Projekt »Perspektivwechsel« in Ismaninger Schule

Ismaning · Andere Lebenswelt empfinden

Wie fühlen sich Blinde? Ismaninger Mittelschüler wechselten ihre Perspektive.	Foto: ZAP Ismaning

Wie fühlen sich Blinde? Ismaninger Mittelschüler wechselten ihre Perspektive. Foto: ZAP Ismaning

Ismaning · Rollstühle werden durch die Gänge der Mittelschule Ismaning geschoben, darin fröhliche Menschen mit unsteten Pupillen, die untypische Stellungen der Extremitäten aufweisen. Ein Blinder tastet sich selbstbewusst mit seinem Stock hinterher. Ihnen folgen neugierige Blicke der Schüler, vereinzelt ist nervöses Kichern zu hören.

Die heutigen Gäste an der Mittelschule sind eine Gruppe von Menschen mit Behinderungen, meist von einer sogenannten frühkindlichen Hirnschädigung (Infantilen Cerebralparese) betroffen, sowie einem tatkräftigen Helferteam des Vereins »Gemeinsam Mensch«. Mit ihrem 2002 entstandenen Projekt »Perspektivwechsel« besuchen sie Schulen in Bayern, um für Sensibilität, Achtung und Toleranz zu werden: Menschen ohne Behinderungen wird für einige Stunden die Möglichkeit gegeben, die Perspektive zu wechseln und diese andere Lebenswelt nach zu empfinden. Mittlerweile ist die Resonanz auf das Projekt so positiv und die Nachfrage so groß, dass längst nicht mehr alle Anfragen bedient werden können. Umso mehr freut sich die Organisatorin an der Mittelschule, Jugendsozialarbeiterin Veronika Aschberger, dass sie ihren Schülern diese wichtige Erfahrung ermöglichen kann. Circa 60 Schüler einer 5., 6. und 7. Klasse nehmen hier in Ismaning an dem Projekt teil, bei dem fünf verschiedene Stationen durchlaufen werden.

Es gibt eine Diskussionsrunde, die von Anita Donaubauer, Vorsitzende des Fördervereins Mensch und selbst von Infantiler Cerebralparese betroffen, geleitet wird. Selbstbewusst tritt diese für gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ein und berichtet den Schülern über medizinische Ursachen, Symptome, über Einschränkungen und Alltagsbewältigung. Die anfängliche Scheu der Kinder verschwindet schnell und sie beginnen offen Fragen zu stellen. Im Nachbarzimmer lässt sich inzwischen eine weitere Gruppe von dem blinden Werner in die Hilfsmittel für Blinde einführen. Eine sogenannte Wahlschablone beispielsweise, ein kompliziertes Konstrukt aus Punktschrift, Lochungen und erhabener Schrift, ermöglicht es blinden und stark sehbehinderten Menschen selbstständig an geheimen Wahlen teilzunehmen. Andere versuchen sich mit Augenbinde und Blindenstab aus dem Klassenzimmer ins Freie vorzuarbeiten. Die dritte Station des Parcours bezieht sich auf eine Greifbehinderung, die mittels Armschlingen und eigens entwickelten Handschuhen simuliert wird. Uns unbekannte Werkzeuge dienen als Hilfsmittel – so kämpfen gerade zwei Schüler, Deyvis und Akeem, mit einer Drahtschlinge um das Verschließen ihrer Knöpfe. In der Turnhalle wird Rollstuhlbasketball gespielt sowie in den achtsamen Umgang mit Rollstuhlfahrern mittels eines Hindernisparcours eingeführt.

Die Offenheit der Gäste führt zu einem raschen Abbau von Berührungsängsten bei den Schülern und den ebenso aktiven Lehrkräften. Sie probieren aus, fragen und beobachten. Schnell werden die Schwierigkeiten in der Alltagsbewältigung deutlich. Manche Räume können nur mit Unterstützung oder gar nicht erreicht werden, der Gang zur Toilette erfordert einen Begleiter. Klar ist auch, dass der Besuch ohne das Team von Unterstützern und Assistenten gar nicht möglich gewesen wäre. Das Gefühl auf andere angewiesen zu sein wiegt schwer. Gerade deshalb bewundern die Schüler den Humor und die gute Laune, die von den Menschen mit Behinderungen ausgeht.

Am Ende des Vormittags zeigen sich alle zufrieden mit der Begegnung. Eine Beschwerde kommt lediglich von Janett, Sophie und Samantha aus der 6. Klasse – und zwar, dass die Veranstaltung zu kurz gewesen sei. Sie hätten sich noch einen zweiten Tag gewünscht, um möglichst viel auszuprobieren. Dass etliche Schüler auf ihre Pause verzichtet haben, um die vielen Möglichkeiten des Projekts zu nutzen, ist eine klare Anerkennung. Aschberger und die beteiligten Lehrkräfte werden sich auch im nächsten Jahr wieder um den Projekttag bewerben.

Artikel vom 13.04.2014
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