Interview mit Bürgermeister Josef Schmid: Wie bewältigt München den Mangel an Fachkräften?

München · »Es fehlt an allen Ecken und Enden«

Josef Schmid: »Am Anfang herrschte große Euphorie, aber die Realität sieht anders aus. – Münchens Unternehmen schaffen Arbeitsplätze und zahlen Steuern.«	Bilder: Sabrina Flemmig

Josef Schmid: »Am Anfang herrschte große Euphorie, aber die Realität sieht anders aus. – Münchens Unternehmen schaffen Arbeitsplätze und zahlen Steuern.« Bilder: Sabrina Flemmig

München · Münchens Wirtschaft boomt und wächst. Nur eines kann sie ausbremsen: die immer größeren Probleme der Betriebe, Nachwuchs und Fachkräfte zu finden. Wie steht es um die Fachkräfte und den Nachwuchs in München? In welchen Branchen ist der Fachkräftemangel bei uns spürbar? Was tut die Stadt? Was die Betriebe? Worauf müssen wir uns einstellen? Johannes Beetz sprach darüber mit Wirtschaftsbürgermeister Josef Schmid.

»Unternehmen sorgen dafür, dass es dem Einzelnen gut geht«

Eine Stadt wie München wird vom Mittelstand getragen. Die mittelständischen Betriebe tun mehr als »nur« ihren Job – sie spülen Steuereinnahmen in die städt. Kasse, sie bilden junge Leute aus, sie bieten wohnortnahe Arbeitsplätze. Damit tragen sie wesentlich zur Lebensqualität unserer Stadtgesellschaft bei. Stellt der Fachkräftemangel diesen Lebensstandard in Frage?

Josef Schmid: Viele meinen, Wirtschaftspolitik sei nur Politik für Unternehmer. Es geht aber um Arbeitnehmer und die Stadt. Münchens Unternehmen schaffen Arbeitsplätze und zahlen Steuern: Die Gewerbesteuer, die die Stadt so einnimmt, bewegt sich bei 2,5 Milliarden Euro. Bei einem Gesamthaushalt von 6,9 Milliarden Euro ist das ein erheblicher Teil.

Mit diesen Steuern können wir den dritten Arbeitsmarkt schaffen und Menschen mitnehmen, die sozial abgehängt sind. Wir können die Verkehrsinfrastruktur bezahlen, die allen zugute kommt. Und wir können in Bildung investieren – beispielsweise Schulgebäude finanzieren.

Außerdem bieten florierende Unternehmen sichere und wohnortnahe Arbeitsplätze: Gegenwärtig gibt es in München an die 880.000. So sorgen Unternehmen und Wirtschaftspolitik dafür, dass es dem Einzelnen gut geht, dass der Einzelne Einkommen, Sicherheit und Zukunft hat – und dass er sich Wohlstand schaffen kann. Dafür brauchen die Unternehmen aber Nachwuchs und Fachkräfte.

»So viele hatten wir noch nie«

Den Nachwuchs- und Fachkräftemangel sehen Betriebe und Kammern mit immer größerer Sorge. Der Arbeitsmarkt sei leergefegt, der Wettbewerb um Mitarbeiter werde immer schärfer. Teilen Sie die Einschätzung?

Josef Schmid: Ich teile diese Einschätzung voll. Wir konnten vergangenes Jahr einen Rekord beim Beschäftigungsaufbau verzeichnen: So sind in München 25.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftige in einem Jahr neu dazugekommen. So viele hatten wir noch nie. Das zeigt, wie groß auch der Bedarf ist. Wie in den Jahren zuvor haben wir zugleich an die 2.000 Ausbildungsplätze nicht besetzen können. Das ist ein echtes Problem. Der Fachkräftemangel läuft Gefahr, zur Wachstumsbremse zu werden: Die Betriebe könnten noch mehr wachsen, noch mehr Steuern zahlen, noch mehr Menschen beschäftigen und für noch mehr Wohlstand sorgen; wir könnten mit mehr Steuern mehr Soziales bewirken – wenn es mehr Fachkräfte gäbe.

