Aufgeblüht aus Ruinen

70 Jahre Künstlergruppe Seerosenkreis: Ausstellung und Festveranstaltung

Martin Blumöhr gehört zu den jungen Mitgliedern des Seerosenkreises und malte das Bild »Traumstadt heute – und mittendrin der Seerosenkreis«. Er wurde 1981 in München geboren und studierte an der Münchner Kunstakademie.             F: Seerosenkreis

Martin Blumöhr gehört zu den jungen Mitgliedern des Seerosenkreises und malte das Bild »Traumstadt heute – und mittendrin der Seerosenkreis«. Er wurde 1981 in München geboren und studierte an der Münchner Kunstakademie. F: Seerosenkreis

Schwabing/Altstadt · Der vielbeschworene Geist von Schwabing, das Viertel der Künstler und Freigeister, »Montmatre in München« rund um den Wedekindplatz – in den Köpfen lebt er noch, oft auch als Klischee, und tatsächlich im »Seerosenkreis«.

Dem Münchner Literaten- und Malerkreis ist es gelungen, seit seiner Gründung 1948 in Schwabing nicht zu verblühen.

Das 70-jährige Jubiläum wird gefeiert: im Münchner Künstlerhaus, Lenbachplatz 8, mit einer Ausstellung der Bildenden Seerosen-Künstler in den Clubräumen und im Innenhof, noch bis zum 2. Juli 2018 (Öffnungszeiten Montag bis Freitag, 8 bis 17 Uhr, und Samstag, 10 bis 17 Uhr) und einem festlichen Abend der Seerosen-Literaten – am Montag, 2. Juli, 19.30 Uhr, im Festsaal und im Innenhof mit nostalgischen und erheiternden literarisch-musikalisch-kabarettistischen Köstlichkeiten, gestaltet vom zahlreich anwesenden Team der SeerosianerInnen – Julia Cortis, Christine Grän, Gert Heidenreich, Gisela Heidenreich, Thomas Lang, Andrew Malura, Maria Peschek, Brigitta Rambeck, Anatol Regnier, Asta Scheib und Michael Skasa – vor allem aber von Gratulanten: darunter Salome Kammer, Maria Reiter, Felicia Brembeck alias Fee, Julia von Miller, Christian Ude, André Hartmann, Frederic Hollay, Florian Hoffmann sowie Thomas Steierer (metromadrid).

Den Geist des alten Schwabing der Jahrhundertwende mit all seinen bedeutenden und schillernden Künstlern und Dichtern wollte man 1948 wiedererwecken, nach dem Dritten Reich und den Wirren des Zweiten Weltkrieges, wo München und Schwabing in Schutt und Asche lag und so manche Ideale und Weltbilder – und schuf damit einen weiteren Mythos, einen Neubeginn des Künstlerviertels Schwabing.

Mit einem Stammtisch in der Wirtschaft Seerose, Ecke Nikolai-/Gunezrainer Straße, fing es an, eher zufällig in dem Haus, in dem Thomas Mann gelebt und die »Buddenbrooks« 1901 vollendet hatte, für Gründungsmitglied Peter Paul Althaus, genannt PPA, das »Goldene Zeitalter« Schwabings vor dem Ersten Weltkrieg – und das laut Franziska zu Reventlows berühmten Worten damals kein Ort, sondern ein »Zustand« war. »Ein halbes Jahrhundert und zwei Weltkriege später versammelten sich eben dort Künstler aller Sparten.«, erzählt Brigitta Rambeck, Sprecherin der Literaten. »Hoffnungsfroh aufgetaucht aus realer oder innerer Emigration, knüpften an alte Freundschaften und Gepflogenheiten an und ließen so eine Schwabinger Künstlerszene wiedererblühen, die rasch von einem wachsenden Publikum geradezu stürmisch angenommen wurde.«

Die Schwabinger Literaturwissenschaftlerin, Malerin und bereits selbst jahrzehntelang Mitglied der »Seerose«, erinnert sich: »Die Verbindung zu anderen Münchner Künstlerzirkeln war eng. Geradezu freundschaftliche Kontakte bahnten sich bald auch zur Stadtspitze an – der damalige Oberbürgermeister von München, Hans-Jochen Vogel, begrüßte den spiritus rector der ›Seerose‹ und selbsternannten ›Bürgermeister der Traumstadt‹ Peter Paul Althaus als ›Herr Kollege‹ und stellte sich auch gern als Nikolaus für die sagenumwobenen Weihnachtsfeiern des Seerosenkreises zur Verfügung, umschwebt von der Schwabinger Gisela im Engelsgewand.«

»Weil der Schauspieler Gustl Weigert, der damals Siebzigjährige, gleich nebenan wohnte und in Filzpantoffeln zu seinem Stammtisch kommen konnte, wurde die Seerose, gleichsam auf leisen Sohlen, die Wiedergeburtsstätte Schwabings«, schreibt Peter Paul Althaus in »Die Seerose – Ein Beitrag Schwabings zur 800-Jahr-Feier der Stadt München 1958«. In diesem Jahr organisierte der Schwabinger Seerosenkreis, der sich damals aus über 200 Künstlern und Kunstfreunden zusammensetzte, zu seinem eigenen 10-jährigen Bestehen eine Ausstellung in der Galerie Malura in der Leopoldstraße 44.

