Weniger Asylbewerber

Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter zur aktuellen Flüchtlingssituation

Aufgrund der derzeitigen Asylbewerber-Zahlen wurde ein vorläufiger Anmietstop für neue Objekte verfügt: Dieter Reiter im Interview.  	Foto: Archiv

Aufgrund der derzeitigen Asylbewerber-Zahlen wurde ein vorläufiger Anmietstop für neue Objekte verfügt: Dieter Reiter im Interview. Foto: Archiv

München · »Keine Entlastung in Sicht«: Dies waren die Worte von Oberbürgermeister Dieter Reiter bei unserem letzten Interview zu Münchens Flüchtlingssituation (Ausgabe 2/16). Inzwischen, so scheint es, ist bei dem Thema, wenn nicht Entspannung, so doch Routine eingekehrt. Oder doch nicht? Noch immer bewegen Münchens Bürger viele Fragen. Der Münchner Wochenanzeiger hat sie dem Oberbürgermeister gestellt.

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Münchner Wochenanzeiger: Herr Reiter, bei unserem letzten Gespräch im Januar sah es nicht nach einer Entspannung in der Flüchtlingssituation aus. Hat sich daran inzwischen etwas geändert?
Oberbürgermeister Dieter Reiter: Es wäre zynisch von Entspannung zu sprechen, wenn wir sehen, dass im Mittelmeer täglich viele Menschen auf der Flucht ertrinken. Aber natürlich trifft es zu, dass derzeit über die sogenannte Balkanroute weniger Menschen nach Deutschland kommen und dass München derzeit – offiziell seit März – nur wenige Flüchtlinge zugewiesen bekommt. Teilweise hatte München bis zu 654 Flüchtlinge in der Woche aufgenommen. Die derzeit geringen Zuweisungszahlen nutzen wir dazu, unsere Planungen anzupassen, beispielsweise wollen wir, soweit möglich, Leichtbauhallen schließen.
Gibt es neue Prognosen über die noch zu erwartenden Flüchtlingszahlen, an denen sich auch die Stadt bei ihren Planungen orientiert?
Reiter: Nein, es gibt derzeit keine offiziellen Prognosen. Was mich angesichts der Erfahrungen mit den Prognosen im letzten Jahr nicht beunruhigt, denn die Zahlen waren wenig verlässlich, wie wir gesehen haben.
Nach welchem Schlüssel wird die Verteilung vorgenommen. Mehr zentral oder dezentral?
Reiter: Die Aufnahme erfolgt in Unterkünften, die von der Regierung von Oberbayern betrieben werden und seit Sommer 2015 auch in Unterkünften, die die Stadt oder von der Stadt beauftragte Träger betreiben, je nachdem wo es gerade frei Plätze gibt.
Die Planungen für Neubauten liegen seit April auf Eis. Was ist der Grund? Ist das ein genereller Stopp oder nur eine Pause?
Reiter: Nachdem derzeit deutlich weniger Asylbewerber zu uns kommen, will der Freistaat wieder verstärkt auf staatliche Gemeinschaftsunterkünfte statt auf dezentrale kommunale Unterbringung setzten. In der Folge wurde durch die Regierung von Oberbayern ein vorläufiger Anmietstopp für neue Objekte erklärt. Ob dieser Stopp von Dauer sein wird, hängt im Wesentlichen von der Entwicklung der zukünftigen Zugangszahlen der Asylbewerberinnen und Asylbewerber ab.
Werden Unterkünfte weitergebaut?
Reiter: Derzeit werden die bisher geplanten Objekte mit der Regierung von Oberbayern abgestimmt. Im Vordergrund stehen dabei solche Objekte, die sich für eine Nutzung durch anerkannte Flüchtlinge und Wohnungslose eignen. Insofern findet gerade eine Umsteuerung statt.
Wie steht es um das eingeplante Budget – Sind die Kosten derzeit geringer oder höher als erwartet?
Reiter: Für 2016 können wir noch keine seriöse Aussage zu den Kosten treffen, das hängt entscheidend von der weiteren Entwicklung ab.
Gibt es noch einen planerischen und finanziellen Notfallpuffer für unerwartete Entwicklungen?
Reiter: Nachdem wir noch keine seriöse Aussage zu den Kosten treffen können, gibt es auch keine planerischen Reserven. Das Sozialreferat kann aber gegebenenfalls für den Nachtragshaushalt 2016 zusätzliche Mittel bei der Stadtkämmerei anmelden. Viele Münchner befürchten auf Dauer negative Auswirkungen auf die ohnehin angespannte Wohnraumsituation. Können Sie Entwarnung geben?
Reiter: »Unser Erfolg stellt uns gleichzeitig vor große Herausforderungen. Deshalb bleibt die Situation auf dem Münchner Mietwohnungsmarkt, auch unabhängig von der Flüchtlingssituation, weiter angespannt. Wir rechnen auch weiterhin mit einem deutlichen Zuzug und sind aktiv dabei, zusammen mit unseren Wohnungsbaugesellschaften, möglichst schnell, möglichst viele bezahlbare Wohnungen zu bauen. Denken Sie beispielsweise an das sehr kurzfristig entwickelte Wohnungsbauprogramm ‘Wohnen für Alle’. Hier entstehen in sehr kurzer Zeit rund 3.000 Wohneinheiten. Das ist vor Ort nicht immer leicht vermittelbar, aber ich kann allen Bürgerinnen und Bürgern versichern, dass wir sehr darauf bedacht sind, die Planungen auf die jeweiligen Gegebenheiten vor Ort abzustimmen und die Belegung der Wohnungen ausgewogen zu gestalten, zum Beispiel einem Anteil von mindestens 40 Prozent Frauen. Auch Familien werden dort wohnen.
Wie geht es mit der Integration der Flüchtlinge voran, gibt es bereits Erfolgsmeldungen, macht sich die Zuwanderung auf einigen Gebieten positiv bemerkbar?
Reiter: Auf jeden Fall. Bildungswille und Motivation sind bei den Geflüchteten sehr groß. Sie wissen, dass Arbeit und Bildung die wichtigsten Voraussetzungen für eine gelingende Integration sind. Auch Jobcenter, Agentur für Arbeit, die Kammern und vor allem unsere Unternehmen arbeiten sehr eng und gut zusammen. Die Nachfrage nach Deutschkursen, Schulplätzen, Qualifizierungsmaßnahmen, Lehrstellen und Arbeitsplätzen ist enorm. Und die Geflüchteten wissen, dass sie die deutsche Sprache erlernen müssen, um Zugang zu Bildung, Ausbildung und Arbeit zu haben. Deshalb finanzieren wir im Jahr etwa 1.200 Deutschkursplätze. Flüchtlinge aus Syrien, Irak, Iran und Eritrea (ca. 35 Prozent der in München untergebrachten Flüchtlinge) haben seit Herbst letzten Jahres zudem Zugang zu Integrationskursen. Unser Ziel ist es, Angebote für alle, unabhängig von Herkunft und Status zu machen. So kann Integration gelingen. Und ich bin immer wieder beeindruckt, wie viele ehrenamtliche Helferinnen und Helfer uns bei dieser Aufgabe unterstützen. Dafür sage ich allen an dieser Stelle ganz herzlichen Dank!

Philipp Herschkowitz

Artikel vom 05.07.2016
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