Türen zum Öffnen

Weihnachtsgedanken vom Ebersberger Pfarrer Edzard Everts

Pfarrer Edzard Everts.	Foto: Jürgen Hoß

Pfarrer Edzard Everts. Foto: Jürgen Hoß

Ebersberg · Nicht jeder Rekord gibt Anlass zum Jubeln. Es ist eine Schande, dass so viele Menschen wie nie zuvor auf die Unterstützung der Tafeln angewiesen sind.

Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auf, auch in unseren schönen oberbayerischen Landen. Es sind immer mehr Familien, die für ihre Kinder nicht mehr die Kindergarten-Beiträge selber zahlen können, immer mehr, die trotz fleißigen Arbeitens nie auf einen grünen Zweig kommen werden. Gleichzeitig sind die privaten Vermögen in Deutschland auf neue Höchststände gewachsen. Das vergangene Jahr hat uns wieder so manches Beispiel für die fundamentale Schieflage unseres Wirtschafts- und Finanzsystems geliefert. Da wandern in guten Zeiten alle Gewinne in private Taschen, trickreich geschützt vor der Steuer, den Ansprüchen des Gemeinwesens.

Die Verluste hingegen werden der Allgemeinheit aufgebürdet.

Wenn jemand sagt, diese Welt sei ungerecht, wer könnte dem widersprechen? Das alles lässt die Verunsicherung wachsen und bildet den Nährboden für Ängste. Und die Angst geht auch unter denen um, denen es noch gut geht. Das ist verständlich und gut nachzuvollziehen. Leider geht mit der Angst etwas noch viel schlimmeres einher. Das Herz wird hart. Wer selber Sorgen hat, tut sich schwerer, die Sorgen der anderen wahrzunehmen. Die eigenen Nöte, auch die vermeintlichen, machen blind für die Not des Mitmenschen.

In unzähligen Christvespern wird auch dieses Jahr das Krippenspiel in der Szene der Herbergssuche von dieser Herzenshärte erzählen:

»Wer klopfet an?«
O zwei gar arme Leut!
»Was wollt ihr dann?«
O gebt uns Herberg heut! O durch Gottes Lieb wir bitten, öffnet uns doch eure Hütten!
»O nein, nein, nein!«
O lasset uns doch ein
»Es kann nicht sein!«

Wer klopfet an? Wenn der Fragesteller wirklich eine Antwort darauf wollte, so müsste er zunächst die Tür öffnen. Er müsste in ein Gesicht schauen. Er müsste in dem Unbekannten erst den Menschen entdecken. Er müsste sich die Geschichte dieses Menschen anhören. Ungefährlich ist das nicht. Denn wo die harten Mauern und die steinerne Angst bröckeln, da begegnet man auch seiner eigenen Verletzlichkeit. Und jeder Mensch kennt wohl das unangenehme Gefühl, draußen zu stehen, sich nicht angenommen zu fühlen. Wie schlimm es ist, sich unverstanden zu fühlen und wie eisig es sich anfühlt, wenn mir Misstrauen entgegenschlägt!

Die biblische Geschichte erzählt, dass da kein Platz war für dieses Kind armer Eltern. Ich ertappe mich bei dem Gedanken, dass ich anders gehandelt hätte. Das süße Jesukindlein würd‘ ich sofort bei mir aufnehmen, samt seiner Eltern, wenn es sein muss. Leider bekam ich nicht die Chance dazu, denke ich im Stillen. Stimmt nicht! Das stimmt nicht, sagt der derjenige, der damals in der Krippe lag. »Ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben, ich bin ein Fremdling gewesen und ihr habt mich aufgenommen, ich bin nackt gewesen und ihr habt mich bekleidet, ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht.« Wann soll das gewesen sein, frage ich. Und Jesus antwortet: »Was ihr einem meiner geringsten Geschwister getan habt, das habt ihr mir getan.« (Matthäus-Evangelium 25)

Es wäre ein Leichtes aus solchen Worten jetzt die bekannten moralischen Keulen zu schnitzen. Hohe ethische Forderungen lassen sich leicht postulieren. Der Pfarrer, der hier schreibt, traut sich das aber nicht. Zu oft ist er selber blind. Und hungrig, fremd, nackt und krank, das sind ja nicht nur die anderen, das ist jeder Mensch zuweilen. Jeder Mensch steht mal auf der einen Seite und mal auf der anderen Seite der Tür, mal als einer, der sie öffnen könnte und sich vielleicht nicht traut, mal als einer, der darauf angewiesen ist, dass jemand aufmacht.

Darum wünsche ich mir dieses Jahr zu Weihnachten nur eine Sache. Empfindsamkeit!

Ein frohes Fest wünscht Ihnen
Ihr Pfarrer Edzard Everts,
Ebersberg.

Artikel vom 23.12.2014
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