Imagined Menu: Kunstraum-Ausstellung

Eingebildete Nahrung statt Lagerfraß: Continis Schau zeigt Hungertrauma

Imagined Menu: Eine makabre Speisekarte ist Thema der Ausstellung von Contini. 	Leone Contini, Imagined Menu, 2013/14: Giosué Fiorentino, Rezeptbuch B98,1917.

Imagined Menu: Eine makabre Speisekarte ist Thema der Ausstellung von Contini. Leone Contini, Imagined Menu, 2013/14: Giosué Fiorentino, Rezeptbuch B98,1917.

Zentrum/Olympiapark · Von Donnerstag, 19. Juni, bis Sonntag, 6. Juli, zeigt Kunstraum München, Holzstraße 10, in Kooperation mit dem Kunstverein Milano Leone Continis »Imagined Menu«. Am Mittwoch, 18. Juni, ist um 19 Uhr im Kunstraum Eröffnung und Performance.

Am Donnerstag, 3. Juli, findet um 18 Uhr am Olympiaberg im Olympiapark eine Picknick-Lesung statt. Die Anzahl der Teilnehmer bei der Picknick-Lesung ist auf 50 Personen begrenzt. Verbindliche kostenlose Anmeldung per E-Mail an barsi@kunstraum-muenchen.de.

Das Projekt »Imagined Menu« des italienischen Künstlers Leone Contini nimmt Bezug auf ein historisches Ereignis, bei dem es im Oktober 1917 zur schlimmsten Niederlage in der Geschichte des italienischen Militärs kam, der »Rotta di Caporetto«: Zwischen Oktober und November geraten ungefähr 300.000 italienische Soldaten in Gefangenschaft und werden später auf Gefangenenlager in Deutschland und Österreich-Ungarn verteilt; Soldaten werden von Kämpfern zu Kriegsgefangenen, aus Agierenden des Krieges werden Besiegte, aus mit Rationen und Konservendosen gut genährten Körpern werden abgemagerte, unterernährte Gestalten.

Unter den Gefangenen von Caporetto befindet sich auch Giosuè Fiorentino, ein junger, sizilianischer Offizier und Großonkel von Leone Contini, der in Cellelager, nördlich von Hannover, zusammen mit 5000 anderen italienischen Offizieren interniert wird. Die kleine Gemeinschaft seiner Baracke, die kleinste soziale Einheit des Lagers, erlebt zusammen Hunger, Kälte und Verzweiflung, entwickelt aber auch gleichzeitig kollektive Strategien des Widerstands. Dem »Fraß« des Lagers, der die Gefangenen mit Mühe am Leben erhält, stellt man das Essen der Erinnerung entgegen, intensiv begehrt und Thema endloser Diskussionen unter den Gefangenen.

Das Teilen des »eingebildeten« Essens ist wohl ein Versuch, mit dem unvorstellbaren Hunger fertig zu werden, diesen Urinstinkt umzulenken und eine Masse hungriger Körper in so etwas wie eine Gemeinschaft zu verwandeln. Dieses – wenn auch nur virtuelle – Gemeinschaftsmahl ist auch als Aktion kollektiven Widerstands zu verstehen.

Giosuè Fiorentino hielt in zwei handgebunden Notizbüchern die Rezepte fest, die von den Mitgefangenen beschrieben wurden; das Ergebnis ist ein großes Mosaik von Regionalküchen der Zeit um 1900, etwa 250 Rezepte von Friaul bis Sizilien. B98, die Bezeichnung Fiorentinos Baracke, gab einem der beiden Kochbücher seinen Titel.

Nachdem es 2013 vom Kunstverein Amsterdam gezeigt worden war, ist »Imagined Menu« nun an zwei Terminen erstmals in München zu sehen: Am 18. Juni präsentiert der Kunstraum München in Zusammenarbeit mit dem Kunstverein Milano eine Lesung/Performance, die – als fließende Erzählung konzipiert – die Vorgehensweise bei der Ernährung und der Kontrolle über den Körper der Soldaten im Ersten Weltkrieg aufzeigen wird, von den Schützengräben an der Front bis in die Gefangenenlager nach der Niederlage von Caporetto. Die »Spuren«, die während der Lesung entstehen, bilden die Ausstellung, die bis zum 6. Juli zu sehen sein wird.

Am 3. Juli wird ein Picknick veranstaltet auf dem Olympiaberg, der vor 1972 als Schuttberg bekannt war, da er aus den Trümmern des im Zweiten Weltkrieg durch Bomben zerstörten Münchens aufgeschüttet wurde, heute aber ein wesentlicher Teil der Olympiaparkanlage ist. Bei dem Picknick werden einige der im Kochbuch B98 beschriebenen Gerichte serviert werden. Jedes ausgewählte Rezept bietet eine Gelegenheit zum Nachdenken und zu Gesprächen zwischen dem Künstler und seinen Gästen. Leone Contini (geb. 1976 in Florenz) studierte Philosophie und Kulturelle Anthropologie in Siena. Seine Forschung konzentriert sich vor allem auf interkulturelle Reibungspunkte, Konflikte und Machtbeziehungen, Vertreibung, Migration und Diaspora.

Er entwickelt hierzu Vorlesungsperformances, kollektive Interventionen im öffentlichen Raum, textbasierte und audio-visuelle Erzählungen, Blogs und Eigenpublikationen.

Artikel vom 10.06.2014
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