Bewohner und Pflegekräfte berichten aus dem Alltag

Neue Heimat Altenheim?

München · Gerade in den letzten Monaten haben sich negative Schlagzeilen über die Betreuung von Senioren in Altenheimen gehäuft.

Doch ein Umzug ins Altenheim muss nicht gleich Vernachlässigung bedeuten: Ein sonniger Nachmittag im Innenhof des BRK-Altenheims „Haus Alt Lehel“. Besucher und Bewohner sitzen beim Kaffee. Es ist friedlich hier. Die 90-jährige Helene Goerigk hat ihren Gehwagen neben dem Kaffeetisch geparkt und wartet auf die Bedienung.

„Ich möchte nur ein Stück Kuchen, Sie wissen schon, den saftigen“, sagt sie. Und als die Bedienung erwidert „Alles klar, bringe ich gleich“, sagt Frau Goerigk: „Sie ist eine Seele von Mensch, so nett.“

Helene Goerigk fühlt sich wohl im „Haus Alt Lehel“, das seit fast vier Jahren ihr Zuhause ist. Damals war es ihre Tochter, die den Umzug in das Münchner Heim vorschlug.

„Mit 90 Jahren bin ich ein bisschen krank geworden“, erzählt die Seniorin. „Meine Tochter hat mir das Zimmer hier gesucht und ich war vom ersten Tag an hundertprozentig zufrieden. Ich bin mit Freude eingezogen, weil ich gewusst habe, dass ich nicht mehr gut alleine leben kann.“

Also löste Frau Goerigk, die noch nie zuvor ein Altenheim von innengesehen hatte, ihre Wohnung in Düsseldorf auf. Am schwierigsten sei es gewesen, von ihren Möbeln auszuwählen, was gut ins Zimmer im „Haus Alt Lehel“ passen würde. Ein bisschen Düsseldorf hat sich die alte Dame erhalten: Obwohl ihre Augen und ihr Gehör nicht mehr so gut sind, liest sie jeden Tag die „Westdeutsche Zeitung“. Sie merkt, dass ihre Kräfte nachlassen und ist froh, dass sie in einem geschützten Rahmen lebt, in dem sie auf die Hilfe Anderer vertrauen kann. „Wenn es so bis zu meinem Ende bleibt, bin ich sehr zufrieden.“

Bewusst für den Umzug ins Altenheim entschieden hat sich auch Gisela Nehm. Vor etwas mehr als zwei Jahren ist sie in das Schwabinger Caritas-Heim St. Nikolaus gezogen. „Ich habe vorher gar nicht soweit weg gewohnt“, erklärt die 89-Jährige und deutet mit der Hand quer durch den Englischen Garten in Richtung Bogenhausen. „Damals hatte ich einen Schlaganfall. Meine Söhne haben versucht mich zu erreichen. Dann haben sie die Tür zu meiner Wohnung öffnen lassen. Ich muß wohl zwei Tage bewusstlos dort gelegen sein.“ Der Vorschlag zum Umzug nach St. Nikolaus kam dann von der Schwiegertochter.

Nein, ganz freiwillig hat Gisela Nehm die Wohnung in Bogenhausen nicht gegen das Appartement eingetauscht. Sie tat es der Sicherheit zu Liebe. „Seit mein Mann gestorben ist, lebte ich allein. Ich fühle mich einfach sicherer, wenn ich weiß, dass jemand da ist, der mir im Notfall helfen kann“, meint Frau Nehm. Zweimal die Woche kommt eine Ärztin vorbei - zur Routineuntersuchung. „Ich habe den Umzug nicht bereut, dieses Zimmer ist jetzt mein Zuhause.“

Dass sich die Bewohner von St. Nikolaus so wohl fühlen ist nicht zuletzt der Verdienst des ehrenamtlichen Helferinnenkreises. Regelmäßig besuchen acht „Ehrenamtliche“ die Bewohner des Heimes, gehen spazieren, lesen vor, begleiten zu Veranstaltungen. Ein Lächeln, ein aufmunterndes Wort, eine Viertelstunde Zuhören - mehr ist oft gar nicht notwendig um das Leben der Senioren freundlicher zu gestalten.

Die Frauengruppe entstand auf Initiative von Gisela Kaiser. Ihre Mutter lebt in St. Nikolaus. Frau Kaiser besucht sie jeden Tag, dabei kam ihr die Idee, auch für andere Bewohner etwas zu tun. Unter den engagierten Mitgliedern der Gemeinde in der der Erlöserkirche fand sie Gehör.

Die Besuche sind für die Bewohner zu einem wesentlichen Element ihres Tagesablaufs geworden. „Man lernt hier, sich auf sein eigenes Alter vorzubereiten und ihm anders zu begegnen. Ich bin viel toleranter geworden seit ich Besuchsdienst mache“, erklärt Gabriele von Kettler. Schwer ist es für die Helferinnen, wenn ein Bewohner stirbt, zu dem sie im Laufe der Zeit ein persönliches Verhältnis aufgebaut hatten. „Das ist ein richtiger Verlust.“

Die Schatten-Seiten ihres Berufes kennt auch Alexandra Anstett zur Genüge. Mit 25 Jahren ist sie nicht nur die jüngste sondern auch die am längsten beschäftigte Leitungskraft im „Haus Alt Lehel“. Sie hat Verantwortung für 27 Bewohner der Pflegestation, 20 Altenheimbewohner und 9 Kollegen übernommen. Das bedeutet ihr Tagesablauf muß gut organisiert sein, damit jeder Bewohner zu seinem Recht kommt.

„Früher war es einfacher. Wir hatten mehr Mitarbeiter und auch mehr Zivildienstleistende. Da konnte man sich wesentlich mehr Zeit nehmen. Der Knick kam mit der Pflegeversicherung“, erklärt die junge Stationsleiterin. Ihr „Tick“, wie sie es nennt, ist darauf zu achten, dass die Bewohner ausreichend trinken. Bei Pflegebedürftigen führt sie darüber sogar Bilanz. Es sind die kleinen Erfolge die ihr Mut machen.

„Wir betreuen eine Bewohnerin, die seit drei Jahren bei uns ist. Am Anfang lag sie wegen ihrer Erkrankung nur im Bett. Inzwischen hat sie solche Fortschritte gemacht, dass sie im Rollstuhl sitzen und sogar wieder allein essen kann“, freut sich Alexandra Anstett. Einmal im Jahr fährt die Station vom Lehel zum Oktoberfest. „Das ist sehr spannend, denn dann sehe ich die Bewohner, die sonst nur aus Schnabeltassen trinken wollen, plötzlich Maßkrüge stemmen“, lacht die 25jährige. ct

Artikel vom 07.11.2001
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