Was liegt in der Luft?

München · Quecksilber in der Luft ist ein globales Problem

Laut IFEU stößt das Kohlekraftwerk im HKW Nord pro Jahr 7,2  Kilogramm Quecksilber aus. Allein der Münchner Straßenverkehr bläst demgegenüber rund 6,2 Kilogramm in die Luft.	Foto: SWM

Laut IFEU stößt das Kohlekraftwerk im HKW Nord pro Jahr 7,2 Kilogramm Quecksilber aus. Allein der Münchner Straßenverkehr bläst demgegenüber rund 6,2 Kilogramm in die Luft. Foto: SWM

München · Fakt: Quecksilber ist ein Nervengift. Fakt: Quecksilber befindet sich in mehr oder weniger starker Konzentration in der Luft, in unseren Lebensmitteln und in alten Zahnfüllungen. Fakt: Bei Verbrennung von Materie wird Quecksilber freigesetzt. Als Konsequenz tragen Kraftwerke, die mit Verbrennung von Materie arbeiten, zur Quecksilberbelastung unserer Umgebung bei.

In der aktuellen Debatte um das Heizkraftwerk Nord, das die Stadtwerke München in Unterföhring betreiben, wäre dieser Zusammenhang geeignet, den Weiterbetrieb in Frage zu stellen oder zumindest die Forderung nach Verringerung der Emissionen zu stellen. Allerdings hängt das letztlich von den tatsächlichen Emissionen des Kraftwerks ab. Um hier selbst Klarheit zu haben, haben die SWM das unabhängige Institut IFEU aus Heidelberg, beauftragt, die Quecksilberemissionen zu bewerten. Stephan Schwarz, SWM-Geschäftsführer Versorgung und Technik, zeigte sich selbst überrascht von dem Ergebnis, obwohl die Stadt München und ihre Tochter SWM, wie er betont, das HKW Nord seit der Modernisierung Anfang der 90er-Jahre laufend bestmöglich modernisiert. »Leider emittieren wir Quecksilber«, sagte Schwarz, der willkürlich festgelegten Grenzwerten eher kritisch gegenübersteht. Es sei immer das Ziel des SWM gewesen, den Schadstoffausstoß so gering wie möglich zu halten, bevorzugt deutlich unter den geltenden Grenzwerten. Im HKW Nord werde Quecksilber aus den Emissionen technisch so weit wie möglich rausgefiltert. Eine Einleitung in die nahe vorbeifließende Isar finde nicht statt. Vielmehr werde das Quecksilber abgeschieden, niedergeschlagen, getrocknet, mit Beton gebunden und so für eine Endlagerung im Salzstock verarbeitet.

Den Vorwurf, die SWM würden hinsichtlich der Emissionswerte Geheimhaltung betreiben, wies Schwarz zurück. Monats- und Jahreswerte würden auf der konzerneigenen Seite www.swm.de veröffentlicht. Quecksilber kann Krankheiten auslösen. Der Biologe Bernd Franke vom IFEU hat die Quellen der Quecksilberbelastung in München und speziell dem Münchner Norden identifiziert und bewertet. Sein Ergebnis: »Der überwiegende Teil des Quecksilbers in der Münchner Luft kommt nicht aus München.« Besonders viel des gefährlichen Stoffs sei im 19. Jahrhundert während des Goldrauschs in Nordamerika freigesetzt worden. Noch heute sei viel davon im Quecksilberkreislauf enthalten. Teil dieses Kreislaufs ist auch der Mensch, der Quecksilber über die Nahrung (besonders Fisch) und über Amalgam-Zahnfüllungen aufnehme. Die Konzentrationen seien in den vergangenen zwanzig Jahren jedoch erheblich zurückgegangen. Das liege auch an weltweit sinkenden Emissionswerten. In Europa, weiten Teilen Asiens, Nordamerika und Australien gehen die Werte zurück. Starke Anstiege würden in Südamerika und Afrika registriert. In Deutschland seien die Emissionen von fast 33 Tonnen Quecksilber im Jahr 1990 auf etwa 10 Tonnen im Jahr 2013 gesunken. Dazu habe die Industrie deutlich mehr beitragen können als die Kraftwerke, die heute für jährlich etwa 6 Tonnen Quecksilberemission verantwortlich sind. Das HKW Nord sei daran laut Franke mit etwa 21 Kilogramm (0,35 Prozent) beteiligt, davon stammen 7,2 Kilogramm aus Block 2, dem Kohlekraftwerk. Der Straßenverkehr in München komme auf schätzungsweise 6,2 Kilogramm Quecksilberausstoß im Jahr.

Auffällig ist die relativ ungleichmäßige Verteilung der Kraftwerksemissionen und damit auch die des Quecksilbers. Die größte Belastung sieht Franke südöstlich des Feringasees mit 0,02 bis 0,025 Nanogramm pro Kubikmeter Luft, also 20 bis 25 Billionstel Gramm je 1.000 Liter Luft. Weiterhin breite sich das Quecksilber mit der Luft südlich des Speichersees aus sowie je nach Windrichtung auch bis Schwabing und Nymphenburg, hier jedoch in noch geringeren Konzentrationen. Was bedeutet das jetzt unterm Strich? »Quecksilber stellt ein globales Problem dar«, erklärt Bernd Franke. Auch in Deutschland seien nach wie vor Anstrengungen zur Reduzierung der Emissionen notwendig. In München entspreche die Quecksilberbelastung den mittleren Verhältnissen in Deutschland. »Der Beitrag des HKW Nord (Kohle- und Müllverbrennung) an der Quecksilberbelastung in München ist gering: Am maximalen Immissionsort im Jahr 2014 waren es rund 2,3 Prozent«, fasst Franke zusammen. Dennoch habe auch das HKW Nord noch Verbesserungspotenzial, meint der Biologe, weniger im Block 2 (Kohlekraftwerk) als im Block 1 (Müllverbrennung). Das sieht auch Stephan Schwarz so. Als Argument in der Debatte um die Forderung nach Abschaltung des Kohlekraftwerks dienen die Quecksilberemissionen den Gegnern nicht. Darüber streiten muss aber erlaubt sein.

Artikel vom 18.03.2016
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