Der Mann vor dem Fenster

Ein sonderbares Erlebnis am Tag vor Heiligabend

Zwei Münchner, die ihre Sicht der Welt in Worte fassen: Moses Wolff vor dem Karl-Valentin-Brunnen.	Foto: cr

Zwei Münchner, die ihre Sicht der Welt in Worte fassen: Moses Wolff vor dem Karl-Valentin-Brunnen. Foto: cr

München · Mein selbstgeschmückter Christbaum steht auf dem Balkon, die unzähligen Kugeln aus glänzendem und mattem Gold werden von der Lichterkette weiß bestrahlt. Ein beruhigender Anblick. Ich sitze am Fenster, blicke den Baum an und vertiefe mich wieder in das Innere meines Laptops.

Ich habe noch eine halbe Stunde Zeit, bis ich zu meinem Auftritt im Lustspielhaus fahren muss. Meine wunderbare Lektorin hat mir das Dokument zu meinem im Mai erscheinenden Roman »Monaco Infernale« zugeschickt und zu meiner großen Beglückung lauter gute Ideen und erfreulich wenig Streichungsvorschläge dazu beigetragen. Es ist der zweite Band meiner Krimireihe um den westfälischen Ermittler Hans Josef Strauß, der gemeinsam mit dem heiter bis grantigen bayrischen Quirin in München kuriose Fälle löst.

Meine Lektorin stammt aus Hessen und fragt mich, ob »Jachenau« ein Ort sei oder eine Gegend. Ich antworte ihr, dass es eine Gegend ist und man daher nicht »Sie fuhren nach Jachenau«, sondern »sie fuhren in die Jachenau« heißen muss.

Auf einmal klopft’s an mein Fenster.
Ich erschrecke etwas.
Mein Zimmer ist nämlich im fünften Stock ohne Feuerleiter. Habe ich mich getäuscht? Da! Ein zweites Mal klopft es. Außer dem Christbaum ist nichts zu sehen. Ich stehe behäbig auf und schlurfe zum Fenster. Meine Augen bemühen sich, etwas zu sehen. Himmel, was ist das denn? Ein freundliches Gesicht blickt in mein zerknirschtes. Ein Mann mit einem weißen Bart.

Gott ist es nicht, das spüre ich. Ich blicke genauer. Er ist rot gekleidet, hat aber keinen Bischofshut auf, sondern eine Mütze mit weißem Bommel. Klar, es ist demnach nicht der Nikolaus, sondern der Weihnachtsmann. Ich öffne das Fenster und lass ihn rein.

Er ist vermutlich hergeflogen und zwar alleine, denn er steigt einfach so aus der Luft zu mir herein. Ich dachte mir schon länger, dass das mit den Rentieren Blödsinn ist.

Ich sage: »Guten Abend. Du bist der Weihnachtsmann, oder?«

»Ja, richtig, ich bin der Weihnachtsmann«, sagt er mit sehr tiefer, heiserer Stimme. »Kann ich mich setzen?«

»Ja, mh, klar.«

»Gut. Gut. Guuuut.«

Er nimmt Platz und schnauft vor sich hin.

»Erschöpft?«, frage ich.

»Ja, ja, sehr erschöpft. Ich habe viel erlebt. Auch: Unangenehmes.«

»Glaub ich gern. Kommt man viel rum, was?«

»Das kannst Du aber annehmen, lieber Freund.«

»Du hast ja gar keine Geschenke dabei?«

»Hast Du mal auf den Kalender geschaut?«

»Oh, ja, stimmt, ist ja erst morgen.«

»Eben.«

Wir sitzen weiter rum. Er schnauft immer noch.

»Sag mal, hast Du vielleicht ein Glas Rotwein da?«

»Ja, ich könnte eine Flasche holen.«

»Gut, guuut.«

Ich gehe raus und hole eine Flasche Rotwein aus der Küche, außerdem zwei Gläser und einen Korkenzieher.

»Manche Leute sagen Korkenzieher«, bemerkt er scharfsinnig, »was ja auch der korrekte Ausdruck ist, andere sagen aber Flaschenöffner, was ja auch für andere Verschließungsformen gelten könnte, zum Beispiel für Kronkorken.«

»Stimmt, das ist mir auch schon mal aufgefallen.«

»Gieß bitte was ein, ich habe großen Weindurst.«

»Gern. – Hier bitte. Zum Wohl.«

»Wohlsein!«, sagt der Weihnachtsmann und trinkt das Glas auf Ex aus.

