Thomas Loderer, Erster Bürgermeister (Ausgabe Dezember 2015)

Ottobrunn · Aus dem Rathaus

Thomas Loderer – Erster Bürgermeister

Thomas Loderer – Erster Bürgermeister

Ottobrunn · Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, manchmal muss man kein Prophet sein, um Aussagen zu treffen, die auch zwölf Monate später noch gültig sind. Auf die Flüchtlingskrise trifft dies – leider – besonders stark zu. Sie hat sich 2015, wie Sie wissen, erwartungsgemäß verschärft, und eine Lösung geschweige denn ein Ende sind nicht abzusehen.

Wo soll eine Lösung, die diesen Namen verdient, auch herkommen? Der Zustrom von Menschen in unser Land hat so viele und so vielschichtige Ursachen, dass es »die Lösung« vermutlich gar nicht geben kann. Die Auswirkungen weltweiter Krisen treffen uns unmittelbar, wir können uns ihnen nicht mehr entziehen. Mit dieser Erkenntnis werden wir wohl für immer leben müssen.

Rund 160 Asyl suchende Menschen halten sich momentan in Ottobrunn auf. Es waren schon einmal mehr. Und bald werden es auch wieder mehr sein. Wesentlich mehr sogar.

Über zwei Jahre lang konnten wir die uns von den staatlichen Behörden zugewiesenen Flüchtlinge aufgrund günstiger Umstände relativ einfach und geräuschlos bewältigen. Zum einen half uns die Tatsache, dass die kommunale Baugesellschaft München-Land die Josef-Seliger-Siedlung nach und nach neu errichtet. Da im Zuge der Abrissplanung für viele Altmieter frühzeitig Wohnungsalternativen gefunden werden konnten, konnte das Landratsamt als zuständige untere Staatsbehörde vorübergehend zahlreiche Flüchtlinge in den abzureißenden Häusern unterbringen.

Zum Jahreswechsel leben in der Josef-Seliger-Siedlung noch knapp über hundert Flüchtlinge. Sie können allerdings nur bis Ende Januar bleiben, weil mit dem Abriss der Häuser spätestens im Februar begonnen wird.

Für Entlastung sorgte zum anderen auch die mittlerweile abgerissene Zweifach-Turnhalle des Gymnasiums Ottobrunn. Sie stand 2014 und 2015 für insgesamt rund ein dreiviertel Jahr als Notunterkunft zur Verfügung.

Wie geht es weiter? Ende Oktober hat der Gemeinderat bereits beschlossen, dass die Gemeinde ihr unbebautes Grundstück in der Hochackerstraße 8 - vorerst befristet bis Ende 2016 - dem Landkreis überlässt, damit dieser dort schnellstmöglich 26 Flüchtlinge in ebenerdig aufgestellten Containern unterbringt.

Zählt man die künftigen Bewohner dieser Containeranlage hinzu, werden wir Anfang Februar 2016 in Ottobrunn voraussichtlich etwa 80 Flüchtlingen Zuflucht und Schutz bieten können. Damit sind wir jedoch weit von der Zahl von 572 Asyl suchenden Menschen entfernt, die wir gemäß der Prognose des Landratsamts im Jahr 2016 bei uns aufnehmen müssen. Diese Zahl basiert auf der Annahme, dass sich 2016 rund 9000 Flüchtlinge (derzeit: ca. 5500) im Landkreis aufhalten werden, wovon auf Ottobrunn gemäß seinem Anteil an der Einwohnerzahl des Landkreises 6,4 Prozent entfallen würden.

Eine gewaltige Herausforderung. Können wir sie bewältigen? Schaffen wir das? Die Antwort darauf muss notwendigerweise differenziert ausfallen: Das praktische Problem, so vielen Menschen auch in kurzer Zeit ein Dach über dem Kopf zu verschaffen, erscheint lösbar. Konkret befindet sich die Gemeindeverwaltung im Gespräch mit einem Unternehmen, das in der Lage ist, in kurzer Zeit Häuser in Holz-Leichtbauweise zu errichten. In jedem dieser Häuser (Erd- plus Obergeschoss) können 32 Menschen wohnen. Für den Zweck der Errichtung dieser Häuser habe ich in Abstimmung mit dem Gemeinderat dem besagten Unternehmen das alte Flughafengelände am nördlichen Haidgraben auf Höhe des Kathi-Weidner-Weges angeboten.

Das Unternehmen möchte darauf für die Dauer von zehn Jahren (Abschreibungsdauer) 13 Häuser für insgesamt 416 Bewohner errichten und diese an den Freistaat Bayern vermieten. Die Rolle der Gemeinde bestünde lediglich in der des Vermieters des ihr gehörenden Grundstücks. In einer Informationsveranstaltung am Mittwoch, 13. Januar 2016 um 19.00 Uhr im Wolf-Ferrari-Haus werden Landrat Christoph Göbel und ich Sie über die diesbezügliche Planung sowie über weitere Flüchtlingsthemen informieren. Hierzu lade ich Sie sehr herzlich ein.

