Sauerei im großen Stil

Der Becherberg wächst und eine Münchnerin kämpft dagegen

Einmal Coffee to go again? Die Idee von Julia Post kommt an.	Foto: cr

Einmal Coffee to go again? Die Idee von Julia Post kommt an. Foto: cr

München · Drei Milliarden – eine enorme Zahl, die das Vorstellungsvermögen des Menschen übersteigt. Der Verstand scheitert daran, ebenso wie der Verstand von Julia Post daran gescheitert ist, warum es sein muss, dass in Deutschland jedes Jahr drei Milliarden Pappbecher mit dem Coffee-to-go ausgegeben und nach dem Konsum des Heißgetränks entsorgt werden. Die 26-Jährige hat keine Antwort gefunden, warum das so sein muss. Das heißt im Umkehrschluss: Das muss ganz einfach nicht so sein.

Allein in München sind es im Schnitt 6.000 Kaffeebecher pro Stunde, die über die Theke gehen. Plus Plastikdeckel, plus Rührstäbchen, eventuell Tragehilfe. Das ist eine Umweltsauerei, nicht im Kleinen, aber in der Summe im großen Stil. Was kann nun eine einzelne Studentin dagegen unternehmen? Julia Post hat »Coffee-to-go-again« ins Leben gerufen. Das Prinzip: Jeder, der sich seinen Mitnehmkaffee holen möchte, kann ein wiederverwendbares Gefäß, sinnvollerweise eine Thermotasse, zum Bäcker oder Café mitbringen und sich dort befüllen lassen. Ohne den ganzen Schnickschnack drumherum, der die Umwelt erst bei der Produktion, später bei der Entsorgung stark belastet. Dazwischen liegen etwa 15 Minuten Benutzung. Im vergangenen Jahr hat Julia Post das Projekt ins Leben gerufen, hat viel Zeit und auch Geld reingesteckt, um die Bäckereien zum Mitmachen zu bewegen. Die Münchnerin hat ein Logo entwickeln lassen, das teilnehmende Geschäfte am Eingang anbringen, um anzuzeigen: »Wir machen mit!« Die Politik ist auch schon auf das Thema gekommen. Ein Vorschlag für eine kommunale Abgabe von 20 Cent pro Becher scheiterte an der rechtlichen Situation. Die Stadt darf eine solche Gebühr nicht erheben. Die SPD setzt auf das Prinzip Freiwilligkeit und nimmt dafür das Projekt von Julia Post zum Anlass. In einem Antrag fordern die Sozialdemokraten im Stadtrat, der Abfallwirtschaftsbetrieb München solle ein Konzept entwickeln, wie die Kampagne »coffee to go again« in München umgesetzt werden könne. Bislang steht Julia Post nämlich als Einzelkämpferin für ihr Projekt ein – nicht ganz einfach, wenn man studiert und nebenbei ein paar Euro für den Lebensunterhalt verdienen muss. Erstmal sei wichtig, dass die Problematik überhaupt bei den Menschen ankomme. Das sei zwar inzwischen der Fall, »aber es ist die Minderheit«, bedauert Julia Post.

Dabei geht es nicht darum, den Münchnern ihren Coffee to go schlecht zu reden. Ganz im Gegenteil: »Mein Lösungsansatz basiert darauf, dass wir den Pappbecher überflüssig werden lassen. Der Komfort bleibt erhalten.« Das klappt übrigens auch bei Bäckereien und Cafés, die das Logo (noch) nicht angebracht haben. Wer freundlich nachfragt, ob man den Kaffee auch in den mitgebrachten Becher ausgeschenkt bekommt, zeigt zumindest, dass ein öffentliches Interesse am Umdenken besteht. Wenn der Anbieter darauf eingeht, haben die Konsumenten ihr Ziel erreicht. »Wir haben es in der Hand«, beharrt Julia Post. Wie ein Mantra trägt sie diesen Satz vor sich her, um ihren Mitmenschen zu verdeutlichen, dass sie selbst entscheiden. Die Pappbecher gibt es nicht, weil die Gastronomie das will, sondern weil die Kunden es zulassen. Im Übrigen ist die Gastronomie gar nicht so scharf auf die Einwegbecher. Denn durch den schnellen Konsum bleibt die Entsorgung meist direkt an den Verkaufsstellen hängen. Überquellende Mülleimer direkt am Eingang sind auch nicht gerade die beste Werbung, abgesehen davon, dass die Becher im Einkauf Geld kosten. Es ist eine kleine Idee, es ist eine einfache Idee, so einfach, dass es erstaunlich ist, dass nicht früher jemand drauf gekommen ist. Julia Post hat diese Idee gehabt und was draus gemacht. 80 Verkaufsstellen für Coffee-to-go in München sind schon dabei, Tendenz steigend. Jetzt müssen nur noch die Münchner mitziehen. Dazu reicht es, wenn sie verstehen: Sie haben es in der Hand.

von Carsten Clever-Rott

Artikel vom 12.03.2016
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