Vom Rand in die Mitte

München Nord · Wie die »Junge Arbeit« Jugendlichen eine Lebensperspektive gibt

Mission Zukunft: Patrick (l.) und Kumpel Joan fühlen sich in den Räumlichkeiten der »Jungen Arbeit« gut aufgehoben und verstanden. 	Foto: Jürgen Schütt

Mission Zukunft: Patrick (l.) und Kumpel Joan fühlen sich in den Räumlichkeiten der »Jungen Arbeit« gut aufgehoben und verstanden. Foto: Jürgen Schütt

Hasenbergl · Ab in die Koje! Statt geruhsamer Schlaf wartet auf Patrick K. (23) und Joan D. (22) nun eine Menge Arbeit. Denn Koje bezeichnet im Innungsjargon der Maler, Lackierer und Tapezierer den Übungsraum für Lehrlinge.

Gerne folgen die beiden jungen Männer der Aufforderung ihres Ausbilders, haben sie doch lange genug davon geträumt, einmal einen richtigen Beruf erlernen zu dürfen.

Die Chance bekommen sie nun bei der »Jungen Arbeit«, einer Einrichtung der Diakonie Hasenbergl. Das Gebäude in der Schleißheimer Straße 523 im Hasenbergl bietet jährlich 35 Ausbildungsplätze in den Handwerksbranchen Malerei, Schreinerei und Siebdruckerei. »Das Angebot wendet sich ausschließlich an Jugendliche zwischen 16 und 27 Jahre, die einen erhöhten Unterstützungsbedarf nachweisen können«, so Betriebsleiter Frank Karlsen-Lasshof. Dieser sei durch multiple Problemlagen im privaten Umfeld entstanden, die die Lehrlinge der Einrichtung allein nicht mehr bewältigen könnten. Sei es ein fehlender Schul- und/oder Berufsabschluss, familiäre Probleme, eine kriminelle oder Drogenvergangenheit oder eine gesellschaftliche Benachteiligung durch Herkunft, Hautfarbe oder körperlich-geistiger Defizite. Im Fall des 22-jährigen Mexikaners Joan, der gerade ins erste Maler-Lehrjahr gestartet ist, liegt der Fall noch ein wenig komplizierter. Vor sechs Jahren holte der deutsche Stiefvater Joan, seine Mutter und zwei Brüder nach Deutschland. Der damals 16-Jährige war mit der neuen Umgebung völlig überfordert und ohne Schul-und Berufsabschluss nahezu chancenlos. Die bekommt er nun bei der »Jungen Arbeit«. Doch nicht nur eine fundierte Berufsausbildung und erstes, selbst verdientes Geld. »Es geht uns Mitarbeitern der Einrichtung auch um Vermittlung von Werten wie Disziplin und Verantwortungsgefühl«, ergänzt Steffi Göppl, die für die sozialpädagogische Begleitung der Auszubildenden zuständig ist. Das beginnt schon beim morgendlichen, pünktlichen Aufstehen. Problematisch sei für die meisten Jugendlichen, die Einsicht, dass man zuerst den Anforderungen der Leistungsgesellschaft gerecht werden muss, um die Verlockungen der Konsumgesellschaft genießen zu dürfen. Kurz: Nur wer was leistet, kann sich was leisten.

Joans Kumpel Patrick hat diese Lektion bereits gelernt. Im Januar dieses Jahres kam er in die Einrichtung der »Jungen Arbeit«, hatte bereits zwei Lehrjahre als Maler hinter sich, doch schmiss hin, als die zwischenmenschlichen Konflikte mit seinen meist ausländischen Kollegen nach eigenem Empfinden »nicht mehr auszuhalten« waren. Nun ist er glücklich, hat mittlerweile sein drittes Lehrjahr und die theoretische Prüfung zum Gesellen geschafft und bereitet sich zur Zeit auf die praktische Prüfung vor. Nicht nur die will er meistern, sondern auch noch irgendwann seinen Meister machen. Das Anleiten von Malernachwuchs praktiziert er bereits, nimmt seinen Freund Joan gern unter seine Fittiche, wenn die beiden irgendwo in München einen Kundenauftrag ausführen.

