Nur gemeinsam lösbar

Landrat Christoph Göbel im Interview zur Flüchtlingssituation im Landkreis München

Münchens Landrat Christoph Göbel geht für das Jahr 2016 von 9.000 weiteren Flüchtlingen für den Landkreis München aus.	Foto: Claus Schunk

Münchens Landrat Christoph Göbel geht für das Jahr 2016 von 9.000 weiteren Flüchtlingen für den Landkreis München aus. Foto: Claus Schunk

München/Landkreis München · 2015 hat ein Thema die deutsche Medienlandschaft und auch unsere Ausgaben des Münchner Wochenanzeigers beherrscht: Der nicht abreißende Strom der Flüchtlinge aus den Krisengebieten dieser Welt.

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Und auch 2016 ist noch kein Ende dieses traurigen Trends in Sicht. Wir haben mit Landrat Christoph Göbel (CSU) darüber gesprochen, wie es weiter gehen wird.

Münchner Wochenanzeiger: Wie viele Asylbewerber hat der Landkreis 2015 aufgenommen?

Landrat Christoph Göbel: Offiziell hat der Landkreis 5.110 Menschen aufgenommen. Die Verteilung erfolgt nach dem so genannten Königsteiner Schlüssel durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Offiziell waren es aber eher 6.100 Menschen, denn zusätzlich wurden noch rund 400 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufgenommen und weitere 600 Personen sind bereits erfolgreich anerkannte Flüchtlinge. Hinzu kommt noch eine unbekannte Zahl an Flüchtlingen, die sich unregistriert im Land aufhalten. Diese Menschen befinden sich natürlich nicht in den Aufnahmeeinrichtungen des Landkreises, sondern sind anderweitig untergekommen. Ein Teil davon ist auf der Weiterreise in nordische Länder, um dort Asyl zu beantragen. Der unregistrierte Aufenthalt ist ein großes Problem, das angegangen werden muss.

Wie sehen die Zahlen für 2016 aus?

Landrat Christoph Göbel: Die Prognose lautet 9.000 weitere Asylbewerber für den Landkreis. Festnageln kann man sich auf die Zahl allerdings nicht, wenn sich die politischen Verhältnisse wieder dramatisch ändern. Wir arbeiten auf jeden Fall schon seit Monaten mit dieser prognostizierten Zahl an Unterbringungen, die wir 2016 bewältigen müssen.

Werden zur Unterbringung von Asylbewerbern weitere Traglufthallen im Landkreis gebaut werden?

Landrat Christoph Göbel: Wir bauen noch die bereits beschlossene Traglufthalle in Haar fertig, die dann unsere Siebte ist. Damit ist dann aber Schluss. Die Traglufthallen waren eine schnelle Lösung. Ideal ist eine Unterbringung dort nicht. Hätten wir die Traglufthallen aber nicht, müssten wir über 2.000 Menschen anderweitig unterbringen. Das hätte bedeutet, dass man praktisch alle Turnhallen im Landkreis hätte belegen müssen. Und auch wenn Traglufthallen nicht ideal sind, so bieten sie doch noch mehr Privatsphäre als beispielsweise Turnhallen.

Die Traglufthallen waren als Übergangslösungen geplant. Wie sieht es aus, wenn der Flüchtlingsstrom weiter anhält?

