Zukunft im Visier

Bogenhausen · Geplantes Viertel östlich der S 8: Diskussion mit Bürgern

Winfried Eckardt (rotes Hemd), Ost-Bereichsleiter der Münchner Volkshochschule (MVHS), erläutert die Folgen des geplanten Stadtquartiers östlich der S 8. An der Rundfahrt nahmen fast 300 interessierte Bürger teil.	 Foto: hgb

Winfried Eckardt (rotes Hemd), Ost-Bereichsleiter der Münchner Volkshochschule (MVHS), erläutert die Folgen des geplanten Stadtquartiers östlich der S 8. An der Rundfahrt nahmen fast 300 interessierte Bürger teil. Foto: hgb

Bogenhausen · »Die Zukunft ist so weit weg und doch schon so nah...«, schwärmte ein rüstiger Rentner beim Rundblick auf Wiesen, Weiden und Wälder. Mehrere Umstehende lächelten, andere nickten zustimmend. Eine Bustour mit 20 Stationen führte kürzlich durch den Münchner Nordosten.

Es war die erste Beteiligung der Bürger für das größte Bauvorhaben der Stadt, einer Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme (SEM). Betrachtet wurde Münchens Zukunft, frühestens ab 2030, wenn etwa 150.000 Menschen mehr als jetzt in der Isarmetropole leben werden.

Die Exkursion führte durch Englschalking, Daglfing und Johanneskirchen, durch Teile eines fast 600 Hektar großes Areals, das von den Gemeinden Unterföhring und Aschheim flankiert wird. Mindestens 10.000, eventuell sogar mehr als 20.000 Menschen – ein Konzept muss erst noch erarbeitet werden – sollen hier einmal wohnen. Fast 300 Interessierte nahmen an der Rundfahrt teil, noch mehr als 200 bei der anschließenden Podiumsdiskussion. Alle fordern, dass die S 8 zum Flughafen in einem Tunnel verschwinden muss. Allen ist klar, dass eines Tages das Quartier steht. Doch heute sind noch viele skeptisch, teils gar verängstigt – man fürchtet, künftig vom Verkehr überrollt zu werden, hat Angst vor zu viel Asphalt, will keine Wohnsilos, will bessere Lösungen als in der größenmäßig vergleichbaren Messestadt Riem und keinen Einheitsbaustil wie in Freiham.

Ursula Ammermann, Stadtplanerin vom Büro citycom, moderierte die Diskussion. »Wir stehen noch vor der Erschaffung der Welt«, meinte sie zu Beginn. Auf dem Podium diskutierten Winfried Eckardt, Bereichsleiter der Münchner Volkshochschule Ost (MVHS), die mit dem Planungsreferat alles organisiert hatte, Aschheims Bürgermeister Thomas Glashauser (CSU), Stadtbaurätin Elisabeth Merk, Otto Steinberger, Vorsitzender des Bezirksausschusses (BA) Trudering-Riem (CSU), und Robert Brannekämper, CSU-Landtagsabgeordneter und BA-Vize Bogenhausen.

Die Antworten der interessierten Bürger auf Ammermanns Frage nach Eindrücken von der Tour machten die momentane Situation klar: »Standen in Daglfing lange an der Schranke, um zwei S-Bahnen passieren zu lassen.« – »Es gibt viele enge und schlechte Straßen.« – »Das lebens- und liebenswerte Daglfing nicht verbauen.« oder »Unser vielfältiges und grünes Bogenhausen soll so bleiben.« sind nur ein kleiner Ausschnitt der Statements.

Ziel ist es laut Merk, eine Balance zwischen den künftigen Wohngebieten, dem Landschafts- und Naturschutz mit Erhalt der Moorgebiete zu finden und Grünverbindungen zu den Nachbarorten zu schaffen. Die Kernfrage laute »Wie kam man die Erschließung vernünftig machen?« Um darauf Antworten zu bekommen, sind vier Gutachten in Auftrag gegeben worden – zu Verkehr/Erschließung, zu Siedlungs- sowie zu Landschaftsentwicklung, außerdem zu Schallschutz/ Emissionen. Die Strukturanalyse soll bis 2016 vorliegen. Laut Merk solle sie »Chancen und Grenzen aufzeigen, um einen Plan entwickeln zu können«.

Robert Brannekämper stellte eines klar: Ohne S-Bahn-Verlegung unter die Erde – im Rathaus 2012 beschlossen, Kosten für die Stadt etwa 500 Millionen Euro, Freistaat Bayern und Bahn kommen für den viergleisigen Ausbau auf – geht’s nicht. »Ohne Unterführung kollabiert alles«, meinte ein Bürger. Ein Tunnel sei die Grundvoraussetzung für das Projekt, betonte auch Merk. Eine provisorische Erschließung lehnte sie ab. Schon heute gibt es oft lange Staus an den drei Bahnübergängen und den beiden Autounterführungen.

Otto Steinberger mahnte, die Fehler, die man in der Messestadt Riem gemacht hat, zu erfassen und aus ihnen zu lernen – vor allem was weiterführende Schulen betreffe. Zur Verkehrserschließung meinte er: »Ich bin erschrocken. So viele kleine Straßen, die können keine zusätzlichen Fahrzeuge mehr aufnehmen«. Der dörfliche Charakter solle unbedingt erhalten bleiben.

Aschheims Bürgermeister Glashauser war erfreut über die »nachbarschaftliche Fairness«, gehört zu werden. Auch seiner Ansicht nach ist der Verkehr das Hauptthema. »Versuchen Sie bitte, unseren Ortsteil Dornach so weit wie möglich zu verschonen«, sagte Glashauser. In Sachen Zuzug verblüffte er: Der Aschheimer Gemeinderat habe 138 Neubürger pro Jahr als Obergrenze festgelegt. Initiator Eckardt will mit der MVHS als Vermittler fungieren, möchte dazu beitragen, »das geschichtsgesättigte Gefüge im Nordosten« zu erhalten. Zum Beispiel 600 Jahre Ziegeleien: »Viel ist davon nicht mehr da«, sagte Eckardi. Applaus gab es für eine andere Anmerkung: »Es muss überlegt werden, ob der Verkehr in 20, 30 Jahren auch noch so abgewickelt wird wie heute«. Skeptisch ist Eckardt, ob die Bahn so mitspielt, wie es nötig ist.

Merk betonte, es gelte kurzfristig die wichtigen Dinge zu formulieren und langfristig entsprechende Pläne zu fertigen. »So bekommen wir ein echtes Strukturkonzept«. Die Stadtbaurätin will aus Betroffenen Beteiligte machen, also stets die Bürger einbinden. Das gelte auch für die 300 bis 400 Grundstücksbesitzer, die »sehr schwer unter einen Hut zu bringen sein werden«, wie ein Anwohner meinte. Diesbezüglich liegt im Rathaus bereits ein Antrag von Brannekämper und BA-Fraktionssprecher Xaver Finkenzeller vor: Die Stadt solle die Eigentümer eigenständig informieren und sie zu den Veranstaltungen einladen.

Zur von einer Frau genannten Zahl von 31.500 Einwohnern, die im Gutachten zur Langfristigen Siedlungsentwicklung genannt wird, erläuterte Elisabeth Merk: »Die zeigt theoretisch mögliche Szenarien auf. Ich kann keine Zahl nennen – außer jener vom Flächennutzungsplan von 1986«. Damals war von 10.000 Bürgern ausgegangen worden. Helmut G. Blessing

Artikel vom 12.08.2014
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