»Wir haben einen massiven Mangel«

Vor dem Problem stehen ja nicht nur Handwerker. Bei der MVG fehlen Fahrer, in Kitas Erzieherinnen, in Schulen Lehrer, in Kliniken Pflegepersonal. In welchen Branchen ist der Fachkräftemangel bei uns spürbar, in welchen nicht?

Josef Schmid: Neben dem Handwerk gibt es massive Probleme bei der Suche nach Erzieherinnen und Erziehern sowie nach Pflegerinnen und Pflegern im Krankenhausbereich. Mittlerweile fehlt aber auch der MVG Personal, z.B. U-Bahn-Fahrer.

Am stärksten werden Arbeitnehmer im so genannten MINT-Bereich, also beispielsweise Naturwissenschaftler, Techniker und Ingenieure gesucht, während es für Geisteswissenschaftler hingegen schwer ist, in Beschäftigung zu kommen. Alles das spüren wir auch als Landeshauptstadt: Uns fehlen nicht nur Erzieherinnen und Pflegekräfte, sondern inzwischen auch Mitarbeiter im Verwaltungsdienst, die die klassische Beamtenlaufbahn bei der Stadt beginnen. Ebenso haben wir bei den Ingenieuren im Baureferat einen massiven Mangel Es fehlt an allen Ecken und Enden.

»Für qualifizierte Arbeitnehmer gibt es gute Möglichkeiten«

Für Arbeitnehmer öffnen sich hingegen viele Möglichkeiten und Chancen. Wer eine vernünftige Ausbildung hat, wird kaum Schwierigkeiten haben, einen Job zu finden. Ist der Fachkräftemangel demnach gar nicht so schlimm?

Josef Schmid: Was gerade passiert, ist ein typisches Zeichen der Hochkonjunktur. Wir sind in München auf dem Weg zur Vollbeschäftigung. Der Wert der einzelnen Arbeitskraft steigt: Für qualifizierte Arbeitnehmer gibt es gute Möglichkeiten. Andererseits ist eine Arbeitslosenquote von null Prozent volkswirtschaftlich nichts Wünschenswertes. Denn eine dynamische Wirtschaft braucht immer ein gewisses Arbeitskräftereservoir. So erleben derzeit also nicht hohe Arbeitslosigkeit mit enormen Kosten für das Gemeinwesen, sondern das umgekehrte Problem: die Knappheit an Arbeitnehmern als Wachstumsbremse.

»Wir haben uns geöffnet«

Wie binden wir Gruppen wie gering Qualifizierte ein? Gibt es Ressourcen, die wir besser nutzen können?

Josef Schmid: Das ist zur Zeit das Mittel der Wahl, wenn man die ausgebildete Fachkraft nicht bekommt. Auch wir als Landeshauptstadt haben uns vor einigen Jahren geöffnet: Weil zu wenige die klassische Ausbildung zur Verwaltungsfachkraft einschlagen, beschäftigen wir in diesem Bereich auch Personen wie Büro- oder Speditionskaufleute, die eine kaufmännische Ausbildung haben. In den Verwaltungstätigkeiten werden sie dann zusätzlich geschult. So versuchen wir, dem Bedarf nachzukommen.

»Wir brauchen Zuwanderer, die auf unsere Jobprofile passen«

Viele Betriebe sind bereit, Flüchtlinge zu beschäftigen, scheitern aber an bürokratischen Hürden. Funktioniert die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt?

Josef Schmid: Am Anfang der Flüchtlingswelle herrschte eine große Euphorie, aber die Realität sah und sieht anders aus. Wir brauchen sehr viel länger für die Qualifizierung: So dauert es bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen mindestens zwei Jahre, bis sie die Sprachkenntnisse und den qualifizierenden Abschluss nachgeholt haben; danach folgen drei Jahre Berufsausbildung mit Unterstützung. Diesen Weg gehen wir weiter, aber er ist beschwerlicher als gedacht.

