Wenn ein Kind stirbt

Familien finden Hilfe bei den Verwaisten Eltern München

Einfach nur reden, allein das hilft vielen, ihre schwere Situation besser zu verarbeiten.	Foto: Verwaiste Eltern

Einfach nur reden, allein das hilft vielen, ihre schwere Situation besser zu verarbeiten. Foto: Verwaiste Eltern

München · Liva wurde am 16. Februar 2006 geboren. Gestorben ist sie am 14. Februar 2006. Es war Schicksal. Ein Schicksal, das Astrid Gosch-Hagenkord heute akzeptiert hat. Sie hat das Kind damals zur Welt gebracht und wusste, dass sein Leben schon vorbei ist.

Ob man wirklich vermitteln kann, was in diesem Moment in den Eltern vorging, was in allen Eltern vorgeht, die ihr eigenes Kind zu Grabe tragen müssen? Wie wäre das Leben weitergegangen, wenn das Paar sich selbst überlassen gewesen wäre? Graue Theorie, denn sie haben Hilfe bekommen vom Verein Verwaiste Eltern München e.V.

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Artikel vom 27.06.2015: Münchner Samstagsblatt-Redakteur Carsten Clever-Rott über Stärke und Schwäche

Dort haben sie Menschen mit dem gleichen Schicksal getroffen. Menschen, die ihr Kind durch Frühtod verloren hatten. Sie konnten reden und den unbeschreiblichen Schmerz, der erst nach und nach, aber umso heftiger an die Oberfläche kommt, verarbeiten. Nach einem Jahr fühlte sich das Paar wieder bereit für ein Kind. Im Februar 2008 kam Livas kleiner Bruder zur Welt. »Ich habe zwei Kinder«, sagt Astrid Gosch-Hagenkord ganz selbstverständlich, »Liva ist immer dabei.« Sie hatte damals ihr totes Kind nach der Geburt in den Arm genommen. »Sie sah aus wie ein schlafendes Baby.« Und sie musste gleich wieder Abschied nehmen.

In Deutschland sterben jedes Jahr rund 20.000 Kinder und junge Erwachsene. Krankheit, Suizid, Unfall, Gewaltverbrechen – die Gründe sind vielfältig, die Folge immer dieselbe: Die Eltern verlieren den Boden unter den Füßen bis hin zu der Frage, ob sie selbst den Tod ihres Kindes hätten verhindern können. Doch nichts, was sie sagen, denken, tun, kann das Geschehene ungeschehen machen. Sie müssen lernen, mit der neuen Situation umzugehen, die viele Hoffnungen und Erwartungen an das Leben so abrupt zerstört hat.

Im Prinzip befinden sich alle Betroffenen am selben Punkt und doch gibt es vielfältige Unterschiede. Jeder Einzelne muss da abgeholt werden, wo er ist. Männer trauern anders als Frauen. Kinder, die einen Bruder oder eine Schwester verloren haben, drücken sich wieder anders aus und leiden einerseits unter dem Verlust, andererseits auch unter der Trauer der Eltern.

»Trauernde sind seelisch Schwerverletzte«, erklärt ­Susanne Lorenz, Diplom-Sozialpädagogin und Leiterin der Vereinsgeschäftsstelle am St.-Wolfgangs-Platz in Haidhausen. »Durch Einzelberatung, Seminarangebote, aber vor allem durch die verschiedenen begleiteten Selbsthilfegruppen finden Betroffene den Schutzraum, in dem Trauer, Schmerz, Sehnsucht, Wut und das ganze Leid zugelassen werden darf, bis der Schmerz sich wandelt in Hoffnung.«

Acht Gruppenangebote stellt der Verein zur Verfügung, darunter die Offene Gruppe, aber auch spezielle Angebote wie die Suizidgruppe, die Geschwistergruppe oder die Vätergruppe. Gerade Männer tun sich schwer, den Weg zu den Verwaisten Eltern zu finden. Sie denken oft, auch in den schwierigsten Situationen stark sein zu müssen, dabei ist auch ihre Seele tief verletzt und wer Hilfe zulässt und annimmt, verspürt in der Regel Dankbarkeit. Astrid Gosch-Hagenkord hatte in ihrer eigenen schweren Zeit das Glück einen Mann an ihrer Seite zu haben, der die Trauer mit ihr geteilt hat.

»Wir waren immer zu verschiedenen Zeiten schwach und konnten uns gegenseitig stützen«, erzählt Astrid Gosch-Hagenkord, die nach ihrem eigenen Schicksal dem Verein und anderen Mensch das wiedergeben wollte, was sie selbst erfahren hat. Heute engagiert sich Astrid Gosch-Hagenkord neben vielen anderen bei den Verwaisten Eltern, künftig bei der Akutbegleitung Primi Passi, die unmittelbar nach einem Todesfall als Ansprechpartner für Betroffene zur Verfügung steht. Der größte Teil der Aufgaben wird ehrenamtlich bewältigt, denn die vorhandenen Gelder sollen da eingesetzt werden, wo sie am dringendsten gebraucht werden: in der Unterstützung der Betroffenen. Der größte Teil der finanziellen Mittel setzt sich aus Zuschüssen und Zuwendungen von öffentlichen und kirchlichen Institutionen zusammen. Dazu kommen die Beiträge der Vereinsmitglieder, deren Zahl auf die 1.000 zugeht, sowie Spenden.

Die Verwaisten Eltern bieten einen Raum zum Trauern, geistig, aber auch ganz greifbar mit den Gruppen oder Veranstaltungen, an denen jeder teilnehmen kann. So veranstaltet der Verein zusammen mit dem Pfarrverband Obergiesing auf Anregung des Pastoralreferenten Gerhard Wastl am Freitag, 3. Juli, um 19 Uhr, ein Gedenkgottesdienst für fehl- und totgeborene Kinder in der Aussegnungshalle des Ostfriedhofs.

Astrid Gosch-Hagenkord sagt, sie habe nach dem Tod ihrer Tochter eine Demut erlebt und neu gelernt, das Leben anzunehmen, wie es kommt. Manchmal muss man einfach da durch, egal wie schlimm das ist. »Aber schlimmer als schlimm gibt es nicht.« Jeder hat ein Recht auf Gefühle. Von Carsten Clever-Rott

Hintergrundinfo:

Der Verein Verwaiste Eltern und trauernde Geschwister München e.V. wurde 1982 von drei betroffenen Müttern gegründet. Im Laufe der Jahre wuchsen die Zahl der Mitglieder und das Angebot. Heute gibt es acht Gruppen:

  • Offene Gruppe für Mütter und Väter, die ein Kind durch Tod verloren haben, unabhängig von der Ursache. Termine: immer am 1. und 3. Mittwoch eines Monats.
  • Frühtodgruppe am letzten Donnerstag im Monat
  • Suizidgruppe jeden 2. und 4. Mittwoch im Monat
  • Geschwistergruppe jeden 2. Dienstag im Monat
  • Familiengruppe mit Angeboten für Kinder und Jugendliche
  • Vätergruppe: Termine und Anmeldung in der Geschäftsstelle, E-Mail: info@ve-muenchen.de
  • Längerbetroffenengruppe für Menschen, bei denen hin und wieder der Wunsch besteht, sich mit anderen trauernden Eltern auszutauschen.

Die Gruppen treffen sich in der Regel zwischen 19 und 21 Uhr.
Weitere Informationen über den Verein und seine Arbeit gibt es im Internet unter www.ve-muenchen.de sowie in der Geschäftsstelle unter Tel. 0 89/4 80 88 99-0.

Artikel vom 27.06.2015
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