Schutz vor Armut oder Kapitulation?

Bedingsloses Grundeinkommen: Neufahrner SPD diskutiert über Pro und Contra

Reimund Acker (li.) stellte seine Überlegungen ausführlich vor, konnte Isabell Zacharias und Andreas Mehltretter (v. re.) aber nicht vollständig überzeugen.	Foto: VA

Reimund Acker (li.) stellte seine Überlegungen ausführlich vor, konnte Isabell Zacharias und Andreas Mehltretter (v. re.) aber nicht vollständig überzeugen. Foto: VA

Neufahrn · Über dreißig Interessierte kamen nach Neufahrn in den Gasthof Maisberger, wo SPD-Bundestagskandidat Andreas Mehltretter und die Landtagsabgeordnete Isabell Zacharias mit Reimund Acker vom Netzwerk Grundeinkommen das Für und Wider eines bedingungslosem Grundeinkommens diskutierten.

Ziel des Netzwerks ist, das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) auf die Agenda aller politischen Parteien in Deutschland zu setzen.

Acker sieht das BGE vor allem als emanzipatorisches Projekt, das die Freiheit jedes Einzelnen stärke. Das derzeitige Verknüpfen von Sozialleistungen mit Bedingungen wie etwa einer bestimmten Bedürftigkeit führe zu unnötig großer Bürokratie, Sanktionen, Neiddebatten und Schamgefühlen. So nutze jeder zweite Bürger in Deutschland Leistungen nicht, obwohl ein Anspruch darauf bestehe. Auch die halbe Million Verfahren vor Sozialgerichten jedes Jahr würden mit einem BGE überflüssig. Dadurch, dass Menschen mit einem Grundeinkommen Arbeiten nachgehen, die ihnen Freude bereiten, stärke es den Respekt vor Arbeit, die Motivation der Arbeitnehmer, reduziere den Stress und verbessere so die Gesundheit der Bevölkerung. Laut Studien würden die meisten Menschen auch mit einem BGE weiterarbeiten, führte Acker aus.

Andreas Mehltretter und Isabell Zacharias waren davon nicht überzeugt und fragten nach, wie Konzepte zu einem Grundeinkommen höhere Bedürfnisse einzelner, zum Beispiel Behinderter oder chronisch Kranker, berücksichtigen. Auch die Frage nach der Finanzierbarkeit wurde gestellt. Beides sei kein Problem, so Reimund Acker, weil jedes Grundeinkommens-Konzept erhöhte Bedürfnisse berücksichtige.

In Deutschland geht es um 800 bis 1.000 Euro pro Person und Monat

Solange das BGE nicht aus Schulden finanziert werde, sondern aus dem bereits vorhandenen Steueraufkommen, werde es auch finanzierbar bleiben, weil »alles, was erwirtschaftet wird, auch finanzierbar ist«. Für Deutschland müsste laut Reimund Acker das Grundeinkommen bei etwa 800 bis 1.000 Euro monatlich pro Person liegen.

In der weiteren Diskussion wurde auch das Thema der Digitalisierung aufgeworfen. Wenn sie so viele Arbeitsplätze vernichte wie derzeit prognostiziert, könnte ein BGE sogar zur Notwendigkeit der Armutsverhinderung werden, überlegte Mehltretter. Allerdings führe die Digitalisierung auch zu einer Fragmentierung der Arbeitswelt in besonders gut bezahlte Jobs für Hochqualifizierte und besonders schlecht bezahlte Jobs für gering und unqualifizierte Arbeitnehmer, weil von der zunehmenden Automatisierung vor allem Berufe der Mittelschicht betroffen seien. »Für dieses Problem ist das bedingungslose Grundeinkommen keine Lösung«, befand Mehltretter.

Zum Schluss holte Isabell Zacharias ein Meinungsbild im Publikum ein. Tatsächlich konnten sich die meisten Zuhörer die Einführung eines BEG grundsätzlich vorstellen, bekannten aber auch, nicht restlos überzeugt zu sein. Nur zwei Zuhörer waren grundsätzlich dagegen.

Damit ging es den beiden SPD-Vertretern am Ende ähnlich wie den meisten im Saal: Eine spannende Diskussion zu einem wichtigen Thema, die gesellschaftlich geführt werden muss, aber keine vollständige Überzeugung. Am Ende blieb die Erkenntnis: Bis das bedingungslose Grundeinkommen tatsächlich kommen kann, ist es noch ein weiter Weg – wenn überhaupt.

Artikel vom 06.09.2017
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