»Brücke in guten Händen«

Immer mehr Migranten: Bezirksausschuss 5 befasst sich mit Obdachlosen

Seit Jahrzehnten schlafen Obdachlose unter der Wittelsbacherbrücke. Im Bezirksausschuss Au-Haidhausen sind sie vor kurzem zum aktuellen Thema geworden.	Foto: js

Seit Jahrzehnten schlafen Obdachlose unter der Wittelsbacherbrücke. Im Bezirksausschuss Au-Haidhausen sind sie vor kurzem zum aktuellen Thema geworden. Foto: js

Au/Isarvorstadt · Seit Jahrzehnten schon schlafen Obdachlose unter der Wittelsbacherbrücke. Von den Streetworkern der Teestube Komm des Evangelischen Hilfswerks in der Zenettistraße wird der Ort deshalb regelmäßig aufgesucht.

Doch das Klientel hat sich verändert – oft treffen die Sozialarbeiter dort nun auch auf Zuwanderer. Im Bezirksausschuss Au-Haidhausen (BA 5) ist das Thema diskutiert worden.

Sorgsam kehrt ein junger Mann, etwa 25 Jahre alt, den Boden vor seinem Bett. Er schüttelt sein Kopfkissen auf, legt es auf seine Matratze, nimmt einen Behälter mit Flüssigseife in die Hand. Kurze Zeit später kommt er mit nassen Haaren von der Isar zurück und beginnt erneut unter der Brücke zu fegen. »Den kenne ich noch gar nicht«, sagt Frank Kumpfmüller. Er geht auf den jungen Mann zu und stellt sich vor. Dass er von der Teestube komme, erzählt er. Ja, die Einrichtung kenne er, antwortet sein Gegenüber. Die beiden rauchen eine Zigarette zusammen. Der junge Mann fängt an zu reden.

»Je nachdem wieviel hier und an anderen Plätzen in unserem Straßenbereich los ist, kommen wir ein- bis zweimal pro Woche hierher«, erklärt die Streetworkerin Laura Ecker, Kumpfmüllers Kollegin. Einige Obdachlose betreuen sie schon lange. Manche von ihnen haben sich häuslich unter der Brücke eingerichtet. »Das, was hier aussieht wie ein Möbellager, ist eine relativ gut aufgeräumte Platte«, meint Kumpfmüller. »Platte«, das bedeutet im Jargon der Obdachlosen Schlafplatz.

Zu finden ist auf den Platten unter der Wittelsbacher Brücke so manch Kurioses. Zum Beispiel ein geschmückter Weihnachtsbaum. »Das ist ein Frühlingsbaum«, steht auf einem Schild darunter. Sein Besitzer ist ein etwa 65-jähriger Mann. Er habe den Baum im Winter von einem Christbaumverkäufer geschenkt bekommen, berichtet er. Auf der Straße lebt der Mann nun schon seit einigen Jahren. »Erst musste ich wegen einer Erkrankung meine selbstständige Tätigkeit aufgeben. Dann ist meine große Liebe gestorben«, erzählt er. Nach dem Tod seiner Lebensgefährtin habe er aus der gemeinsamen Wohnung ausziehen müssen und landete auf der Straße.

Doch nicht alle Obdachlosen können den Streetworkern von ihrem Schicksal erzählen. »Immer häufiger begegnen wir Migranten«, erklärt Franz Herzog, Leiter der Teestube Komm. Die Sprachprobleme seien immer wieder problematisch. Noch schwieriger sei aber die rechtliche Situation. »Bei den Zuwanderern sind uns oft die Hände gebunden, weil das soziale Netz hier nicht greift«, sagt Herzog.

Vorrangiges Ziel der Streetworker sei es, die Obdachlosen in Unterkünfte zu vermitteln. Dies sei bei Menschen aus dem Ausland jedoch oft nicht möglich. Zwar gewährleiste der Grundsatz der Freizügigkeit in der Europäischen Union, dass sich Bewohner aus Mitgliedsstaaten innerhalb Europas frei bewegen könnten. Aber Migranten ohne Arbeitsplatz hätten in der Regel in Deutschland keinen Anspruch auf soziale Hilfen. »Viele werden mit Versprechungen hierher gelockt – und einige landen dann auf der Straße«, sagt Herzog.

Das Leben der Obdachlosen unter der Wittelsbacherbrücke findet immerhin in friedlicher Koexistenz mit den übrigen Münchner Bürgern statt. Kürzlich allerdings erreichte den BA 5 ein Schreiben, in dem sich eine Anwohnerin über Vermüllung an der Isar im Bereich der Schlafstätten beschwerte. Das Stadtteilparlament ist anderer Auffassung. Die genutzten Flächen unter der Brücke seien ordentlich, sagte Manfred Bahlmann (Grüne) auf der jüngsten Sitzung des Gremiums: »Der Schmutz, der durch das Grillen an der Isar entsteht, ist viel gravierender.«

Er lebe seit vielen Jahren in der Gegend und es habe mit den Obdachlosen noch nie Probleme gegeben, betonte auch Wolfgang Jahnke (CSU). »Irgendwo müssen diese Menschen Platz finden«, sagte Sylvia-Barbara Schuster (SPD). Die Obdachlosen würden zudem durch soziale Einrichtungen betreut, räumte Bahlmann ein: »Es tut mir zwar in der Seele weh, dass diese Menschen da draußen sind. Aber die Brücke ist in guten Händen.« Julia Stark

Artikel vom 15.05.2017
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