Das ungerechte Land

München · Flüchtlinge fühlen sich vom Staat diskriminiert

Mustafa, Adeel, Narges und Sherzad (v. li.) klagen an: Duldung ist menschenunwürdig.	Foto: cr

Mustafa, Adeel, Narges und Sherzad (v. li.) klagen an: Duldung ist menschenunwürdig. Foto: cr

München · Das deutsche Asylrecht sei nicht für Wirtschaftsflüchtlinge gemacht. Das hat CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer in seinem umstrittenen Zitat mit dem »fußballspielenden, ministrierenden Senegalesen« gesagt. Was er nicht gesagt hat: Nicht der Flüchtling entscheidet, ob er als politisch Verfolgter oder wegen wirtschaftlicher Not seine Heimat verlässt, sondern wir als Nation, die sich mit dem Asylrecht Beurteilungskriterien geschaffen hat.

Artikel zum Thema:
Samstagsblatt München-Redakteur Carsten Clever-Rott über Spielbälle der Weltpolitik
Artikel vom 30.09.2016: So seh ich das! Zum Thema der Woche: Flüchtlinge fühlen sich vom Staat diskriminiert

Asylbewerber in München und im Landkreis

Kriterien, an denen eine stattliche Anzahl an Asylbewerbern scheitern.

Auf dem Sendlinger-Tor-Platz protestieren rund 50 geduldete Flüchtlinge seit 7. September gegen eine aus ihrer Sicht menschenrechtsverletzende Behandlung. Sie wollen vor allem mit hochrangigen Politikern über ihre Lage und einen Ausweg sprechen. Bisher hat sich kein hoher Mandatsträger zum Dialog am Sendlinger-Tor-Platz eingefunden. Dass das noch passieren wird, ist eher unwahrscheinlich und kann einer Verlängerung der so bezeichneten Dauerversammlung im Wege stehen.

Bis zum Redaktionsschluss des Samstagsblattes war nicht klar, ob die Versammlung über den 30. September hinaus gestattet ist. Johannes Mayer, Sprecher des Kreisverwaltungsreferats (KVR) hatte zuvor bestätigt, dass für das Protestcamp eine Verlängerung bis 16. Oktober beantragt wurde. Die Entscheidung darüber sei vor allem Ermessenssache und könne daher auch kurzfristig getroffen werden.

Unabhängig von einer möglichen Verlängerung wollen die geduldeten Flüchtlinge am 8. Oktober in München aufbrechen und bis nach Nürnberg zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu einem Protestmarsch aufbrechen und verstoßen dabei unter Umständen auch gegen die ihnen auferlegte Residenzpflicht – das aber ganz bewusst.

Wer in Deutschland als Flüchtling von den Behörden geduldet wird, hat kein Aufenthaltsrecht und muss das Land verlassen – eigentlich. Denn für die Abschiebung sind die Behörden zuständig. Diese können sie auch vorübergehend aussetzen. Dann befinden sich auch abgelehnte Asylbewerber legal im Land.

Geduldete Ausländer dürfen in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts nicht arbeiten. Danach liegt eine Erlaubnis im Ermessensspielraum der Ausländerbehörde. Geduldete Ausländer unterliegen der Residenzpflicht. Das bedeutet, die Behörden dürfen ihnen vorschreiben, in welchem Bundesland sie sich dauerhaft aufhalten müssen. In vielen Fällen wird die Residenzpflicht räumlich eingeschränkt, zum Beispiel auf einen Landkreis. Geduldete Ausländer erhalten staatliche Unterstützung in Form von Sachleistungen. So weit, so bürokratisch.

Die Realität geht viel weiter. »Wir sind in Lagern eingesperrt, wir haben nichts zu tun«, klagte die 33-jährige Narges am Dienstag auf dem Sendlinger-Tor-Platz. Sie gehört zur Sprechergruppe der Protestierenden und sie klagt: »Wir werden hier allmählich krank.« Hier, das heißt in den Flüchtlingsunterkünften, nicht auf dem Sendlinger-Tor-Platz.

Adeel, ein anderer Flüchtling, fragt: »Warum haben wir nicht die gleichen Rechte wie Ihr?« Die rechtlich einwandfreie Antwort lautet: Weil Ihr aus einem sicheren Herkunftsland nach Deutschland gekommen seid. Ihr seid vor Armut geflohen, nicht vor Gewalt. Über eine solche Antwort kann Adeel nur bitter lachen. »Alles hinter uns zu lassen, heißt Opfer zu bringen. Wir mussten unsere Heimat verlassen wegen Verfolgung, Korruption und einer Terrorpolitik in unseren Ländern.« Gleichzeitig fragt er, warum es keine Flüchtlingswelle von Griechen, die nach wie vor von Armut betroffen sind, nach Deutschland gegeben habe. Als EU-Bürger könnten sie problemlos nach Deutschland kommen. Stattdessen bleiben die meisten auch trotz wirtschaftlicher Not in ihrer Heimat. Und andere Menschen würden für mehr Wohlstand ihr Leben riskieren? Für Adeel ein absurder Gedanke.

Als sichere Herkunftsländer stuft Deutschland derzeit eine überschaubare Anzahl ein. Neben den EU-Staaten stehen alle Teilrepubliken des ehemaligen Jugoslawien, Albanien, Ghana und Senegal darauf.

Flüchtlinge von dort haben kaum Hoffnung auf ein erfolgreiches Asylverfahren in Deutschland. Bei allen anderen entscheidet das BAMF, derzeit muss man mit sechs Monaten bis zur Entscheidung rechnen. Danach droht ein Leben ohne Hoffnung, ohne Perspektive. Und ohne Rechte?

»Wir kämpfen gegen Rassismus und jede Form von Diskriminierung«, sagt Narges, emotional bewegt von der Schwere ihrer Botschaft. Flüchtlinge würden in Deutschland diskriminiert. Trotzdem kommen sie hierher. »Wir sind keine Wirtschaftsflüchtlinge«, sagt Adeel, »wir wurden gezwungen, unser Land zu verlassen.« Wenn die deutschen Gesetze das wüssten…
Von Carsten Clever-Rott

Artikel vom 30.09.2016
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