Im Gespräch bleiben

München · 20 Jahre HIV-Prävention im Sub – Die Arbeit wird schwerer

Erst mal auffallen – so kommt die Safety-Aktionsgruppe (S’AG) mit den Leuten leichter ins Gespräch und kann ihre wichtige Aufklärungsarbeit leisten.	Foto: Sub

Erst mal auffallen – so kommt die Safety-Aktionsgruppe (S’AG) mit den Leuten leichter ins Gespräch und kann ihre wichtige Aufklärungsarbeit leisten. Foto: Sub

München · Können Sie sich noch an Aids erinnern? Noch vor wenigen Jahren stand der Name für eine nahezu unabwendbar tödlich verlaufende Krankheit.

Heute erkrankt in Deutschland kaum noch ein Mensch daran, denn die Ausbreitung des HI-Virus im Körper ist medizinisch beherrschbar – so weit, dass es in rechtzeitig erkannten und behandelten Fällen gar nicht mehr zum Ausbruch der Immunschwäche kommt.

Aids ist kaum noch ein Thema, bestenfalls zum Welt-Aids-Tag, der am 1. Dezember begangen wird, sind die Krankheit und die HIV-Infektion präsent. Der Verein Sub – Schwules Kommunikations- und Kulturzentrum München e.V. hat den Welt-Aids-Tag zum Anlass genommen, um auf fortgesetzte Prävention und Aufklärung zu drängen. »Die Übertragungswege sind längst nicht jedem klar, dabei sollte das heute eigentlich nicht mehr so sein«, sagt Kai Kundrath. Der Leiter der HIV-Prävention im Sub in der Müllerstraße 14 sieht eine Gefahr der allgemeinen Verharmlosung einer HIV-Infektion, weil sie eben nicht mehr zwangsläufig Aids, körperlichen Verfall und Tod bedeute. »Man kann mit HIV alt werden«, sagt Guido Vael, Gründer des Präventionsprojekts und bis 2012 dessen Leiter. Er sagt das mit sorgenvoller Stimme. Sorgen darüber, dass eine HIV-Infektion unterschätzt wird. Denn: »Das Leben mit HIV hat seinen Preis. Ohne Infektion ist es viel leichter.« Damit spricht Vael die Einnahme der Medikamente an, mehrfach täglich.

An der Prävention führt also kein Weg vorbei, will man die Zahl der Neuinfektionen möglichst gering halten. Aufklärung ist wichtig und notwendig. Das Präventionsprojekt setzt dabei unter anderem auf die Aktionen der ehrenamtlichen Safety-Aktionsgruppe S’AG. Mit Augenzwinkern statt erhobenem Zeigefinger, aber immer ganz offen bei diesem wichtigen Thema, ziehen die Aufklärer durch die Szene und leisten ihren Beitrag.

Die Szene, das ist die Homosexuellen-Szene in München, doch die gibt es gar nicht mehr in der Form wie vor zehn oder zwanzig Jahren. Viele »Wohnzimmerkneipen«, wie Kundrath sie nennt, hätten in den letzten Jahren zugemacht. Die Klientel in den Kneipen ist heute eher »party-orientiert« und definiert sich weniger durch sexuelle Ausrichtung. Aufklärung ist zwar auch bei heterosexuellen Menschen wichtig, aber »Schwule spreche ich ganz anders an«, erklärt Vael. Also bleibt das Sub bei seiner Zielgruppe, den Homosexuellen oder vielmehr bei den Männern, die mit Männern Sex haben. Diese müssen nicht zwangsläufig homosexuell sein, aber alle haben die gleiche Infektionsgefahr. Tatsächlich ist diese bei Geschlechtsverkehr unter Männern am größten. Das hat im Bewusstsein der Gesellschaft oft eine fatale Verknüpfung zur Folge, nämlich dass Homosexualität und Aids irgendwie zusammenhängen müssten. Was nicht stimmt.

Das bedeute dann wieder eine Stigmatisierung und Ausgrenzung homosexueller Menschen. Dabei beeinflusst nicht die sexuelle Ausrichtung die Infektionsgefahr, sondern das eigene Sexualverhalten. Wer häufig seinen Sexualpartner wechselt, geht ein höheres Risiko ein, als solche, die monogam leben – ganz egal, ob homo- oder heterosexuell.

Jeder muss sich seiner Verantwortung bewusst sein und die Möglichkeit des Schutzes in Anspruch nehmen – vorausgesetzt, man kennt sich aus. Dafür ist das Präventionsprojekt da, jetzt bereits seit zwanzig Jahren. Und es funktioniert.

Weil eine HIV-Infektion meldepflichtig ist, gibt es sehr verlässliche Zahlen über die Situation in Deutschland. Im Jahr 2014 wurde bundesweit bei rund 3.200 Menschen eine HIV-Neuinfektion diagnostiziert, darunter etwa 2.700 Männer und darunter wiederum etwa 2.300 Männer, die Sex mit Männern haben/hatten. Die Zahlen belegen, dass das Münchner Präventionsprojekt an einer Schlüsselstelle zur Verringerung der Infektionsrate ansetzt.

In Bayern wurden im Jahr 2014 genau 260 Neuinfektionen gemeldet, darunter 114 allein in München, ein Anteil von fast 44 Prozent. Im Vergleich zeigt sich, dass diese Zahlen kein Grund zur Panik sind. Die Zahl der Neuinfektionen sei seit Jahren stabil, sowohl in Bayern als auch in Deutschland. In anderen Ländern, in denen das Thema nicht so offensiv angesprochen wird, wie hier vom Präventionsprojekt des Sub, sei die Infektionsrate zum Teil um ein Vielfaches höher. Dennoch sieht Vael auch hier Probleme auf das Projekt zukommen. Probleme in der praktischen Arbeit. »Der Schlüssel für eine erfolgreiche Prävention ist Kommunikation«, meint er, doch die Kommunikation nehme ab. Wenn überhaupt, so informierten sich viele eher im Internet – dort, wohin sich auch die Szene zu einem Teil verlagert hat.

Doch da kommen die ehrenamtlichen Mitarbeiter von S’AG nicht mehr direkt an ihre Klientel ran. »Wo Kommunikation verhindert wird, wird Prävention verhindert«, konstatiert Vael. Wenn das nicht anderweitig aufgefangen werden kann, nimmt die Prävention ab und das kann Folgen haben. Davon lassen sich Kundrath und die S’AG nicht entmutigen. Sie suchen ständig neue Formen und Wege, um ihre Arbeit erfolgreich fortsetzen zu können. Eine Arbeit gegen Nichtwissen und Ablehnung, gegen irrationale Ängste und Ignoranz. Von Carsten Clever-Rott

Artikel vom 27.11.2015
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