Ein Fest für alle

An Weihnachten seinen Nächsten nicht aus dem Blick verlieren

Grünwalds evangelischer Pfarrer Christian Stalter erinnert daran, an Weihnachten den Nächsten nicht aus dem Blick zu verlieren.	Foto: Heike Woschée

Grünwalds evangelischer Pfarrer Christian Stalter erinnert daran, an Weihnachten den Nächsten nicht aus dem Blick zu verlieren. Foto: Heike Woschée

Grünwald · »Lieber Weihnachtsmann, ich bin froh, dass du heute Nacht kommst. Mein kleiner Bruder bittet dich, ihm einen Laster zu bringen. Ich weiß, du kannst es dir nicht wirklich leisten. So bitte ich dich, bringe ihm etwas, wovon du denkst, es ist gut. Mir bringe bitte etwas Schönes mit. Mary. P.S. Und bitte, vergiss die Armen nicht.«

Diese vorsichtig zauberhaften wie herzzerreißenden Zeilen schrieb ein kleines Mädchen, die zehnjährige Mary. Ihren Brief an den »Weihnachtsmann im Rentierland« versteckte sie am Abend des 24. Dezember im Kaminschacht ihrer Wohnung im Jahre 1907. Vor wenigen Jahren wurde der Brief bei Umbauarbeiten entdeckt, und zwar in einem Haus in einem New Yorker Stadtteil, in dem überwiegend irische Einwanderer zu Beginn des 19. Jahrhunderts lebten.

Es lässt einen fast den Atem stocken, wie Mary mit ihrem letzten Satz Weihnachten auf den Punkt bringt. Die andern, die Armen dürfen nicht vergessen werden. Darum geht es. Keine langen Listen, keine ausgefeilten Worte, die mit zittriger Hand schnell noch geschrieben, die eigenen großen Erwartungen deutlich werden lassen. Es geht letztlich bei diesem Fest der Menschwerdung Gottes um die Andern. Mary vergisst dies nicht und unterstreicht mit ihren wenigen Worten am Ende das Eigentliche.

Den überraschenden Fund, den der heutige Besitzer Mr. Matalliano in seiner Wohnung machte, hält er wie einen großen Schatz vorsichtig unter Verschluss. Nicht nur weil der Brief mit schönen Buchstaben geschrieben wurde, auch nicht weil der Brief angesichts seiner Entdeckungsumstände ein historisches Dokument ist. Sondern weil Mary in beeindruckender Ruhe und Selbstlosigkeit schreibt und nichts Besonderes als Geschenk zum Weihnachtsfest erwartet. Sie steht dazu, sie ist wichtig und es wäre schön, wenn sie nicht vergessen werden würde. Aber auch wenn sie selbst nicht das Nötigste zum Leben hat, so darf auf keinem Fall sein, dass die Armen vergessen werden.

Mr. Mataliano konnte durch Nachforschungen in den Archiven herausbekommen, dass Mary zusammen mit ihrer verwitweten Mutter und ihrem Bruder Alfred zu der Zeit am Existenzminimum lebten. Später erst entwickelte sich ihr Leben in New York weiter und es ging ihnen dann besser. In ihrer Bescheidenheit bewegt Mary mich zutiefst. So sollte das Weihnachtsfest sein, denke ich. Wenn Gott in dem Kind in der Krippe uns nahe kommt, wenn er uns in Jesus Christus zeigt, wie wertvoll wir sind, dann kann es auf diese Liebe nur eine Antwort geben. Und sie lautet: Diese Leidenschaft für uns Menschen kann nicht darin enden, allein an sich zu denken.

Die Liebe Gottes rührt uns an und weist uns den Weg zu dem andern, zu unserer Familie, zu unseren Nächsten. Auch wenn ich den Nächsten, den Fremden dann manchmal nicht kenne, so dürfen meine Gedanken und meine Fürsorge ahnend ihm gehören.

Es ist ermutigend, dass so unendlich viele Menschen in dieser Weihnachtszeit für andere da sind. Wohnungen und Häuser werden sorgfältig geschmückt, um es auch für andere gemütlich zu machen, manche Briefe, und seien es Kurzmitteilungen werden geschrieben, um zu zeigen, du bist nicht vergessen, Telefonate haben mehr als sonst ihre Zeit, Besuche gehören in diesen Wochen zur Tagesordnung und vor allem das gemeinsame Essen und vielerlei Gespräche. Nicht zu vergessen die Geschenke. Sie haben ihren festen Platz inmitten dieser bewegenden Tage. Das alles bringt manchmal mit sich, dass Menschen dabei über ihre Kräfte gehen und diese Wochen wirklich sehr anstrengend sind.

Dennoch ist es so wertvoll, dass Menschen für andere da sind, weil das Wesentliche darin zum Tragen kommt: wir sind wichtig, alle gehören miteinander zu diesem Moment, wenn Gott Mensch wird. Das heißt dann eben auch, dass es dazu gehört, aufmerksam und rücksichtsvoll einander zu begegnen und einander respektvoll wahrzunehmen. So wie Mary eben unbedingt an die Armen, an die anderen gedacht hat und damit die Herzen derer verzaubert, die ihren Brief heute noch lesen.«
Ihr Pfarrer Christian Stalter – Thomasgemeinde

Artikel vom 21.12.2016
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