1.000 junge Menschen konnten sich in den vergangenen 30 Jahren in der Einrichtung qualifizieren, die Erfolgsquote beim Sprung auf den Arbeitsmarkt erscheint mit rund 35 Prozent jährlich nicht sehr hoch doch Daniela Kurz, Referentin für Presse-und Öffentlichkeitsarbeit der Diakonie Hasenbergl, stellt richtig: »Wenn man bedenkt, dass die Alternative Arbeitslosigkeit womöglich als Dauerzustand bedeuten würde, ist das ein gutes Ergebnis.« Wie wahr! Denn die Jugendlichen, die es in den ersten Arbeitsmarkt geschafft haben und eine sozialversicherungspflichtige Arbeitsstelle aufnehmen, können nun ihr Leben selbstbestimmt führen.

Trotz dieser Erfolge steht es derzeit um die »Junge Arbeit« finanziell nicht sehr gut. Finanziert wird die Einrichtung hauptsächlich über Mittel der Landeshauptstadt München. Hinzu kommen Finanzspritzen aus dem Europäischen Sozialfond (ESF), der Bundesagentur für Arbeit und den Jobcentern. Gewinne, die aus Kundenaufträgen erwirtschaftet werden, kommen nicht der Einrichtung zugute, da die als Subventionsbetrieb der sogenannnten Fehlbedarfsfinanzierung unterliegt. Soll heißen: Mögliche Defizite werden von den Geldgebern ausgeglichen, Erlöse hingegen mit Kürzung der Subventionen »bestraft«.

Zudem wird es laut Betriebsleiter Frank Karlsen-Lasshof immer schwieriger, geeignete, lernwillige Lehrlinge zu finden. Was ihm auch Kopfzerbrechen bereitet, ist die Tatsache, dass die Problemlagen bei den Jugendlichen immer gravierender und vielschichtiger werden, was die sozialpädagogische Betreuung zunehmend aufwendiger und damit teurer macht. «Es fehlt den Jugendlichen in zunehmendem Maße ein Vorbild, eine moralische Instanz«, beklagt Lasshof. Einrichtungen wie die »Junge Arbeit« können sicherlich nicht die Familie ersetzen, doch können sie helfen, die Folgen eklatanter Versäumnisse in Erziehung und Bildung abzumildern. Eine lohnenswerte Aufgabe für alle Beteiligten. Die Diakonie Hasenbergl wurde 1964 von Pfarrer Otto Steiner im sozialen Brennpunkt des Münchner Stadtteils Hasenbergl unter der damaligen Bezeichnung »Sozialer Beratungsdienst« gegründet. Aus bescheidenen Anfängen entwickelte sich im Münchner Norden ein diakonischer Verein mit einer Vielzahl von sozialen Dienstleistungen, fast 50 Einrichtungen und über 300 ehrenamtlichen und angestellten Mitarbeitern, der somit inzwischen im Stadtbezirk Feldmoching-Hasenbergl der drittgrößte Arbeitgeber ist.

Der Stadtteil Hasenbergl ist ein sozialer Brennpunkt. Hier leben im städtischen Vergleich überdurchschnittlich viele Alleinerziehende, kinderreiche Familien mit niedrigem Einkommen oder in Armut, zahlreiche Migranten sowie eine wachsende Zahl arbeitsloser Jugendlicher und junger Erwachsener. Mit ihrer sozialen Arbeit erhöht die Diakonie die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen, fördert die Wiedereingliederung ins Berufsleben und trägt zur Verbesserung der Lebensqualität in extrem schwierigen Lebenslagen bei.

Artikel vom 18.11.2014
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