Grund zur Freude

Neubiberg · Helferkreis Asyl aus Neubiberg freut sich mit Rama Abdulhadi

Rama Abdulhadi, die keinerlei Deutsch konnte, als sie 2015 aus Syrien geflüchtet ist, hat ihr  Abitur am Gymnasium Neubiberg bestanden. Foto: Angela Boschert

Rama Abdulhadi, die keinerlei Deutsch konnte, als sie 2015 aus Syrien geflüchtet ist, hat ihr Abitur am Gymnasium Neubiberg bestanden. Foto: Angela Boschert

Neubiberg · Seit Juni 2014 kümmert sich der Helferkreis Asyl um die Eingliederung von Asylbewerbern in Neubiberg. Welche bürokratischen Hürden, kulturellen Verschiedenheiten und Vorbehalte Flüchtlinge überwinden müssen, haben die ehrenamtlichen Helfer von Anfang an erfahren. Dennoch lohnt die Mühe, wie die Geschichte von Rama Abdulhadi zeigt.

Die heute 20-Jährige floh 2015 aus dem vom Bürgerkrieg geschüttelten Syrien vor den Bomben, gelangte nach Neubiberg und hat gerade am hiesigen Gymnasium ihr Abitur bestanden. Als sie ankam, konnte sie keinerlei Deutsch, war von grauenvollen Erlebnissen des Bürgerkrieges in Syrien gezeichnet, erschrak, als an Silvester Raketen knallten, die wie Bomben des Krieges klangen. Heute fühlt sie sich hier sicher und spricht so fließend, dass sie problemlos zwischen Deutsch und Arabisch hin und her wechselt. Rama hat ein Ziel: Sie will Chirurgin werden, erst hier arbeiten und später in Syrien eine Klinik eröffnen.

Als Rama Abdulhadi nach etwa zweiwöchiger Flucht über die Türkei und die Balkanroute nach Neubiberg in die Traglufthalle kam, konnte sie sowie ihre Eltern und ihre drei Geschwister nur etwas Englisch. Der Anfang war schwierig, trotz der fürsorglichen Betreuung durch den Helferkreis Asyl Neubiberg. Doch Vater Abdulmunaam war als Unternehmer gewohnt, fleißig sein zu müssen. Er forderte „uns Kinder immer auf, uns weiterzuentwickeln, selbst in den Ferien“, erzählt die 20-jährige Muslima. So nimmt es nicht Wunder, dass sie und ihr Bruder Mohamad, 17, das Gymnasium Neubiberg erfolgreich besuchen und der 12 Jahre alte Obai auch von der Realschule dorthin wechseln möchte. Schwesterchen Lin geht noch auf die Grundschule Neubiberg.

Nach dem Besuch der Integrations- und Deutschkurse und ermuntert vom Asylhelferkreis Neubiberg suchte sich Vater Abdulmunaam bald eine Arbeitsmöglichkeit und hat inzwischen bei dem alteingesessenen Unternehmen F. Radspieler GmbH im Münchner Hackenviertel „seinen Traumjob“ gefunden. Die bestandene Führerscheinprüfung in Deutsch war eine gute Basis für die Einstellung in dem Einrichtungshaus, in dem er als erfahrener, leidenschaftlicher Polsterer und Schreiner hoch angesehen ist und auch im Außendienst eingesetzt wird. Mutter Tahani kümmert sich um ihre Familie und ist die gute Seele in der gastlichen Wohnung. Dass „Gäste in arabischen Haushalten immer willkommen sind“, wissen die Kinder. Und auch Gerd K. Winter vom Asylhelferkreis, der sich seit zwei Jahren, wie viele andere aus dem aktiven Teil des ca. 400 Mitglieder zählenden Helferkreises, intensiv um Abdulhadis kümmert: „Die Familie ist interessiert und kulturell offen. Sie klagen nie! Vielmehr wird hier viel und herzlich gelacht.“