»Ich trinke immer auf Ex«, sagt er großväterlich. »Dann rutscht das gute Zeug direkt in mich rein.«

»Ich trinke selten auf Ex.«

»Wie kommt’s?«

»Es tut mir nicht gut.«

»Wie äußert sich das? Durch aufstoßen?«

»Manchmal, aber auch durch Übelkeit.«

»Kann ich mir jetzt nicht vorstellen.«

»Tja…«

»Schenk noch mal ein, Junge.«

»Gerne.«

»Gluck, Gluck, Gluck. Der ischt komm il foh!«

»Wie bitte?«

»Comme il faut. Das ist Französisch und heißt ungefähr so was wie: so wie man sich es wünscht. Und ich hab es schwäbisch ausgesprochen, weil es schwäbisch am besten klingt. Komm il foh.«

»Oh.«

»Wusstest du, dass der Nikolaus eine Erfindung der amerikanischen Coca Cola-Industrie ist? In Wirklichkeit gibt’s den nämlich gar nicht.«

»Nein, das hör ich zum ersten Mal.«

»Tja. Kannst noch was lernen vom alten Weihnachtsmann.«

»In der Tat.«

»Hast Du mal den Roman Post Office von Charles Bukowski gelesen?«

»Ja, in der Übersetzung von Carl Weissner.«

»Das ist die beste Übersetzung, die von Carl Weissner, das gefällt mir, dass Du Dir den Namen des Übersetzers gemerkt hast.«

»Ja, ich beschäftige mich gern mit Übersetzern. Ich mochte auch Harry Rowohlt sehr gern.«

»Der sah ein bisschen so aus wie ich, nicht wahr?«

»Stimmt!«

»Weißt Du, wie spät es ist?«

»Zehn nach sieben. Ich muss jetzt auch gleich los zur Show, in meiner eigenen Wohnung.«

»In meiner eigenen Wohnung? Was ist denn das?«

»Das ist mein Kabarettprogramm, das ich gemeinsam mit meinem Gitarristen und Co-Piloten Hansi Krohn regelmäßig aufführe.«

»Aha. Kann ich mitkommen?«

»Klar, obwohl die Leute Dich vermutlich für einen Weihnachtsmann-Darsteller halten und nicht für den Echten.«

»Das passiert mir öfter, ist mir auch ziemlich recht so. Sonst würde ich es nicht aushalten. Hast Du noch’n Schluck? Ich bin etwas unterhopft, also weinmäßig.«

»Ja, natürlich.«

»Ich erscheine übrigens nie tagsüber. Daher sind die meisten Imitate in Kaufhäusern und so weiter völlig unglaubwürdig.«

»Du kommst nur in den Abendstunden?«

»Eigentlich nur nachts, aber die Eltern glauben, dass die Kinder viel Schlaf brauchen, was gar nicht stimmt. Daher komme ich oft auch schon abends. Aber eigentlich nachts. Kann man ja auch logisch schlussfolgern: Wein. Nachts. Mann.«

»Oh, stimmt, klar.«

Die Augen des Weihnachtsmannes glitzern zufrieden.

»So, ich hoffe, ich kann noch etwas hierbleiben.«

»Ich dachte, Du wolltest mitkommen?«

„Ja, aber wie gesagt is’ ja erst morgen Heiligabend. Wie würde denn das aussehen?«

»Gut, dann bleib ruhig da. Wein ist in der Küche.«

»Hast Du einen DVD-Spieler?«

»Ja, hab ich.«

»Du hast doch sicherlich auch ein paar gute Filmchen, oder?«

»Äh, wie meinst du das? Filme mit Damen oder…?«

»Nein, was denkst du von mir? Auf keinen Fall! Ich mein’ diese Art Filme, wo der Weihnachtsmann die Welt rettet.«

»Ich glaub, da muss ich leider passen.«

»Oder zumindest Filme, wo irgendwer anders die Welt rettet, Bruce Willis oder Charles Bronson.«

»Ja, müsst ich welche da haben.«

»Fein, ich glaub, das tut mir jetzt gut.«

»Die Filme sind hier im Regal.«

»Gut.«

»Bist Du dann nachher noch da, wenn ich wiederkomm?«

»Wann kommst Du den wieder?«

»So um Mitternacht.«

»Ich bin mit Sicherheit um elf schon weg.«

»Dann sehn wir uns ja vermutlich nicht mehr.«

»Garantiert sehen wir uns nicht mehr.«

»Gut, dann alles Liebe und fröhliche Weihnachten.«

»Ja, fröhliche Weihnachten.«

Von Moses Wolff

Moses Wolff ist Kabarettist, Schauspieler, Musiker und Autor und steht seit 25 Jahren auf der Bühne. Der Mitveranstalter der Münchner Lesebühne »Schwabinger Schaumschläger« im »Vereinsheim« hat gemeinsam mit Arnd Schimkat das Drehbuch zu »Highway to Hellas«, verfasst, das 2014 mit Christoph Maria Herbst verfilmt wurde. Moses Wolff ist Träger des Schwabinger Kunstpreises 2015.

Artikel vom 23.12.2016
Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp

Weiterlesen





Wochenanzeiger München
 
Kleinanzeigen München
 
Zeitungen online lesen
z. B. Samstagsblatt, Münchener Nord-Rundschau, Schwabinger-Seiten, Südost-Kurier, Moosacher Anzeiger, TSV 1860, ...