Von problematisch bis brandgefährlich

Das Deutsche Museum erhält Zehntausende von Kunststoffobjekten für die Nachwelt

Eins von 38.000 Kunststoff-Objekten des Deutschen Museums ist auch der Raumanzug Sokol KV-2, der für die Nachwelt erhalten bleibt. Foto:  Deutsches Museum/Christian Illing

Eins von 38.000 Kunststoff-Objekten des Deutschen Museums ist auch der Raumanzug Sokol KV-2, der für die Nachwelt erhalten bleibt. Foto: Deutsches Museum/Christian Illing

München · Kunststoff ist das Schmuddelkind unter den Materialien des Kulturerbes. Man denkt an die Plastiktüten daheim und fragt sich, warum so etwas erhalten werden oder gar museumsreif sein soll. Dabei ist immer mehr Kulturgut aus Kunststoff – womit sich unweigerlich die Frage stellt, wie man dieses Kulturgut für die Nachwelt erhalten soll.

Oder ob man es überhaupt erhalten kann. Wie das gehen könnte, darüber haben sich vor kurzem rund 1000 Fachleute aus aller Welt bei einer virtuellen Konferenz beraten.

Nachhaltigkeit-Themenseite der Münchner Wochenanzeiger
Nachhaltig engagiert bei Energie, Mobilität, Müll, Ernährung und mit Originalität
Wir von den Münchner Wochenanzeigern berichten während des gesamten Jahres über alle Aktivitäten in Stadt und Land zum Thema Nachhaltigkeit.

„Nahezu alles schadet dem Kunststoff“, sagt Marisa Pamplona. „Sauerstoff, Wärme, UV-Licht – alles Faktoren, die in unserer normalen Umgebung immer eine Rolle spielen.“ Pamplona ist beim Deutschen Museum seit 2014 für die Restaurierungsforschung zuständig. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Kunststoffe im Museum – etwas, das in einem technischen Museum naturgemäß eine große Rolle spielt. Es ist ein spannendes Thema – aber auch ein deprimierendes. „Letztlich lässt sich der Zerfall und die Schädigung von Kunststoffen nie aufhalten – höchstens bremsen“, sagt Pamplona.

Große Meisterwerke der Technik sind zumindest teilweise aus Kunststoff hergestellt: Das weltberühmte Siemens-Studio in der Musik-Sammlung des Deutschen Museums, frühe Computer wie den „Apple 1“, für den Sammler Millionenbeträge zahlen – oder der russische Raumanzug, mit dem der deutsche Astronaut Klaus-Dietrich Flade 1992 im Weltall war.

Oder das „Schlüsselgerät 41“, ein Chiffriergerät der Nazis, Nachfolgerin der berühmten Enigma. Es machte vor einigen Jahren Schlagzeilen, als Schatzsucher die Maschine im Wald fanden und dem Deutschen Museum übergaben. Die Tasten der Maschine sind aus Cellulosenitrat. Einem äußerst problematischen Stoff. Er ist verwandt mit der Schießbaumwolle, er produziert schädliche Gase, die sich mit Feuchtigkeit wiederum zu hochkorrosiven Säuren verbinden.

Früher wurden Filme aus diesem Material hergestellt – und sind extrem leicht brennbar und sehr schwierig zu löschen. So etwas möchte man unter keinen Umständen in einem Museumsdepot aufbewahren. Es gab bereits tragische Brände in Archiven, bei denen tausende Filme vernichtet wurden. Auch das Deutsche Museum besitzt Filme aus diesem Material – sie werden in speziell gesicherten Schränken aufbewahrt.