Unter den Erwachsenen sind viele Ungelernte, hier sind 5 Jahre das absolute Mindestmaß für eine Integration in den Arbeitsmarkt. Bei den Flüchtlingen rechnen wir mit einer Erwerbsquote von 50 Prozent. Das heißt: Die Hälfte kann arbeiten. Nur zehn Prozent der Flüchtlinge können sofort eingesetzt werden, weitere zehn Prozent haben eine Ausbildung, die aber nicht adäquat ist: Klar ist aber auch: Diejenigen Frauen und Männer, die bei uns bleiben dürfen, müssen wir sofort qualifizieren. Ich befürworte deshalb absolut das »3 plus 2«-Modell (»3 plus« bedeutet, dass ein Flüchtling während der dreijährigen Zeit seiner Ausbildung und zwei anschließenden Jahren in Deutschland bleiben und arbeiten darf – Anm. d. Red.) .

Ich weiß aus dem Betrieb meiner Eltern, welch großer Aufwand Ausbildung gerade für kleine Betriebe bedeutet. Wer eine Ausbildung macht, der muss danach zwei Jahre bleiben können, damit es sich sowohl für den Arbeitnehmer als auch für den Betrieb rechnet. Das ist dringend erforderlich! Wir müssen zwischen Kriegsflüchtlingen, Asylsuchenden und Wirtschaftsflüchtlingen trennen. Wir brauchen Zuwanderer, die auf unsere Jobprofile passen. Gerade aus wirtschaftlicher Sicht ist es höchste Zeit, dass hier etwas getan wird. Ein Zuwanderungsgesetz war auch in meiner Partei immer umstritten, es muss aber niemand Angst haben, dass dadurch eine Hintertür für Wirtschaftsflüchtlinge geöffnet wird.

»Die Not ist scheinbar noch nicht groß genug«

Wer jung ist und eine Familie gründen will, tut sich in München schwer, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Eine Fachkraft, die keine Wohnung findet, wird hier aber kaum einen Job annehmen. Einrichtungen wie Städt. Klinikum und Unternehmen beginnen wieder, Werkswohnungen zu bauen oder Belegungsrechte für ihr Personal zu erwerben. Wie schaffen wir es, rasch Wohnraum für die nötigen Fachkräfte zur Verfügung zu stellen?

Josef Schmid: Es gab eine städtische Initiative, an Unternehmen heranzutreten, damit sie wieder wie früher Werkswohnungen bauen. Unsere Appelle haben wenig bewirkt; scheinbar ist die Not für die Unternehmen noch nicht groß genug. Mit unseren städtischen Unternehmen setzen wir aber solche Projekte um. Demnächst werde ich ein innovatives neues Projekt vorstellen: Unsere Wohnungsbaugesellschaften werden Auszubildendenwohnungen bauen, in die sich Münchner Handwerksbetriebe einkaufen können. Das sind Appartements, von deren Miete die Arbeitgeber einen Teil übernehmen. Mit diesem Ansatz könnte es gelingen. Aber auch, wenn unsere Gesellschaften bauen, was geht, ist es für die Stadt schwer, denn das zentrale Problem in München ist der begrenzte Grund und Boden.

»Die U-Bahn bis Germering verlängern«

Die entscheidenden Probleme – Wohnraum, Fachkräfte, Infrastruktur – können München und sein Umland nicht ohne einander lösen. Arbeiten die Kommunen hier zusammen?

Josef Schmid: Das tun wir. Der Oberbürgermeister, ich und alle Stadträte senden Signale der Zusammenarbeit aus und bekommen positive Signale aus dem Umland zurück. Dort sagt man, dass jetzt ein besseres Klima herrscht als früher. Es ist aber noch ein weiter Weg, bis diese Zusammenarbeit Früchte trägt. Wir brauchen neben Wohnungen auch die verkehrsinfrastrukturellen Voraussetzungen wie den U-Bahn-Ausbau. Neben der U6 nach Martinsried ist die U5 nach Pasing beschlossen und ihre Verlängerung nach Freiham erklärt. Die Stadt Germering wünscht sich da eine Verlängerung bis nach Germering. Das halte ich für sinnvoll - so müssen wir denken. Andere Umlandgemeinden wünschen sich beispielsweise eine Erweiterung des S-Bahn-Netzes oder des MVV-Verbundraumes. Außerdem gehört bei Bauvorhaben das Verkehrskonzept von Anfang an dazu: Wir können auch in München größere Vorhaben nur realisieren, wenn wir den Bürgern eine Lösung dafür geben, wie sie sich in einer immer voller werdenden Stadt bewegen können.

