Abba Naor erzählt am MTG von seinen Erlebnissen als Opfer des Nazi-Terrors

Au · Einer der letzten Zeitzeugen

Abba Naor spach mit den Schülern der 9 und 11. Jahrgangsstufe des MTG über seine Erlebnisse als Zeuge und Opfer des NS-Terrors. Foto: Maria-Theresia-Gymnasium München/G. Gaigl

Abba Naor spach mit den Schülern der 9 und 11. Jahrgangsstufe des MTG über seine Erlebnisse als Zeuge und Opfer des NS-Terrors. Foto: Maria-Theresia-Gymnasium München/G. Gaigl

Au/München · „Dafür seid ihr zuständig!“, antwortet Abba Naor trocken auf die Frage eines Schülers, was er von den Erfolgen rechter Parteien in vielen Staaten Europas, darunter auch Deutschland, hält. Der heute 91-Jährige ist einer der letzten noch lebenden Zeitzeugen des Holocausts.

Mit Blick auf die Gegenwart ist ihm eine Botschaft wichtig: „Manche sagen heute wieder, damals sei alles besser gewesen. Vor diesen Menschen will ich euch warnen. Es sind falsche Propheten.“

Auch deshalb ist Naor seit 20 Jahren viel unterwegs und besucht regelmäßig Schulen, um den jungen Menschen von seinen Erlebnissen als Opfer des NS-Terrors zu erzählen. Er sagt: „Es ist nicht leicht, darüber zu erzählen, aber die Wahrheit muss erzählt werden.“ Vor kurzem war Abba Naor zum zweiten Mal am Maria-Theresia-Gymnasium (MTG) zu Gast und sprach dort mit rund 200 Schülern der 9. und 11. Jahrgangsstufe. Während der über zweistündigen Erzählung hörten sie gebannt und ergriffen zu.

Litauische Juden fast ausgelöscht

Es ist eine bewegende, persönliche Geschichte voller grausamer Details, die Abba Naor erzählt. Von einem Tag auf den anderen bricht der Terror der Nationalsozialisten in das Leben des 13-jährigen litauischen Jungen und seiner Familie ein. Die deutsche Wehrmacht erreicht im Juni 1941 Litauen. Dort leben zu dieser Zeit rund 250.000 Juden. „Nur rund vier Prozent von ihnen werden die kommenden vier Jahre überleben“, sagt Naor. Das sind weniger als 10.000. Bereits kurze Zeit nach dem Einmarsch wurde die jüdische Bevölkerung Litauens, aber auch aus anderen Teilen des Deutschen Reiches, etwa aus München, sowie aus anderen besetzen Gebieten in Ghettos zusammengetrieben. Die meisten von ihnen wurden bei Massenerschießungen getötet.

Bereits im Februar 1942 meldeten die deutschen Besatzer über 138.000 getötete Juden. Unter ihnen war auch der 14-jährige Bruder Abba Naors. Er war beim Einkaufen erwischt worden, was den Juden verboten war. 1943 wird das Ghetto in der litauischen Stadt Kaunas, in der Naor mit den verbliebenen Familienmitgliedern lebt, in ein Konzentrationslager umgewandelt. Im Juli 1944 wird es geschlossen und großteils verbrannt.

Die meisten dort inhaftierten Juden werden nach Auschwitz deportiert und ermordet – darunter Naors Mutter und sein jüngerer Bruder. Am 26. Juli 1944 sieht er sie zum letzten Mal. Naor sagt: „Wäre das Stauffenberg-Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 gelungen, wären meine Mutter und mein Bruder womöglich am Leben geblieben.“ So starben sie noch am Tag ihrer Deportation.

Zwölf Stunden Arbeit ohne trinken

Der 15-Jährige selbst wird mit seinem Vater über Umwegen in eines der Arbeitslager nach Deutschland verschleppt. Naor landet zunächst in Utting am Ammersee und später in Kaufering. Dort mussten die Gefangenen ein Außenlager des KZ Dachau errichten, um vor Ort Betonplatten für die Kriegsindustrie herzustellen. In 12-Stunden-Schichten, ohne Trinken oder Verpflegung während der Arbeit. Am Abend gab es eine dünne Suppe – aber nur wenn man es schaffte, die Suppentasse in einem bestimmten Winkel auf den Topf zu stellen. „Vernichtung durch Arbeit“ nannten das die NS-Schergen.

In zehn Monaten sterben in den elf Außenlagern des KZ Dachau rund 22.000 Menschen aufgrund der unmenschlichen Bedingungen. Das Kriegsende erlebt Abba Naor auf einem der Dachauer Todesmärsche. Die verbliebenen Inhaftierten des KZ Dachau und seiner Außenlager wurden vor der heranrückenden US-Armee Richtung Süden getrieben und schließlich von den US-Amerikanern am 2. Mai 1945 befreit.

"Ich lebe ohne Hass. Das ist schöner."

Am Ende des Vortrags stellen die Schüler viele Fragen. Es entwickeln sich zahlreiche spannende Diskussionen. Gefragt nach seiner Reaktion auf die Verurteilung eines heute 94-jährigen ehemaligen Wachmanns des KZ Stutthof, in dem auch Abba Naor kurzzeitig interniert war, antwortet er: „Ich spüre keinen Hass. Ich lebe ohne Hass. Das ist leichter und schöner.“

Artikel vom 30.12.2018
Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp

Weiterlesen





Wochenanzeiger München
 
Kleinanzeigen München
 
Zeitungen online lesen
z. B. Samstagsblatt, Münchener Nord-Rundschau, Schwabinger-Seiten, Südost-Kurier, Moosacher Anzeiger, TSV 1860, ...