Dreidimensionale Objekte aus Cellulosenitrat geraten dagegen kaum in Brand, können aber zerfallen und dabei andere Materialien schädigen. Ein möglicher Schutz dagegen ist die Kaltlagerung bei besonders niedrigen Temperaturen. Das wiederum taugt aber nur fürs Depot – Museumsbesucher würden sich für Temperaturen von minus 20 Grad schön bedanken. Und selbst diese Kaltlagerung birgt Risiken: Auch das Abkühlen kann die Objekte schädigen. Marisa Pamplona: „Das ist gerade Gegenstand unserer Forschung – wir wollen herausfinden, wie man das Material so sanft abkühlt, dass die Risiken einer Schädigung nur minimal sind.“

Auch andere Maßnahmen schützen den Kunststoff im Museum. Gegen ultraviolettes Licht ist zum Beispiel schützendes Fensterglas ein Muss, ebenso wie Leuchten, die nur wenig UV-Licht produzieren, erzählt Marisa Pamplona. Das Deutsche Museum kann sich solche Maßnahmen flächendeckend erst im Rahmen seiner Modernisierung leisten. UV-Licht führt dazu, dass zum Beispiel PCs in der Vitrine vergilben.

Lange hat man mit Reinigungsmethoden herumexperimentiert oder mit einem „Sonnenschutzmittel“ für die Exponate aus Nanopartikeln – „aber das griff zu stark ins Material ein und war zu teuer“, sagt Marisa Pamplona. Insgesamt 38 000 Objekte, die zumindest zum Teil aus Kunststoff bestehen, gibt es in der Sammlung des Deutschen Museums. Und es werden mehr – weil Kunststoff in der Herstellung eine immer größere Rolle spielt. Allein rund 60 Kunststoff-Radios aus den Jahren von 1930 bis 2000 sind im Deutschen Museum systematisch untersucht worden, erzählt Pamplona.

Bei Kunststoff geht es häufig um die Frage: Um welchen Kunststoff und welche Gemische handelt es sich überhaupt? Ein Labor wie das im Deutschen Museum, in dem auch spektroskopische Verfahren zur Analyse des Materials zur Verfügung stehen, hat längst nicht jedes Museum. Und oft ist das Objekt eben nicht nur aus Kunststoff, sondern es sind auch eine Vielzahl anderer Materialien verbaut, auf die Kunststoffe wiederum einen unguten Einfluss haben. Die Kunststoffe selbst neigen wiederum dazu, spröde zu werden und zu brechen - oder weich zu werden. Kunststoffe für Museen zu bewahren, ist deshalb eine riesige Aufgabe. Zumal der Trend ja dahin geht, Kunststoffe abbaubarer zu machen. „Das ist schon eine Herausforderung für uns“, sagt Marisa Pamplona. „Natürlich ist es gut für die Umwelt, wenn sich Kunststoffe schneller zersetzen. Wir dagegen arbeiten gegen den Verfall. Da stellen sich dann auch Fragen wie: Helfen wir uns oder helfen wir der Welt?“

Die Materie ist hochkomplex. Da hat es Marisa Pamplona sehr geholfen, zu sehen, dass sie bei weitem nicht die einzige ist, die sich mit diesen Konservierungsproblemen herumschlägt. Bei einer internationalen Konferenz Ende vergangenen Jahres, die auf Initiative der Leibniz-Forschungsmuseen (zu denen auch das Deutsche Museum gehört) und der Universität Cambridge zustande kam, tauschten sich rund 1000 Forscherinnen und Forscher aus der ganzen Welt vier Tage lang über die Probleme bei der Kunststoffkonservierung aus. Die virtuelle Konferenz „Plastics in Peril“ (also: „Kunststoffe in Gefahr“) hatte Teilnehmer aus 15 Zeitzonen – auch aus Afrika, Asien und Australien.

Diese Konferenz ist aus dem „Aktionsplan Leibniz-Forschungsmuseen“ gefördert worden. Neben dem Deutschen Museum waren auch das Deutsche Bergbau-Museum in Bochum und das Museum für Naturkunde in Berlin an der Organisation der Konferenz beteiligt. Für Marisa Pamplona war die Konferenz sehr wichtig: „Sie hat gezeigt, dass sich viele Museen weltweit mit diesem Problem beschäftigen. Wenn wir unser Wissen teilen, können wir uns gemeinsam dieser Herausforderung widmen und nachhaltiger mit unseren Ressourcen umgehen.“

Artikel vom 13.06.2021
Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp

Weiterlesen





Wochenanzeiger München
 
Kleinanzeigen München
 
Zeitungen online lesen
z. B. Samstagsblatt, Münchener Nord-Rundschau, Schwabinger-Seiten, Südost-Kurier, Moosacher Anzeiger, TSV 1860, ...