Landrat Christoph Göbel: Die Traglufthallen sind tatsächlich nur als Übergangslösungen eingeplant. Wir hoffen, dass wir bald mehr Asylbewerber in feste Unterkünfte umsiedeln können, wie das in Gräfelfing der Fall sein wird. Errichtet wurden dort sieben Häuser, die Platz für 208 Flüchtlinge bieten. Gebaut wurden sie in Modulbauweise in jeweils vier Wohneinheiten für Familien oder Wohngruppen. Jede Wohnung bietet Platz für acht Menschen. Alle Einheiten sind mit Küchenzeile, Bad/Dusche und WC ausgestattet. Neben den Wohnräumen bietet die Unterkunft Räume für die Sozial- und Objektbetreuung. Diese sind so konzipiert, dass man sie auch in kleine Wohneinheiten umbauen kann, die die Asylbewerber nach ihrer Anerkennung dann auch anmieten können, denn der Wohnungsmarkt gibt nicht genügend Wohnungen für all’ diese Menschen her. Diese Modulbauten können für die Dauer von rund zehn Jahren genutzt werden. Diese Unterbringung ist für die Integration der Flüchtlinge wichtig, denn selbstständiges Wohnen ist ein wichtiger Teil eines eigenständigen Lebens. Außerdem sind die Traglufthallen, die wir angemietet haben, sehr teuer. Zudem haben wir im Landkreis mehrere weitere Möglichkeiten ausgeschöpft. So wurden unter anderem Industriebauten umgewidmet und Privatwohnungen angemietet.

Apropos teuer, was kostet die gesamte Betreuung der Flüchtlinge im Landkreis und wer kommt dafür auf?

Landrat Christoph Göbel: Der Landkreis rechnet für 2016 mit 130 Millionen Euro für die geschätzten 9.000 Flüchtlinge. Rund 100 Millionen werden aus Bundes- und Landesmittel finanziert, die übrige Summe muss der Landkreis finanzieren. Der Landkreis hat beispielsweise den Betreuungsschlüssel für Flüchtlinge selber erhöht. Der liegt eigentlich bei einer Betreuung für 150 Flüchtlinge durch eine Fachkraft, wir finanzieren eine Betreuung auf 100 Flüchtlinge. Auch in Sprachkurse und weitere Integrationskurse investieren wir kräftig, denn wir wollen, dass die Integration auch gelingt, denn wir gehen davon aus, dass rund 90 Prozent der Menschen, die hier Asyl beantragen, auch bleiben werden. Auch der Mitarbeiterstamm des Landratsamtes wird erhöht. Derzeit sind rund 100 Personen im Landratsamt hauptsächlich damit beschäftigt, sich um Belange rund um das Thema Asyl zu beschäftigen. Die Zahl soll aufgestockt werden. (Anm. der Red. Im Haushalt für 2016 wurden 84 neue Stellen rein zur Bearbeitung rund um das Thema Asyl bewilligt).

Wie sieht es mit der Bleibe-Perspektive für die Asylbewerber aus?

Landrat Christoph Göbel: Die Menschen, die zur Aufnahme im Landkreis von der Erstaufnahmeeinrichtung zu uns geschickt werden, stammen in überwiegender Zahl aus Ländern, in denen Krieg oder Bürgerkrieg herrscht, oder die wegen ihrer Ethnie von Verfolgung bedroht sind. Die Dauer ihrer Aufenthaltserlaubnis ist auch davon abhängig, wie die Entwicklung in ihren Heimatländern von Statten geht. Das Ziel ist es, die meisten dieser Menschen wieder in ihre Heimat zurück zu führen, wenn es dort wieder friedlich ist. Bis dahin wollen wir ihnen helfen, hier ihren Platz zu finden. Die Ausbildung, die sie hier genießen, kann später in ihrer Heimat dazu beitragen, wirtschaftlich und sozial stabile Verhältnisse zu schaffen. Übrigens wollen die meisten Menschen auch wieder zurück in ihre Heimat, keiner von ihnen hat freiwillig ihr Land verlassen.

Wie beurteilen Sie persönlich die Lage im Landkreis? Sind die Kommunen dem Anwachsen an Asylbewerbern gewachsen?

Landrat Christoph Göbel: Ich denke, diese Aufgabe können wir nur gemeinsam lösen. Ohne das große ehrenamtliche Engagement der Bürger vor Ort kann Integration nicht gelingen. Bislang haben sich bereits viele Bürger engagiert und deshalb glaube ich, dass wir zusammen diese Herausforderung meistern können, auch wenn es viel Arbeit bedeutet. Diese Aufgabe kann der Landkreis nicht alleine bewältigen, das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Das Interview führte Heike Woschée

Artikel vom 14.01.2016
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