Sprechende Knochen

Erding · Vor 50 Jahren wurden Reihengräber von Klettham entdeckt

Faszination Archäologie: Das Sommersymposium des archäologischen Vereins in Erding brachte viele spannende Erkenntnisse in verständlich aufbereiteter Form.	Foto: kw

Faszination Archäologie: Das Sommersymposium des archäologischen Vereins in Erding brachte viele spannende Erkenntnisse in verständlich aufbereiteter Form. Foto: kw

Erding · Vor 50 Jahren wurde eher zufällig eines der größten Reihengräberfelder in Bayern entdeckt: Im Erdinger Stadtteil Klettham sollte gebaut werden, und die Arbeiter fanden eine Unmenge Knochen.

Denkmalpfleger erkannten, dass das hier etwas Einzigartiges ist; einer der größten Glücksfälle in der Geschichte der Archäologie. Über 1.300 Gräber wurden seinerzeit systematisch ausgegraben und die sterblichen Überreste der Bayern gesichert, die vor 1.500 Jahren hier bestattet worden sind. Seitdem faszinieren diese Knochen die Wissenschaftler, die sie immer wieder aus den Regalen holen und tatsächlich immer wieder Neues herausfinden.

Es ist inzwischen so viel und so sensationell, dass zum 50. Jahrestag der Entdeckung der archäologische Verein Erding den aktuellen Forschungsergebnissen ein ganzes Symposium gewidmet hat. Die Forscher wissen jetzt sogar, dass die Kinder teilweise bei ihren Müttern bestattet worden sind, und zwar auch lange nach dem Tod der Mutter. Sie wissen in etlichen Fällen auch, wer der Vater war. Das sind Erkenntnisse, die teilweise dazu führen, dass Geschichtsbücher noch einmal angeschaut werden müssen, denn das Bild, das sich in den Köpfen der Menschen von der »Völkerwanderung« breit gemacht hat, gehört nach Meinung der Wissenschaftler in die »Mottenkiste«.

Die Menschen, die angeblich den Zusammenbruch des römischen Reiches verursacht haben sollen, waren sehr sesshaft und trieben Handel bis ins Baltikum und nach Afrika. Das geht aus Grabbeigaben hervor, wo die Keramik- oder Metallreste mit ihrer Gestaltung keinen anderen Schluss zulassen. Mit den gehandelten Waren zogen auch die Menschen quer durch Mitteleuropa. Einige von ihnen wurden in der Region rund um Erding sesshaft. So haben Forscher den Nachweis geführt, wonach mindestens eine Person, deren Skelette hier gefunden wurden, von der See herkam, wahrscheinlich von der Ostsee.

Damit aber nicht genug: Den Forschern gelang der Nachweis der Pest. Sie konnten sogar die DNA des Pesterregers isolieren und feststellen, dass es jene Pest war, die in den Jahren 541 bis 544 halb Konstantinopel dahingerafft hat. Der »schwarze Tod«, der um 1350 in Mitteleuropa wütete, war eine andere Pest, ein anderer Erreger.

Pest ist eben nicht gleich Pest und den Zuhörern im heillos überfüllten Museum wurde gleich zweierlei: Ob der Erreger denn noch gefährlich sei, war eine ernst gemeinte und gar nicht mal so abwegige Frage, die auch entsprechend ernst genommen wurde: Nein, der Erreger sei abgestorben, beruhigten die Wissenschaftler. Eine andere Frage, die sich die Forscher gestellt hatten, befasst sich mit der Todesursache der Kinder, die in dem Gräberfeld bestattet worden waren. Sie wiesen Infektionskrankheiten nach, aber auch Salmonellen, nicht nur im frühen Mittelalter ein Thema.

Beruhigend für die Zuhörer: Misshandlungen von Kindern waren damals nicht signifikant häufiger als zu späteren Zeiten. An nur zwei Skeletten wurden Nachweise von Misshandlungen geführt. Das »dunkle Mittelalter« bekommt auch durch die Funde ein anderes Gesicht.

Die Wissenschaftler sprechen von »Material aus Klettham« und dieses »Material« wird noch weitere Generationen von Wissenschaftlern beschäftigen. Die Schwierigkeit dabei: Als die Knochen gefunden wurden, griffen die Grabungshelfer unbedarft und mit bloßen Händen zu. Niemand hatte vor 50 Jahren eine Ahnung von den heutigen modernen Analysemethoden und so haben die Forscher jetzt erst mal die Aufgabe, die DNA der Grabungshelfer von der der Toten von vor 1.500 Jahren zu trennen. Bilder aus den Laboren, die begleitend zu den Vorträgen gezeigt wurden, machten deutlich, mit welchem Aufwand das letzlich umgesetzt wird.

Die Knochen von Klettham haben seit ihrer Entdeckung viele Geschichten und Geschichte preisgegeben. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden sie noch mehr zu erzählen wissen, egal wie oft die Forscher sie wieder aus den Regalen holen werden. kw

Artikel vom 07.08.2015
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