Schrecklich schöne Bücherei

Wenn sich Mark Twain und Karl Marx in der Garchinger Bücherei treffen

»Karl Marx« ist Mittwoch, 9. Mai, 19.30 Uhr »beim Barbier« in der Stadtbücherei Garching, wo sich jüngst Mark Twain über die »schreckliche deutsche Sprache« aufregte.  	Fotos: dm

»Karl Marx« ist Mittwoch, 9. Mai, 19.30 Uhr »beim Barbier« in der Stadtbücherei Garching, wo sich jüngst Mark Twain über die »schreckliche deutsche Sprache« aufregte. Fotos: dm

Garching · Lesen ist nicht nur schön, sondern macht auch schön. Das ist die Maxime der Stadtbücherei Garching. Schöne Leseabende gehören dazu, etwa über »Karl Marx beim Barbier« oder »Mark Twain und die schreckliche deutsche Sprache«.

Die stellvertretende Büchereileiterin Claudia Bruch setzt sich dafür ein, dass die Garchinger immer mit gutem Lesestoff versorgt sind. Aber einfach nur ausleihen – ist sowas von gestern. Heute läuft es so, dass die Bücherei ungefähr zweimal im Monat ein Buch aus einem Regal herauspickt und ein Event darum baut.

Die Bücherei bietet eine Plattform für Vernissagen von Künstlern und Hobby-Künstlern, an Donnerstagen um 15.30 Uhr lädt sie Kinder zum Vorlesenachmittag ein. Heute Abend kommt allerdings Satire aus dem Mikrofon des Rednerpults.

Martin Pfisterer ist Theaterschauspieler und Hörbuchsprecher. Bruch kennt ihn und dachte gleich an seine Stimme, die lebhaft aus einem Essay von Mark Twain vorlesen soll. Es soll um »Die schreckliche deutsche Sprache« gehen. Doch warum pickte Claudia Bruch, die fast blind weiß, wo was steht, ausgerechnet dieses Buch heraus? Findet sie etwa auch, dass die Sprache, in der fast alle Werke der Bücherei geschrieben sind, »schrecklich« ist? »Man darf hier Mark Twain nicht ernst nehmen. Er schrieb mit spitzer Feder und dies ist für den Leser – oder wie heute für die zirka 100 Hörer – herrlich komisch.« Deutsch sei ihrer Meinung nach eine Sprache der Sorgfalt, in der sich vieles präzise ausdrücken ließe. »Und gerade das Bayerisch ist ein wunderbarer Dialekt dieser Sprache«, fügt sie hinzu. Sie selbst spricht zwar »sauberes« Hochdeutsch, kann Bayerisch aber sehr gut verstehen. »Und nach einem Glas Bier kann ich es auch sprechen«, lacht sie und kündigt die Lesung an:

Ist Deutsch wirklich so eine »schreckliche« Sprache, wie viele behaupten? Wenn es nach dem weltberühmten Schriftsteller Mark Twain geht, ist »das Leben zu kurz, um Deutsch zu lernen«. Zumindest wird ihm dieses Zitat zugeschrieben. Ob er es wirklich so sagte, ist nicht bestätigt. Viele Zugereiste, die sich der deutschen Sprache ermächtigen wollen, mögen es allerdings in Zeiten ihrer Lernfrustration nachempfinden, denn Deutsch sei wohl eine – etwas milder ausgedrückt – »eigene« Sprache und nicht gerade einfach in ihrer Komplexität oder eher gesagt Konfusion. Der, die oder das – das dürfte doch ein Kinderspiel sein? Am Geschlecht eines Wortes, biss sich der Amerikaner oftmals die Zähne aus. »The girl«, also »das Mädchen«, trieb Twain einfach in den Wahnsinn (warum nicht »die Mädchen?«), genauso wie die Nuancen der deutschen Deklination, etwa in: »mein guter Freund, meines guten Freundes, meinem guten Freund...«. Welch »unerschöpfliche Quelle der Verwirrung« unsere Sprache doch sei. Dann in Deutschland lieber gar keine Freunde haben, schrieb Twain ironisch. Das wäre einfacher.

Die »Sprache der Dichter und Denker« habe zur Regel, dass sie eben mehr Ausnahmen als Regeln hat – meistens, nicht immer. Zudem seien laaange Wörter und Sätze wohl eine Angewohnheit der »geübten« Schreiber, die Twain besonders ins Schwitzen brachten. Deutsch eine klare Sprache? Durch Überpräzisionierungen schwebe sie eher im Unklaren.

Redakteure würden sich ellenlange Wörter ausdenken, die in Wörterbüchern nicht existieren und Deutsch immer wirrer machen. Damit wird er wohl unwörterbuchkonforme Wortaneinanderreihungserfindungsabsichten, bei denen sich eine so wichtige Wortart, nämlich das Verb oder auch in Grundschulen »Tu-Wort« genannt, auch noch unpraktischerweise am Ende oder gar schon auf der nächsten Spalte einer Zeitung versteckt, da in den rattenschwanzlangen und adjektivgetränkten Sätzen viele verschachtelte Einschübe und Nebenbemerkungen vorfindbar zu sein scheinen, gemeint haben (Anm. d. Red.: Die Redaktion gibt ihr Bestes und verspricht, sich die Kritik im Buch zu Herzen zu nehmen!).

Wer Deutsch kann, findet die Sprachspiele doch spaßig, aber zum Bedauern all derer, die sie als Fremdsprache von der Pike auf perfekt erlernen. Laut Twain sei dies eh nicht möglich, stamme man nicht gerade aus einem deutschsprachigen Land. Dies soll aber keineswegs den aus fern zugereisten Leser davon abhalten und ihn entmutigen, durch Zeitunglesen die Sprache zu lernen.

Nichts ist unmöglich: Ein Deutsch-Ass zu werden braucht zwar ein gutes Händchen und einen großen Ärmel für dieses Ass, aber möglich ist es durchaus. Jahre später und einen halb-wütend/halb-ironisch gemeinten Satire-Essay später schaffte es dann auch der große Schriftsteller Twain: Er gab eine ausgezeichnete Rede in Wien – auf Deutsch. Dabei behauptete er doch, dass die Sprache und vor allem deutsche Zeitungen die Leser maßlos erschöpfen würden. Das wird ja wohl bestimmt ironisch gemeint gewesen sein. Oder? Von Daniel Mielcarek

Artikel vom 01.05.2018
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