Man war sich seiner eigenen Bedeutung wohl bewusst und pflegte sie auch. »Und nach und nach kamen alle, die früher im Simpl, bei Papa Steinicke, in der Brennnessel dabei gewesen und noch übriggeblieben waren: Maler und Bildhauer, Musiker, Schriftsteller und Dichter. Wir machten einmal in der Woche improvisiertes Kabarett. Es war genau so, wie es mehr als fünfzig Jahre früher in Paris gewesen, als Montmartre entstand. Zu uns gestoßen waren auch junge Leute, angehende Literaten, Maler usw.«

Gründungsmitglieder waren neben Althaus und Weigert der Maler Hermann Geiseler, der 1962 mit Hilfe von Oberbürgermeister Hans Jochen Vogel die Grundlagen für den Seerosenpreis der Bildenden Künstler legte, den es bis heute gibt – übrigens dem einzigen Preis der Stadt München, der nicht vom Stadtrat, sondern allein von Künstlern juriert wird, erzählt Brigitta Rambeck. Irgendwann über die Jahrzehnte wäre die »Seerose« fast verblüht, die Münchner Literaturlandschaft hatte sich verändert. Die »Seerose« reagierte und das neue Konzept sah keine »Dichterlesungen« im üblichen Sinne mehr vor, man einigte sich vielmehr auf themenbezogene Abende unterschiedlichster Art – meist auch mit musikalischer Begleitung und professionellen Sprechern.

Die Vielseitigkeit der Seerosen-Autoren, die auf der Basis ihrer breitgefächerten literarischen Schwerpunkte und ihrer jeweiligen Kontakte zu anderen Künstlern die Abende fortan gestalteten, spiegelt sich in den mittlerweile über 100 Veranstaltungen des literarischen Seerosenkreises wider. So fand 2018 im Mai eine literarische Revue zu Faust statt, ein literarisch-musikalischer Streifzug durch das deutsche Ich und ein literarisch-musikalisches Unterhaltungsprogramm über die Liebe. Tradition ist die alljährliche Weihnachtslesung unter Federführung von Brigitte Rambeck, mit neuen Texten der Autoren, darunter etwa Doris Dörrie oder Jörg Maurer.

Kein Verein, sondern eine offene Gruppe

»Der Seerosenkreis – sowohl auf Seiten der Literaten als auch der Bildenden Künstler – ist bis heute kein eingetragener Verein, sondern versteht sich als eine offene Gruppierung, so etwas wie eine Künstlerheimat – von gewissermaßen ›familiärem‹ Charakter«, sagt Brigitta Rambeck. Die Wege der Wort- und der Bildkünstler hatten sich endgültig getrennt, als 1976 das Lokal völlig umgebaut wurde und dabei von einer »realen Bierwirtschaft« zum spanischen Edelrestaurant mutierte. Mittlerweile befindet sich darin ein italienisches Lokal.

Heute treffen sich die Schwabinger Künstler im Allotriakeller des Münchner Künstlerhauses, während die literarische Seerose in der Schwabinger Seidlvilla zu Hause ist. Inzwischen bahnt sich allerdings – wiederum aus Platzgründen – auch ein zeitweiliger Wechsel der literarischen Seerosen-Veranstaltungen ins Künstlerhaus an. Unter der Leitung von Tobias Krug (Jahrgang 1972, Seerosenpreis 2016) finden allmählich auch wieder Vertreter einer neuen Generation den Weg zum Seerosenstammtisch im Allotriakeller – darunter Martin Blumöhr, Stephanie movall, Jo Hillmann und Fiacre Tiendrebeogo.

Auch in der literarischen Seerose bahnt sich ein Übergang zur nächsten Generation an: mit der Rundfunksprecherin und Kulturveranstalterin Julia Cortis, dem Schriftsteller Thomas Lang, dem Autor und Kulturvermittler Fridolin Schley und dem Kabarettisten Thomas Steierer. Eine Fortsetzung der Seerose, freut sich Brigitta Rambeck, scheint gesichert.

Weitere Infos gibt es unter www.seerosenkreis.de
mil

Artikel vom 27.06.2018
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