Selbst wenn Rama bei der Abiturvorbereitung nicht immer zum Lachen zumute war. Sie ging schon mit vier Jahren in Syrien in die Schule und war immer eine „1er-Kandidatin“. Sogar eine Begabtenschule in Damaskus hatte sie eingeladen, da war sie in der 11. Klasse. In Deutschland konnte sie schon bald von der Mittelschule in die 9. Jahrgangsstufe des Gymnasium Neubiberg wechseln. Zwar verspürte sie in Deutsch und Englisch selbst „große Schwierigkeiten“, aber wendete Deutsch so oft wie möglich an, um ihr Ziel zu erreichen: „Nicht übersetzen, sondern komplett deutsch sprechen“. Für das Abitur hat sie einen fast eineinhalb Meter hohen Stoß an Heften und Büchern durchgearbeitet und „mehrfach nur vier Stunden geschlafen“. Doch hat sie der Helferkreis unermüdlich unterstützt sowie die Schule – sie durfte über die Öffnungszeiten hinaus in der Bibliothek lernen – und natürlich ihre Familie. Da sie in der schriftlichen Abiturprüfung „nichts fragen konnte“, verstand sie allerdings einige Fragen nicht ganz exakt und schnitt schlechter ab als gewohnt. Bedenkt man, dass in Deutsch die „Rolle des Theaters für Jugendliche“ zu behandeln war unter Einbeziehung von zehn Quellen, darunter Texten von Schiller und Goethe, macht ihr Ergebnis dennoch staunen.

Doch war Rama mit dem erzielten Notenschnitt von 2,5 „nicht so zufrieden“. Ihr Ehrgeiz erwachte. Reinhard Rolvering, der Schulleiter des Gymnasium Neubiberg, erzählt: "Rama ist sogar zu einer mündlichen Nachprüfung angetreten und konnte ihren Abiturschnitt auf 2,4 verbessern. Angesichts der Tatsache, dass Rama vor vier Jahren von der Mittelschule mit geringen Deutschkenntnissen gekommen ist, ist das eine außerordentliche Leistung. Rama hat hier auf der Schule immer den Kontakt zu den Lehrern gesucht, war offen für Ratschläge und hat keine Mühen gescheut. Wir als Schulfamilie wünschen ihr alles Beste für ihren Lebensweg." Den will Rama als Chirurgin finden. Sie hat bereits mehrere Praktika in Krankenhäusern gemacht und dort in der Kardiologie und in der Unfallchirurgie gearbeitet. 2019 hat sie bei der Max-Planck-Gesellschaft einen Workshop über das gesamte Erbgut, die DNA, absolviert. Jetzt hofft sie, ein Sozialpraktikum im Krankenhaus Harlaching oder der Haunerschen Kinderklinik München zu erhalten. Die Bewerbungen hat sie schon abgesandt.

Es fehlt nicht an Talent und Einsatz, aber sie muss erst einmal einen Studienplatz für Medizin bekommen. Rama und ihre Familie hoffen, dass das klappt, und denken an die große Unterstützung, die sie bisher erhalten haben. „Uns haben ganz viele Freunde geholfen“, sagen die Abdulhadi immer wieder dankbar. So halfen ihnen Mitglieder des Asylhelferkreises beim Ausfüllen unzähliger Formulare oder waren Mittler bei den Gesprächen mit dem Jobcenter bzw. Arbeitsamt. Auch bei den Hausaufgaben der Kinder standen ihnen viele freiwillige Helfer zur Seite. Bei alltäglichen Fragen waren Gerd K. Winter und seine Frau für sie da und „gehören jetzt zu unserer Familie“, erzählt Rama mit liebevoll leuchtenden Augen. Dann wird sie ernst: „Wenn der Krieg einmal zu Ende ist, fahren wir mit Herrn Gerd und Frau Petra nach Syrien“. Dorthin, wo ihre zahlreichen Verwandten leben, dorthin, wo sie eines Tages eine Klinik eröffnen will, „wenn der Krieg zu Ende ist“.

Artikel vom 20.07.2020
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