Verstörend-poetische Jahreszeiten

Installation „The Fifth Season“ im NS-Dokumentationszentrum München

Objekt aus dem Arrangement Herbst, Besticktes Laubblatt, verschiedene Größen. Foto: Orla Connolly, Jens Weber

Objekt aus dem Arrangement Herbst, Besticktes Laubblatt, verschiedene Größen. Foto: Orla Connolly, Jens Weber

Maxvorstadt · Seit 14. Februar ist im NS-Dokumentationszentrum München, Max-Mannheimer-Platz 1, die Installation „The Fifth Season“ der israelischen Künstlerin Ronit Agassi zu sehen. Die zum Teil eigens für das Haus gestalteten Werke und Objekte kreisen um die Jahreszeiten und um Themen menschlicher Bedrohung.

Ronit Agassi verwebt in ihrem Werk verschiedene Erzählstränge, die auf die Geschichte des 20. Jahrhunderts sowie auf ihre eigene Biographie Bezug nehmen. 1948 im Jahr der Staatsgründung Israels in einem Kibbuz geboren, war Ronit Agassis Kindheit und Jugend vom Mythos Israels als Land einer kollektiven, landwirtschaftlichen Utopie geprägt. Zugleich wurden ihre frühen Erfahrungen aber auch von Bildern des Krieges, des Militärs und den Traumata des Holocaust berührt.

Ronit Agassi gestaltet die Jahreszeiten – Herbst, Winter, Frühling, Sommer und die fünfte Jahreszeit, die keinen Namen hat und in der es keine Zukunft und keine Gegenwart gibt – als einen ebenso verstörenden wie poetischen Parcours aus Skulpturen, Readymades, textilen Arbeiten, Zeichnungen und einem Video, die sie assoziativ miteinander in Verbindung setzt. Für ihre Arbeiten bevorzugt sie organische, fragile Materialien wie Laubblätter, Kieselsteine und Japanpapier, die sie bemalt oder mit feinen Stichen bestickt. So nimmt die Künstlerin die Betrachterinnen und Betrachter mit auf eine Reise in die fünfte Jahreszeit, deren unheilvollen Geschichten sich erst allmählich hinter der zarten Oberfläche erschließen. Mit „The Fifth Season“ hat Ronit Agassi ein komplexes und anspielungsreiches Werk geschaffen. Es nimmt Motive der Geschichte ebenso auf wie Elemente des Märchens, der Literatur, der Musik und der Kunstgeschichte und eröffnet disparate Bildwelten.

Der Kontrast zwischen Materialität und Motiv zeigt sich beispielsweise in neun auf einem Tableaux arrangierten Laubblättern. Das zerbrechliche organische Material bestickte Ronit Agassi mit feinen Kreuzstichen in Erd- und Pastelltönen, in deren ornamentalem Gefüge sich die Gesichter einflussreicher NS-Größen wie Adolf Hitler und Heinrich Himmler erkennen lassen. Die Blätter sammelte Agassi im Grunewald bei Berlin. Vom Bahnhof Berlin-Grunewald wurden zwischen 1941 und 1945 über 50.000 Jüdinnen und Juden in die Vernichtungslager deportiert.

In den Wechselausstellungen möchte das NS-Dokumentationszentrum München bewusst neue methodische Ansätze und Zugänge zur Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte ermöglichen oder Bezüge zu aktuellen gesellschaftspolitischen Themen herstellen. Mit der Präsentation „The Fifth Season“ von Ronit Agassi widmet sich das Haus der zeitgenössischen Kunst. In ihrer fragilen, organischen Materialität kontrastiert die Kunstinstallation die von Texten und Bildern dominierte, auf sachliche Dokumentation und Aufklärung ausgerichtete Dauerausstellung des NS-Dokumentationszentrums. Die Exponate entfalten eine visuelle, emotionale Kraft und evozieren Assoziationen, die das Unterbewusstsein der Betrachterinnen und Betrachter ansprechen und zum Nachdenken anregen.

Die Kunstinstallation „The Fifth Season“ ist bis zum 5. Mai 2019 im Wechselausstellungsbereich des NS-Dokumentationszentrums zu sehen. Am 14. März und 11. April, jeweils 17.30 Uhr, finden Rundgänge mit der Kuratorin Sabine Brantl statt, Anmeldung unter veranstaltungen.nsdoku@muenchen.de

Artikel vom 25.02.2019
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