Darmspiegelung zu uns kam, hatte er einen bereits orangengroßen Tumor im Enddarm.

Was sind die Folgen, wenn eine Krebserkrankung erst sehr spät entdeckt wird?

Prof. Dr. Bernatik: Wenn ein Tumor sehr groß ist und benachbartes Gewebe betroffen ist oder sich bereits Metastasen in anderen Organen gebildet haben, kann er in der Regel nicht mehr entfernt werden und eine vollständige Heilung ist nicht mehr möglich. Dann bleibt eine Strahlen- oder Chemotherapie und somit nur noch eine palliative Behandlung.

Das heißt, je früher ein Tumor entdeckt wird, desto größer sind die Heilungschancen?

Dr. Plecity: Ja, definitiv! Daher appellieren wir an alle Bürger, bei anhaltenden Beschwerden zum Hausarzt zu gehen und bei entsprechenden Fachärzten Vorsorgetermine wahrzunehmen. Die Krankenkasse übernimmt je nach Alter des Patienten die Kosten für Vorsorgeuntersuchungen hinsichtlich Brust-, Prostata-, Darm- und Hautkrebs. Bei einer Darmspiegelung erhält man für den betreffenden Tag eine Krankschreibung. Für Bauchspeicheldrüsenkrebs gibt es keine allgemeine Vorsorgeuntersuchung. Nur bei einer akuten oder chronischen Entzündung des Organs oder bei Risikopatienten wird diese vorgenommen, jedoch ausschließlich nach einer Überweisung des behandelnden Arztes in der Klinik.

Zieht die Klinik Konsequenzen aus der Entwicklung?

Prof. Dr. Bernatik: Wir ergreifen alle erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen, um eine Ansteckung unserer Patienten mit Corona zu verhindern und ihnen somit die Angst zu nehmen. Das Risiko, sich in der Kreisklinik Ebersberg mit dem Virus zu infizieren, ist aufgrund unseres guten Hygiene- und Sicherheitskonzepts äußerst gering. Aber im Prinzip können wir nicht mehr tun, als jeden zu bitten, Symptome ernst zu nehmen und sich untersuchen zu lassen. Unsere Sorge ist, dass sich Menschen aufgrund der Corona-Pandemie immer weiter aus dem Gesundheitssystem zurückziehen. Das hätte fatale Folgen.

Dr. Plecity: Am 22. September fand bei uns im Haus zum zweiten Mal – coronabedingt diesmal leider nur mit beschränkter Teilnehmerzahl – das 2019 von dem niedergelassenen Kollegen Dr. Marc Block initiierte Ebersberger Hausarzt-Forum statt. Ziel dieses Symposiums ist, die niedergelassenen Ärzte auch über moderne Therapiemöglichkeiten für Tumorerkrankungen zu informieren sowie eine noch stärkere Vernetzung zwischen Kreisklinik und Hausärzten zu erreichen, um Patienten eine optimale Behandlung ermöglichen zu können.

Prof. Dr. Bernatik: Wir erwägen auch, für die Hausärzte im Landkreis einen ‚direkten Draht’ zu diensthabenden Oberärzten der verschiedenen Abteilungen an unserer Klinik einzurichten, damit sie bei Fragen zu Patienten mit Verdacht auf einen Tumor schneller Informationen erhalten. Doch die Vernetzung und die moderne Medizin nutzt bei Krebserkrankungen nichts, wenn sie nicht mehr kurativ eingesetzt werden kann, sondern lediglich, um Leben um ein paar Wochen oder Monate zu verlängern. Daher nochmals unser Appell: Gehen Sie zum Arzt, bevor es zu spät ist!

Interview: Sybille Föll

Artikel vom 01.10.2021
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