Drei »Munique-Brasilianer« über die Kultur ihrer Heimat

München · Wetten, dass Brasilien...

In Brasilien geboren, in München »dahoam«! Ronaro, Eliane, Ricardo (von links) hoffen, dass Brasilien in ihrer Heimat den Titel gewinnt!	Foto: Sylvie-Sophie Schneider

In Brasilien geboren, in München »dahoam«! Ronaro, Eliane, Ricardo (von links) hoffen, dass Brasilien in ihrer Heimat den Titel gewinnt! Foto: Sylvie-Sophie Schneider

München · Keine Frage, für Brasilien wird sich der Traum vom Titel auch bei der Fußball-WM 2014 erfüllen. Da ist sich Ricardo Eche sicher. »Unsere Seleção wird garantiert Weltmeister«, bekräftigt der in München lebende Brasilianer. »Noch dazu spielen wir im eigenen Land, da sind wir einfach nicht zu toppen.« Behält er Recht, dann wäre das bereits der sechste Fußballweltmeistertitel für Brasilien.

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In München gibt es rund 3000 Brasilianer, die wohl ebenso für ihre Mannschaft die Daumen drücken dürften. Kaum eine andere Nation, so heißt es, soll so fußballverrückt sein: In Brasilien gibt es mehr als 20.000 Fußballvereine. Was aber lässt sich sonst noch über die Menschen aus dem WM-Gastgeberland sagen? »Dass wir alle Samba tanzen, stimmt jedenfalls nicht«, sagt Ricardo Eche lachend. Der Schauspieler und Synchronsprecher hat uns für ein Interview in seine gemütliche Dachwohnung in Neuhausen eingeladen. Gesprächsthema: Die brasilianische Mentalität. Auch mit am Tisch sitzen Ronaro Zuin-Ludron, 45 Jahre alt, und Eliane Gomes, 36, die in der brasilianischen Laientheatergruppe dabei sind, die Eche leitet. Das Radio dudelt, die Laune ist gut, zur Begrüßung gibt es Küsschen links und rechts.

In Deutschland fällt die Begrüßung unter Menschen, die sich nicht kennen, wesentlich distanzierter aus. Kann man sagen, dass die Umgangsart in Brasilien offener ist als hierzulande?

Ronaro: Ich lebe seit 20 Jahren in Deutschland. Früher haben sich die Deutschen regelrecht erschrocken, wenn ich sie so begrüßt habe. Denen ging das meist zu schnell. Andere haben nachgefragt, wie geht denn das, wie wird geküsst und wohin genau. Das hat mit der deutschen Gründlichkeit zu tun, die wollen es eben genau wissen. Inzwischen aber sind die Deutschen wesentlich lockerer geworden.

Ricardo: Aber wenn etwas nicht so läuft, dann ist es vorbei mit der Lockerheit. Deutsche regen sich viel schneller auf. Ich stehe dann da und muntere auf: »Bleibt locker, es ist doch nicht das Ende der Welt.« Dann sehen mich die Leute an und sagen: »So seid ihr eben, ihr Brasilianer, euch kann nichts die Laune verderben.« Doch oft gelingt es mir, dass sie sich von mir anstecken lassen und versuchen, die Situation gelassener zu betrachten.

Warum habt ihr euch entschieden, in Deutschland zu leben?

Eliane: Mein Mann ist Deutscher, ich bin zu ihm gezogen. Es war eine gute Entscheidung. Ich bin froh, dass ich nun in einem Land lebe, in dem es so sicher ist. Ich kann hier ohne Angst durch die Straßen gehen.
Ricardo: Wenn ich beispielsweise in Sao Paulo mit einem Fuß aus der Wohnung draußen bin, muss ich schon aufpassen, dass mir nichts passiert. Ich bin wesentlich angespannter als wenn ich in München unterwegs bin. Auch wenn man sagen muss, dass die Behörden inzwischen für mehr Sicherheit sorgen als noch vor zehn Jahren.

Ronaro: Im normalen Leben wird man im Grunde kaum mit harter Kriminalität konfrontiert. Man muss schon im Drogenmilieu Geschäfte machen, um in eine Schießerei zu geraten. Meiner Einschätzung nach übertreiben es viele Brasilianer mit der Angst. Sie nutzen sie, um sich selbst als Helden darzustellen. Sie sagen oft: »Hier ist es unmöglich, aber ich komme durch.« Wenn man aber nachfragt, was ist dir Schlimmes passiert, kommt meistens nichts. Oder sie sagen: »Mein Arbeitskollege wurde mal überfahren.«

Wer lange in einem Land lebt, übernimmt automatisch einige Verhaltensweisen. Geben euch Landsleute manchmal die Rückmeldung, dass ihr »typisch deutsch« geworden seid?

Ronaro: Es heißt, in Brasilien kann man wunderbar leben, wenn man zwei Sachen hat: Geduld und Toleranz. Denn irgendwer streikt immer. Man kann dann schon mal für zwanzig Kilometer mit dem Auto zwei Stunden brauchen. Doch seit ich in Deutschland bin, merke ich, dass ich intoleranter und ungeduldiger geworden bin. Ich will alles sofort und alles perfekt haben. Denn ich bin es gewohnt, dass in Deutschland alles funktioniert. Geht in Brasilien irgendwas drunter und drüber und läuft nicht so, wie ich es mir vorstelle, schimpfe ich schon mal los. Meine Freunde in Brasilien können dann über mich nur noch den Kopf schütteln. »Man merkt, dass du in Deutschland lebst«, sagen sie dann.

Ricardo: Von den Deutschen kann man aber auch viel Positives lernen, etwa, was es bedeutet, zuverlässig zu sein. Macht man mit einem Brasilianer einen Termin aus, passiert es oft, dass er ihn nicht einhält. Auf die Zusage von einem Deutschen hingegen kann ich mich verlassen. Man kann den Menschen hier vertrauen. Das erleichtert das Zusammenleben.

Die WM hat viele Proteste ausgelöst. Anders als sonst ist die Stimmung in Brasilien gespalten.

Ronaro: Und das, obwohl die WM erstmals seit 64 Jahren wieder in Brasilien stattfindet. Auf den Straßen singen die Demonstranten jeden Tag »Nao vai ter Copa do Mundo no Brasil«, das heißt so viel wie: »Es wird keine WM geben«. Auch wenn viele letztlich trotzdem vor dem Fernseher sitzen werden, wird diese WM anders werden als je zuvor. Ich bin gespannt, was mich erwartet. In den nächsten Tagen fliege ich nach Brasilien – ich hatte das Glück, Karten für das Stadion zu bekommen.

Das Samstagsblatt dankt herzlich für das Gespräch!

Von Sylvie-Sophie Schindler

Artikel vom 20.06.2014
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