Revolutionäres städtebauliches Konzept feiert Geburtstag

Unterhaching · 100 Jahre Kriegersiedlung

Werner Reindl hat viel über die Siedler, die sich in der Kriegersiedlung rund um den Pittinger Platz vor 100 Jahren niederließen, zu berichten. Foto: hw

Werner Reindl hat viel über die Siedler, die sich in der Kriegersiedlung rund um den Pittinger Platz vor 100 Jahren niederließen, zu berichten. Foto: hw

Unterhaching · In diesem Jahr feiert die Kriegersiedlung in Unterhaching ihren stolzen 100. Geburtstag. Mit ihr wurde damals ein vollkommen neues städtebauliches Konzept aus der Taufe gehoben, erklärt Werner Reindl, der über die Siedler in Unterhaching sogar ein eigenes Buch verfasst hat (Unterhaching Erinnerungen an die Siedler).

Die meisten der insgesamt 121 Gebäude befinden sich rund um den Pittinger Platz, der nach dem Begründer der Kriegersiedlung, dem Sanitätsrat Dr. Otto Pittinger benannt wurde. Geplant war zunächst eine Siedlung mit doppelt so vielen Häusern, doch nicht alle Pläne konnten auch umgesetzt werden. Den Siedlern, die vormals oft keine Erfahrung mit dem Besitz einer Immobilie hatten, wurden mit einem umfangreichen Regelwerk ausgestattet, das für ein gutes Miteinander der Siedler untereinander sorgen sollte.

„Geschaffen wurde damals eine Siedlung, die für Kriegsversehrte und deren Familien dienen sollte“, erklärt Werner Reindl, der sich intensiv auf Spurensuche begeben hat, um die Geschichte der landkreisweit damals ersten Siedlung dieser Art nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Die Grundstücke waren so gestaltet, dass das Haus direkt in der Mitte stand, um den vorderen Teil des Gartens vom hinteren zu trennen. Gut zu sehen ist dieses Modell noch bei den Häusern aus dieser Zeit, die an der Münchner Straße stehen.

Was einem heute als Platzverschwendung und Fehlplanung vorkommen mag, hatte damals gute Gründe. „Im vorderen Teil des Gartens zur Straße hin wurde Gemüse, Obst und sogar Tabak angebaut, im hinteren Teil des Gartens wurde Viehzucht betrieben. Schweine, Hühner, Hasen und Ziegen waren üblich, einer hielt dort sogar eine Kuh“, berichtet Werner Reindl. Damit das Vieh nicht die mühsam gezogenen Pflänzchen auffraß, war diese Trennung nötig. Die Häuser boten zwischen 50 und 90 Quadratmetern Wohnfläche, es gab lediglich einen Trockenabort, einen Kalt-Wasserhahn und kaum Steckdosen. Dennoch gehörten die Kriegsversehrten, die das Geld für so ein Häuschen aufbringen konnten, zu den Glücklichen. Dem gegenüber standen rund 900 Quadratmeter Garten, was die Bedeutung der Selbstversorgung deutlich hervorhebt.

Die neuen Siedler hatten in der Regel wenig Ahnung von Viehzucht und Ackerbau, deshalb wurde damals auch der Gartenbauverein ins Leben gerufen. Dort erfuhr man alles Wichtige, damit das eigene Gemüse und das Vieh auch gedieh, denn das, was der Garten hergab, wurde dringend zum Leben gebraucht.

Die Mitgliedschaft im Gartenbauverein war bei dessen Gründung im Jahr 1923 essenziell für die Mitglieder, die sich vornehmlich aus den zugezogenen Siedlern aus der Krieger- und Waldsiedlung zusammensetzen. Inflation und Wirtschaftskrise dominierten diese Zeit und die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln stand an erster Stelle. Die wichtigste Aufgabe des Vereins bestand darin, auf den mageren Unterhachinger Gartenböden hohe Erträge bei Gemüse und Obst zu erzielen. Ergänzend zum Gartenbau standen die Kaninchen- und Geflügelzucht hoch im Kurs. »Damals gab es kaum Gärtnereien, den notwendigen Dünger konnte man praktisch nur über den Verein beziehen«, berichtet der Unterhachinger Gartenexperte.

Die Siedler mussten für das Haus und das Grundstück eine Anzahlung leisten und monatlich in Raten ihr Eigenheim abbezahlen. Geld war deshalb in den Familien meistens knapp bemessen. Rund um den Pittinger Platz entstanden deshalb kleine Läden, die von den Frauen geführt wurden, die so für ein kleines Zubrot für die Familien sorgten.

Die Bahnlinie stellte in Unterhaching die Trennungslinie zwischen den alteingesessenen Dörflern und den neu hinzugezogenen Siedlern dar, berichtet Werner Reindl weiter. Kein herzliches Willkommen wurde den neuen Unterhachingern bereitet, das gespannte Verhältnis zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen sollte bis in die 70er Jahre hinein anhalten. Ausgetragen wurde diese Fehde nicht selten von den Kindern, die nach und auch vor der Schule gerne miteinander rauften bis die Fetzen flogen, wie Werner Reindl aus Erfahrungsberichten zitiert. Nur beim gemeinsamen Sport herrschte Eintracht, wie Werner Reindl verrät.

Heute ziert ein Gedenkstein den Pittinger Platz, der an die Besiedlung vor 100 Jahren erinnern soll. Alle geplanten Feierlichkeiten und Führungen rund um die Siedlung mussten coronabedingt heuer abgesagt werden, bedauert Werner Reindl. Wer mehr über das Leben der Siedler in der Kriegersiedlung erfahren will, findet dazu viel Geschichtliches und Geschichten im selbst verlegten Buch von Werner Reindl, das es beispielsweise im Heimatmuseum der Gemeinde zu kaufen gibt (nächste Öffnung, Sonntag, 27. September, von 13.30 bis 16.30 Uhr, in der Hauptstraße 51). hw

Artikel vom 23.09.2020
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