Villa soll weichen

Ramersdorf · Lebenshilfe München am Willinger Weg soll modernisiert werden

Das alte Haus der Lebenshilfe am Willinger Weg soll einem größeren Neubau weichen. | Peter Puhlmann.  |  Wolfgang Thalmeir.	Fotos: bus  |  Lebenshilfe München  |  privat

Das alte Haus der Lebenshilfe am Willinger Weg soll einem größeren Neubau weichen. | Peter Puhlmann. | Wolfgang Thalmeir. Fotos: bus | Lebenshilfe München | privat

Ramersdorf · Die Anwohner und Aktiven in der Schutzgemeinschaft Ramersdorf wollen den Charakter ihres Viertels erhalten. Sie kämpfen um die verbliebenen alten Häuser aus den 1930er-Jahren und fordern deren Erhalt. Dagegen stehen die Interessen der Eigentümer.

Im Fall des freistehenden Hauses am Willinger Weg 9 ist das die Lebenshilfe.

Sie ist an 19 Standorten für mehr als 1600 Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Behinderung und ihre Angehörigen da und wurde vor über 50 Jahren gegründet. »Die Lebenshilfe München mit ihren 20 Einrichtungen in Stadt und Landkreis München ist ein pulsierendes Unternehmen. Auf vielen Ebenen und in allen Einrichtungen wird täglich für das Wohl von Menschen mit Behinderung gearbeitet«, so Geschäftsführer Peter Puhlmann.

Mittendrin, nahe des Innsbrucker Rings, liegt die ehemalige Arztvilla im Willinger Weg. Ganz bewusst wurde der Standort vor 30 Jahren zentral gewählt. Menschen mit Behinderung sollten nicht weitab, irgendwo untergebracht sein, sondern an der Gesellschaft teilhaben. Inklusion, also die Möglichkeit für jeden Menschen sich vollständig und gleichberechtigt an allen gesellschaftlichen Prozessen zu beteiligen, das hat die Lebenshilfe schon früh umgesetzt. Heute ist der Begriff in aller Munde, der Bezirksausschuss (BA) 16 Ramersdorf-Perlach hat wie alle BAs beispielsweise einen Inklusionsbeauftragten.

Am Willinger Weg prägen das Baujahr aus den 30er-Jahren und die ursprüngliche Nutzung den Charakter des Hauses nicht nur äußerlich. Der Keller musste bereits abgesichert werden, behindertengerecht ist das Objekt nie gewesen.

Der Gesetzgeber hat im so- genannten Pflege- und Wohnqualitätsgesetz (PfleWoqG) Grundlagen und Standards geschaffen, die regelmäßig an moderne Anforderungen angepasst werden. Sie sind an den heutigen Erkenntnissen der Sozial- und Heilpädagogik, der Psychologie, der Medizin und Pflege orientiert. Dabei sind die baulichen Anforderungen an Wohnheime ebenso erfasst. Deswegen reichen die bestehenden Zimmergrößen und ein Etagenbad nicht mehr aus. Für die Bewohner ist ein Mindestmaß von 14 Quadratmeter vorgegeben. Peter Puhlmann dazu: »Wir haben bereits von zwölf auf zehn Wohnplätze reduziert. Insgesamt aber ist die jetzige Situation am Willinger Weg nicht zukunftsfähig, ein Neubau ist unausweichlich.« Auch ein zweiter Umstand fordert einen Neubau.

Inklusion gilt ebenso für Menschen mit schwerer körperlicher und geistiger Behinderung. »Es ist unsere Pflicht«, so Puhlmann, »älter werdenden Menschen mit Behinderung und Menschen mit schwereren körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen ein Zuhause zu schaffen, das den Anforderungen und Bedürfnissen aus moderner Sicht entspricht. Denn auch unsere Bewohner in Ramersdorf werden älter und brauchen Rampen und größere Bäder, die sich so in das alte Haus nicht einbauen lassen.«

Aus Sicht der Lebenshilfe ist deshalb eine Größe von 24 Wohnheimplätzen unbedingt notwendig. Nur so könnten unterschiedliche Betreuungskonzepte angeboten werden. Dazu zählt ein Wohnen mit oder ohne Tagesstruktur und – falls nötig – mit Nachtwache oder Nachtbereitschaft. Die Vorgaben dafür hat der Gesetzgeber geschaffen. Eine Wohnstätte unter 24 Plätze sei nur als sogenannte Außenwohngruppe zu führen. Damit wäre ein Angebot mit Tagesstruktur oder Nachtwache nicht mehr machbar.

