Interreligiöse Studienreise: Ottobrunner fuhren nach Sarajevo

Ottobrunn · Aufeinander zugehen, miteinander reden

Auch mit dem ehemaligen Großmufti von Bosnien-Herzegowina, Mustafa Ceric (Mitte, vor Bürgermeister Loderer), kamen die Mitglieder der Ottobrunner Reisegruppe ins Gespräch.  	Foto: Franz-Josef Denig

Auch mit dem ehemaligen Großmufti von Bosnien-Herzegowina, Mustafa Ceric (Mitte, vor Bürgermeister Loderer), kamen die Mitglieder der Ottobrunner Reisegruppe ins Gespräch. Foto: Franz-Josef Denig

Ottobrunn · Die bosnische Hauptstadt Sarajevo trägt auch 20 Jahre nach dem Ende des Balkankonflikts noch Spuren des Krieges; sie ist aber auch wieder ein aufblühender Ort der Begegnung verschiedener Kulturen und Religionen zwischen Orient und Okzident.

Somit war Sarajevo geradezu prädestiniert als Ziel einer Studienreise, die 30 Bürger aus Ottobrunn und Umgebung im Mai unternahmen. Seit einigen Jahren treffen sich katholische und evangelische Christen sowie die Muslime des Deutsch-Islamischen Kulturkreises Ottobrunn (DIKO), von denen einige ihre Wurzeln in Bosnien haben, zum interreligiösen Dialog. Aus diesem Dialog heraus wurde die Idee zur Studienreise geboren. Unter den Reisenden waren der Dekan des evangelischen Prodekanatsbezirks München-Südost, Mathis Steinbauer, Bürgermeister Thomas Loderer sowie DIKO-Sprecher Husein Durmic.

Europäisches Jerusalem

Die Ottobrunner Delegation hatte bei mehreren Begegnungen mit hochrangigen Vertretern der verschiedenen Religionen Gelegenheit, sich ein Bild von Sarajevo zu machen, das wegen seiner religiösen und kulturellen Vielfalt häufig das »Europäische Jerusalem« genannt wird. Der katholische Kardinal Vinko Puljic berichtete beim Treffen im bosnischen Ordinariat insbesondere über die schwierige Situation der Katholiken in der bosnischen Diaspora, über die Organisation des interreligiösen Dialoges in Bosnien-Herzegowina und die Frage des Religionsunterrichtes an Schulen.

Bosnisch-jüdische Gemeinde

Die kleine bosnisch-jüdische Gemeinde ist schon seit Jahrzehnten eine wichtige Schaltstelle des religiösen Dialoges im Land. Gerade während des Bosnien-Krieges war die Synagoge von Sarajevo Zufluchtsort für Menschen aller Religionen. Rund 700 Angehörige hat die Gemeinde in der Stadt; ungefähr 1.000 Menschen jüdischen Glaubens leben derzeit in Bosnien-Herzegowina. Eine große Rolle spielte während der serbischen Belagerung Sarajevos die jüdische Hilfsorganisation »Benevolencija«, die Nahrungsmittel und Medikamente an Menschen aller Glaubensgruppen verteilte.

Treffen mit Ex-Großmufti

Nach einem Besuch der alten serbisch-orthodoxen Kirche fand die mit Spannung erwartete Begegnung mit dem ehemaligen Großmufti von Bosnien-Herzegowina, Mustafa Ceric, statt. Das langjährige Oberhaupt der bosnischen Muslime hat eine besondere Beziehung zu Deutschland und wurde wegen seiner Rolle als Vermittler zwischen den Religionen mit dem Theodor-Heuss-Preis ausgezeichnet. In dem rund einstündigen Gespräch mit den deutschen Besuchern warb Mustafa Ceric einmal mehr für einen institutionalisierten Islam in Europa. Nur eine solche Einrichtung ermöglicht eine Verbindung zwischen islamischem Glauben und demokratischer Politik, z.B. durch einen institutionell geregelten Religionsunterricht an Schulen. Dekan Steinbauer lud Ceric zur 500-Jahr-Feier der Reformation im kommenden Jahr nach Deutschland ein.

Gemeinsame Andachten

Neben den zahlreichen offiziellen Begegnungen fand die Ottobrunner Reisegruppe immer wieder Zeit zu einem angeregten Gedankenaustausch über Texte aus Koran und Bibel, zu gemeinsamen Andachten oder einem Besuch des Freitagsgebets in der Kaisermoschee von Sarajevo.

Gedenkstätte bei Srebrenica

Die monströse Unbegreiflichkeit von Krieg und Völkermord auf dem Balkan erlebten die Reiseteilnehmer vor allem an der Gedenkstätte unweit der Stadt Srebrenica. Mehr als 20.000 Menschen, überwiegend bosnische Muslime, hatten sich vor gut 20 Jahren vor der bosnisch-serbischen Armee in diesen Stützpunkt einer holländischen UN-Einheit geflüchtet in der Hoffnung, dort vor Übergriffen sicher zu sein. Ein fürchterlicher Irrtum, denn die Blauhelme sahen hilflos zu, wie bosnisch-serbische Einheiten die Flüchtlinge mit Bussen ins Hinterland deportierten und dort ermordeten. Rund 8.500 Menschen sind in der Gedenkstätte bestattet. Spontan fanden sich die Ottobrunner Muslime und Christen zum gemeinsamen Gebet an der Gedenkstätte zusammen.

Es sind nicht zuletzt diese erschütternden Eindrücke, die die Ottobrunner Delegation darin bestärkten, den interreligiösen Dialog in der Heimat fortzusetzen. Christof Stolle

Artikel vom 24.08.2016
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