Die letzte Rolle

Etwas andere Gedanken und Erinnerungen an ein verrücktes Jahr

Wer hätte gedacht, dass Toilettenpapier in 2020 zum echten IT-Piece aufsteigen würde?! Foto: hw

Wer hätte gedacht, dass Toilettenpapier in 2020 zum echten IT-Piece aufsteigen würde?! Foto: hw

Liebe Leser, das Wochenende nach dem Jahreswechsel gilt für mich noch ein wenig als Zeit "zwischen den Jahren". Noch zu früh für gute Vorsätze, die beginnen ja bekanntlich immer montags. Deshalb lassen wir Sie hier teilhaben an unseren ersten Eindrücken der Corona-Pandemie, die wir Anfang März 2020 aufgeschrieben haben. Viel Vergnügen beim Lesen!

Was gibt es Anstrengenderes als Familienfeiern?! Familienfeiern, bei denen man zum Ende hin feststellt, wenn sich schon Gläser und Tassen, Teller und Töpfe im Abwasch stapeln, dass keine Tabs für die Spülmaschine mehr vorrätig sind.

So geschehen an einem Samstagabend im März 2020 anlässlich des Geburtstags meines Sohnes.

Normalerweise kein Grund zur Panik, es sei denn, es ist, wie bereits bemerkt, Samstagabend, 19 Uhr. Tatsächlich war es sogar schon 19.15 Uhr – also nur noch eine kurze Galgenfrist, in der der Drogeriemarkt meines Vertrauens geöffnet hat, bevor mich das Schicksal eines mit Abspülen vertanen Sonntags ereilen würde. Entschlossenes Handeln war das Gebot der Stunde.

Im Großen und Ganzen war das Familienfest friedlich verlaufen, was nicht zuletzt daran lag, dass Corona und all‘ seine Begleiterscheinungen so raumfüllend zum Thema gemacht worden waren, das sonst so beliebte Themen wie Karriereabsichten, Haarlänge und Frisur der Buben (ein Neffe war auch anwesend) und ähnliche, brandgefährliche Themen nur am Rande gestreift worden waren.

Interessantes Fazit der angeregten Unterhaltung: Schlimmer noch als die Aussicht an einer neuen Pest zu erkranken war augenscheinlich die Furcht nicht genug Mehl, Nudeln, Trockenhefe und vor allem Klopapier nach Hause schaffen zu können. Ich war meinerseits die ganze Woche noch nicht zum Einkaufen gekommen, so viel war bei uns im Büro zu tun gewesen. Am Wochenende zuvor hatte ich deshalb bereits alles Nötige für das Fest eingekauft, so dass ich von angeblichen Panikkäufen bislang nichts mitbekommen hatte.

Um dem Abspül-Marathon vielleicht doch noch zu entrinnen, verabschiedete ich mich kurz von der mittlerweile satten und daher trägen Meute, sprang ins vor der Haustür geparkte Auto und brauste zum Drogeriemarkt. Dort angekommen erwartete mich ein ziemlich leerer Parkplatz, über den der Wind trockene Blätter und Äste wehte. Na also, dachte ich mir, wo sind sie denn, die Menschenmassen, die angeblich alles wie die Heuschrecken wegkauften?! Zügigen Schrittes betrat ich den hell erleuchteten Markt, der schon in der Dunkelheit des angebrochenen Abends lag. Drinnen: Nichts.

Im wahrsten Sinne des Wortes: NICHTS. Leere Regale, wohin mein Auge blickte. Halt, ich muss mich korrigieren, nicht ganz leer, denn, was mir bislang scheinbar verborgen geblieben war, war die Tatsache, dass es auch Vibratoren in meinem Drogeriemarkt gab, sogar eine stattliche Vielfalt an Sexspielzeugen, die nun trostlos und einsam, weil unbeachtet, im Regal baumelten. Ansonsten waren die Regale leer.

Der angeschlagen wirkenden Kassiererin standen wirr die Strähnen aus der Frisur, die in der Früh vermutlich ein adretter Pferdeschwanz gewesen war, ein Verkäufer drückte sich in der hinteren Ecke des Marktes herum und versuchte sich für die spärlich hereintropfenden Kunden unsichtbar zu machen, wieder eine andere Verkäuferin bemühte sich mit letzter Kraft aus einem aufgerissenen Karton am Boden Shampoo ins Regal zu räumen, was ihr nur mühsam gelang, da ihre Arme schwer wie Blei zu sein schienen.

Ich musste bei diesem Anblick der leer gehamsterten Regale lachen, so entsetzlich lachen, dass mir die Tränen übers Gesicht liefen. Angesichts des Wahnsinns erschien mir diese Reaktion als die einzig sinnvolle.

Um nicht gleich wieder nach Hause zu müssen, stellte ich mich kurzerhand neben die Verkäuferin, die mit dem Shampoo für extra seidig glänzende Haare kämpfte und half ihr beim Einräumen. Stumm arbeiteten wir 10 Minuten Seite an Seite, dann war der Karton leer und das Regal zu einem Drittel gefüllt. „Danke“, presste sie mühsam hervor.

Ich schöpfte Hoffnung und fragte scheu, ob es vielleicht im Lager noch Spülmaschinentabs oder so …. Müde winkte sie ab. Alles leer, sagte sie, alles weggekauft, von den Batterien über die Einmalwaschlappen (deren Sinn ich noch nie verstanden hatte) bis hin zum Toilettenpapier.

Na dann, seufzte ich leise und klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter und wollte gerade zum Ausgang gehen, als sie mir zurief: „Warten Sie einen Moment!“, dann verschwand sie im Personaltrakt. Um mir die Wartezeit ein wenig zu verkürzen fotografierte ich die unwirkliche Szenerie fleißig und aus verschiedenen Blickwinkeln mit meinem Handy um die Bilder später bei Facebook zu posten. Jetzt war ich offiziell auch ein Mitglied der Klopapierjäger und Nudelhäscher!

Die Tür zum Personaltrakt schwang auf und sie schleppte sich mehr zu mir, als dass sie ging, in der Hand hielt sie eine kleine Papiertüte. Sie drückte mir diese in die Hand und gab der Kassiererin, die heute nichts mehr zu tun bekommen sollte, zu verstehen, dass ich ohne Umwege den Weg nach draußen nehmen würde.

Ich widerstand der Versuchung gleich hinein zu schauen und machte die Tüte erst im Auto auf. Drinnen lagen zwei Spülmaschinentabs und eine bereits angefangene Rolle Klopapier, wahrscheinlich geklaut aus der Herrentoilette des Personals, wie ich annahm. Obendrauf lag ein Zettel, auf dem in krakeliger Schrift einfach das Wörtchen „Danke“ stand. Ich spürte Tränen der Rührung in mir aufsteigen und eines war sicher, diese Rolle würde ich bis ganz zum Schluss aufheben. hw

Artikel vom 01.01.2021
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