Ausdrückliches »Ja« vom BA zum Neubau

Rechtsanwalt und BA-Bauexperte Wolfgang Thalmeir (CSU), bestätigt diese Sichtweise. Er und sein Unterausschuss haben sich intensiv mit dem Neubauvorhaben auseinandergesetzt und länger direkt mit Geschäftsführer Puhlmann und Vertretern der Anwohner diskutiert. Er sagt: »Der BA stimmt den Planungen grundsätzlich und zwar ausdrücklich zu, auch wenn eine Baugrenzenüberschreitung im rückwärtigen Gebäudebereich um bis zu zwei Meter beantragt ist. Im Interesse der – an der südlichen Grundstücksseite bestehenden Nachbarbebauung – regt der BA aber an, alle Möglichkeiten einer Verschiebung des Baukörpers nach Westen in Richtung Willinger Weg auszunutzen.« Außerdem soll die Gestaltung des Neubaus optisch gebietsverträglich werden, man möge auch überprüfen, inwieweit eine Trennung oder mindestens optische Teilung des Baukörpers möglich ist. Im BA ließ Thalmeir keinerlei Zweifel am Neubau aufkommen: »Wenn die Lebenshilfe hier nicht neu bauen kann, verlieren die Bewohner ihr Zuhause und werden voraussichtlich wesentlich ungünstiger in größeren Häusern ›auf der grünen Wiese‹ untergebracht. Die Villa wird dann verkauft, an einen Bauträger. Der nächste Bebauungsplan wird infolgedessen sicher viel dramatischen als der jetzige Vorbescheidsantrag – da kommen dann 16 und mehr Wohneinheiten mit Tiefgarage und maximaler Geschosszahl. Bitte bedenken Sie: Das alte Haus ist null altersgerecht, hat keinen Lift, Wendeltreppen und kleine Zimmer.«

Schutzgemeinschaft Ramersdorf lehnt Neubau ab

Bettina Rudow von der Schutzgemeinschaft Ramersdorf will die restlichen alten Häuser des Quartiers unbedingt schützen. Die durch eine hohe Hecke verdeckte Villa und ihr parkähnlicher Garten seien erfreulich für die, die vorbeigehen und nicht nur für die Bewohner eine Zier. »Wird nun die Baulinienüberschreitung in Kauf genommen, was folgt dann für zukünftige Neubauten im Umfeld? Entsteht hier ein Bezugsfall für weitere Häuser? Wie können wir hier eine ›safe‹ Lösung finden?«, fragte sie im BA. Die vermeintliche Gartenstadt sei für Verdichtung völlig ungeeignet. Das Haus könne weiter betrieben werden, da es erst vor sieben Jahren saniert worden ist.

Außerdem haben sie und ihre Mitstreiter Einwände gegen die neuen Raumaufteilungen: »Der Neubau hat dann keine Küche mehr und nur einen Aufenthaltsraum. Bisher sind wir Nachbarn jährlich eingeladen worden, was für einen Austausch und die Inklusion wichtig ist. Wie will man uns in Zukunft ohne Küche bewirten?« Zu viele Fragen seien offen, man stimme nur einem Baukörper in verkleinerter Form zu. Ein solches Haus könne auch mit weniger Bewohnern wirtschaftlich betrieben werden. Der 24-Personenschlüssel sei nur vorgeschoben und treffe wirtschaftlich nicht zu. »Wir glauben außerdem nicht, dass die heutigen Bewohner nach dem Neubau wieder in das Haus zurückziehen können«, so die Anwohner. Der BA 16 ist anderer Meinung und folgt mit wenigen Gegenstimmen den Argumenten seines Bauausschussvorsitzenden Thalmeir. bus

Artikel vom 12.08.2014
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