Informationsveranstaltung am 13. Januar

Das viel größere Problem, für das sich bislang noch keine überzeugende Lösung abzeichnet, besteht darin, wie diese vielen Menschen in die Ottobrunner Gesellschaft integriert werden können. Dabei stellen sich ganz praktische Fragen: Welchen Kindergarten sollen die Flüchtlingskinder besuchen, wenn die Plätze gerade einmal für die deutschen Kinder ausreichen? In welche Schulen sollen die Flüchtlingskinder gehen? Ich kenne zwar viele Schulen, aber keine, die über zu viele Räume verfügt. Woher kommen die Lehrerinnen und Lehrer, die zusätzlich benötigt werden? Was ist mit den anerkannten Flüchtlingen, die aber nicht in der Lage sind, sich selbst um Wohnraum zu bemühen und die deshalb obdachlos werden? Die Unterbringung obdachloser Menschen ist Aufgabe der Gemeinde. Ihr Umfang war in den zurückliegenden Jahren für uns im großen Ganzen gut beherrschbar. Wird das auch in Zukunft so sein, wenn uns der Staat, was aus heutiger Sicht leider zu befürchten ist, mit dieser Aufgabe allein lässt?

Gibt es auf Seiten der Bundesregierung eine Strategie oder gar konkrete Lösungsansätze? Bisher kann ich davon nicht wirklich viel erkennen. Stand Ende November sieht es vielmehr so aus: Führende Politiker streiten sich lieber über politisch korrekte Begrifflichkeiten anstatt anzupacken. Auch mein Glaube, dass wenigstens auf der kommunalen Ebene parteiübergreifend Vernunft waltet, wurde kürzlich etwas erschüttert, als ich von der Auslassung eines von mir ansonsten sehr geschätzten Oberbürgermeisters einer bayerischen Großstadt las, der eine Obergrenze für Flüchtlinge ablehnte, im gleichen Satz jedoch eine Reduktion der Flüchtlingszahlen forderte.

Lange werden wir uns diese wenig zielführenden Diskussionen nicht mehr leisten können. Wegen des unweigerlich zunehmenden Problemdrucks und aufgrund meines Grundvertrauens in die Stabilität unserer politischen und gesellschaftlichen Institutionen bin ich dennoch zuversichtlich, dass wir die Probleme in den Griff bekommen werden. Dazu ist es aber notwendig, dass erst einmal Recht und Ordnung, auf denen unsere Staatlichkeit beruht, wieder hergestellt werden. Wichtig ist auch, dass wir den besonnenen und um verantwortbare und zumutbare Lösungen ringenden politisch Verantwortlichen das nötige Vertrauen entgegenbringen und nicht denen auf den Leim gehen, die so tun, als sei alles eigentlich ganz einfach. Zu dieser Gruppe gehören sowohl die, die die unbegrenzte Aufnahme aller Flüchtlinge fordern als auch die, die alle Flüchtlinge am liebsten sofort ab-schieben möchten.

Die Flüchtlingskrise fordert uns auch dazu heraus, ernsthaft darüber nachdenken, was die weltweiten Krisen, die letztlich Folgen von Unfreiheit, ideologischem und religiösem Wahn, von Armut und Ungerechtigkeit sind, mit uns und unserem Lebensstil zu tun haben. Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich bin nicht der Auffassung, dass wir unseren Wohlstand der Tatsache verdanken, dass anderswo Menschen ausgebeutet und unterdrückt werden. Aussagen, wie ich sie zuletzt beispielsweise von Kirchenvertretern vernahm, in denen behauptet wird, wir seien deshalb so reich, weil die Menschen in den Entwicklungsländern so arm seien, sind dumm und gefährlich.

Genauso wenig stimmt es jedoch, dass zwischen unserem Wohlstand und dem Leben der Menschen in Afrika und Asien überhaupt kein Zusammenhang besteht, der eine Verantwortlichkeit unsererseits für die Menschen dort begründet. In dem Maße, wie unser Wohlstand auch damit zu tun hat, dass wir aus den Herkunftsländern der Flüchtlinge meist Rohstoffe importieren und unsere Waren und landwirtschaftlichen Produkte dorthin exportieren, haben wir auch eine moralische Verantwortung für die dort lebenden Menschen. Diese schließt gerade auch die Menschen ein, die aus diesen Ländern zu uns flüchten.

Wenn wir eine solche Haltung, die sich aus unserer christlich geprägten Werteordnung ergibt, einnehmen, haben wir nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, darauf zu bestehen und dies auch durchzusetzen, dass keine religiöse oder ideologische Überzeugung über unserem Grundgesetz stehen darf. Intoleranz, Hass, Rassismus und Antisemitismus haben bei uns nichts verloren!

Unsere offene Gesellschaft muss wehrhaft bleiben. Von außen, mehr denn je aber auch von innen heraus. In einer immer komplizierteren Welt sollten wir diejenigen, die zu uns flüchten, weil sie Opfer von Rassismus und Verfolgung geworden sind, als Verbündete ansehen. Gelingt es uns, Menschen verschiedener Herkunft und Prägung auf der Grundlage unserer freiheitlichen Werte zu integrieren, dann werden wir dadurch gestärkt.

Die Weihnachtszeit und der Jahreswechsel bieten uns Gelegenheit, darüber nachzudenken, wie auch wir uns in unsere sich verändernde Gesellschaft immer wieder neu integrieren, wie auch wir immer wieder auf andere zugehen und Vorurteile überwinden können. In diesem Sinne danke ich allen Menschen, die sich in vielfältiger Weise und über das übliche Maß hinaus für ihre Mitmenschen einsetzen. Ihnen und Ihren Familien wünsche ich im Namen des Gemeinderates und der Gemeindeverwaltung, aber auch persönlich ein besinnliches und friedliches Weihnachtsfest und für 2016 alles erdenklich Gute, vor allem Gesundheit und Zufriedenheit!

Ihr Thomas Loderer
Erster Bürgermeister

Artikel vom 10.12.2015
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