»Die allermeisten erkennen die Chance«

Was raten Sie Betrieben, die Fachkräfte suchen? Mit »mehr zahlen« ist es ja kaum getan.

Josef Schmid: Ich rate, für den Eigenbedarf auszubilden. Es lohnt sich, auch mal einen Jugendlichen anzustellen, der in seinem Lebenslauf schon gewisse Brüche aufweist und sich in der Schule vielleicht nicht leicht getan hat. Die Stadt zeichnet Betriebe, die das tun, mit dem Erasmus-Grasser-Preis aus. Von allen, die dabei mitmachen, haben wir ein positives Feedback: Vielleicht braucht der eine oder andere ein bisschen mehr Zuwendung, aber die allermeisten erkennen die Chance, die sich dadurch für ihr Leben ergibt und werden tolle Mitarbeiter.

»Der Mensch beginnt nicht erst beim Studium«

Viele Berufe leiden völlig zu Unrecht unter einem schlechten Image. Das Ansehen von Menschen, die in Sozialberufen arbeiten, ist nicht besonders hoch. Viele Eltern können sich zudem gar nicht mehr vorstellen, dass ihre Kinder einmal nicht studieren. Setzen wir die falschen Prioritäten?

Josef Schmid: Die Lösung liegt nicht darin, dass alle Abitur haben. Sie liegt darin, das Begabungen und praktische Talente früh erkannt und gefördert werden. Viele, die sich beim Lernen schwer tun, haben hervorragende praktische Fähigkeiten. Der Mensch beginnt nicht erst beim Studium! Das ist ein ganz wichtiger Aspekt. Eltern denken manchmal »Mein Kind soll es mal besser haben« und mit dem Abitur wird verbunden, dass es automatisch besser wird. Das wird es aber nicht gezwungenermaßen. Auch alle anderen Ausbildungswege sind gut. Wir alle müssen die Wertschätzung dafür zeigen. Monetär findet das ja mehr und mehr statt.

»Wir haben das Erfolgsmodell«

Die Stadt München ist stolz auf ihr Schulsystem, zu dem viele Berufs- und Fachschulen gehören. Sind wir damit gut aufgestellt für die Herausforderungen des Fachkräftemangels?

Josef Schmid: München ist eine Berufsschulstadt mit langer Tradition. Schon früh wurde hier ein kommunales Schulsystem entwickelt und wir sind froh, es zu haben. Dabei haben wir keineswegs eine schlechte schulische Versorgung durch den Staat, doch können wir mit aufgrund des ausgeprägten städtischen Schulwesens eine Menge bewirken. Das gilt vor allem für das Berufsschulwesen, zumal wir mit der dualen Ausbildung das Erfolgsmodell schlechthin haben Es gibt nichts besseres. Wir werden von der ganzen Welt danach gefragt, denn jeder sieht: Unsere Qualität haben wir dem dualen System zu verdanken.

»Nicht in Stadtgrenzen denken«

Heuer sind Landtagswahlen: Wo sehen Sie auf Landesebene Möglichkeiten, die Herausforderungen anzugehen?

Josef Schmid: In den letzten Jahren haben Stadt und Staat – anders als früher - vieles gemeinsam gemacht. Das betrifft u.a. die Arbeitsplätze von morgen. München will Digitalisierunghauptstadt und das Zentrum im Bereich künstliche Intelligenz und Internet der Dinge werden. Da sind wir weit vorne, weil wir eine breit aufgestellte Wirtschaft und Unternehmen haben, die mit handfesten Produkten etabliert sind und zugleich längst Impulse aus dem digitalen Bereich aufnehmen. Man darf nicht mehr in Stadtgrenzen denken und selbstständig agieren. Stadt und Land müssen Hand in Hand gehen.

Wenn mir die Bürger bei der Landtagswahl ihr Vertrauen schenken, werde ich genau diese Erfahrungen als Wirtschaftsbürgermeister der größten deutschen Kommune und des größten deutschen Wachstumsraumes einbringen.

Artikel vom 24.02.2018
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