Albrecht Ackerland im Münchner Samstagsblatt

Da schau her! Albrecht Ackerland zum Thema: Essen von Verkehrsinseln

München · »Regional und saisonal« ist zum großen Leitspruch für Gemüse geworden, sei es in der Spitzengastronomie oder im Bioladerl um die Ecke. Das verspricht Frische, kurze Wege für die Feldfrüchte und besten Geschmack: Was gerade wächst und nicht lange Zeit durch die Welt gekarrt wird, schmeckt wohl am besten. Gemüse aus der Region lässt einen nicht zuletzt ein Gefühl für unsere Heimat bekommen.

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Im vergangenen Jahr dachte ich mir: Das kann ich auch. Direkt vor meinem Haus steht ein Baum an der Straße, um ihn herum finden sich eingefasst ein paar Quadratmeter Grün. Es ist diese Art von Grüninsel, die mittlerweile viele Städter nutzen, um ihre gärtnerische Ader anzuzapfen. Das treibt wunderbare Blüten, im wahrsten Sinn des Wortes. Ein paar Bäume weiter hat es eine Frau geschafft, ein buntes Kleinod zu schaffen. Sie hat dafür keinen Cent bezahlt, sondern sie schöpft regelmäßig aus dem Vollen – in den Abfallkörben auf dem Ostfriedhof. Ganze Ladungen abgeblühter Pflanzen karrt sie regelmäßig ran und haucht ihnen auf der ehemaligen Hundetoilette vor ihrem Haus neues Leben ein. So kann es gehen: Was die Friedhofsgärtner nicht mehr brauchen, nützt plötzlich vielen. Die Straße hat ein schönes Fleckerl, und vor blühenden Blumen haben die Hundebesitzer zumindest meistens so viel Respekt, dass ihre Hunderl nicht mehr hinscheißen dürfen.

Das erledigten sie dann auch prompt vermehrt auf dem Braungrün vor meinem Haus. Ich verwendete dann eine ganze Woche Frühlingsurlaub dafür, mir einen Stuhl zu schnappen, und mich vors Haus zu setzen. Dabei lernte ich meine Straße gleich viel besser kennen, ratschte wie eine Kattl und kannte bald jeden Hundebesitzer, denn jeder bekam nach erfolgtem Koten ein Tüterl von mir. Tierhaltererziehung im Giesing-Style. Ein paar Wochen später stand im Gemüseladen eine Kiste. Darin lag ein Haufen Kartoffeln, die ihre Lebendigkeit mittels starkem Austrieb zeigten. Ich hatte eine Idee: ultra-regionale Kartoffeln aus fruchtbarem Giesinger Verkehrsinselmutterboden.

Der Anfang war schnell gemacht. Kartoffeln vergraben, Hundekackverbotsschild aufgestellt mit dem Zusatzvermerk »Hier reifen Lebensmittel!«. Und tatsächlich: Bald zeigten sich zarte Sprossen. Die ersten Guerilla-Kartoffeln Münchens – ich schmeckte sie schon förmlich auf der Zunge. Ein paar Wochen schmeckte der Anblick erst bitter. Die Stadtgärtner hatten sicher ihre Freude, dass ihnen bei ihren Mäharbeiten nicht mehr die Hundstrümmerl ins Gesicht schlugen. Das freute mich dann doch. Am Abend gab es Stampf. Die jungen Kartoffeln kamen aus Ägypten, für mich wie eine Fernreise im Giesing-Style.

Artikel vom 24.07.2014
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