»Es war mein Leben«

Leiter der Kläranlage Ebersberg geht in den Ruhestand

Der langjährige Leiter der Kläranlage Ebersberg, Helmut Siedler (rechts), hat Georg Daser sein Lebenswerk übergeben und geht am 1. Mai in den Ruhestand.	 Foto: Sybille Föll

Der langjährige Leiter der Kläranlage Ebersberg, Helmut Siedler (rechts), hat Georg Daser sein Lebenswerk übergeben und geht am 1. Mai in den Ruhestand. Foto: Sybille Föll

Ebersberg · Nach fast 40 Dienstjahren geht der Leiter der Kläranlage Ebersberg, Helmut Siedler, zum 1. Mai in den Ruhestand. Bereits ab 1965, als die Anlage gebaut wurde, arbeitete er dort als Elektriker. Nach einer Ausbildung zum Klärfacharbeiter, wie damals die Berufsbezeichnung für den heutigen Ver- und Entsorger lautete, wurde Siedler 1975 fest angestellt, 1990 übernahm er die Leitung.

»Es war mein Leben«, sagt der 63-Jährige. Und die Anlage zur biologischen Abwasserreinigung, so wie sie heute dasteht, ist sein Lebenswerk.

»Ebersberg hat ein Mischkanalsystem, das heißt, hier kommen Brauch- und Regenwasser zusammen an«, erklärt Siedler und zeigt auf einen Kanal, in dem eine braune, stinkende Brühe schwappt. An dem sogenannten Rechentor wird der größte Dreck erst einmal herausgefischt, vom alten Lumpen bis zur Armbanduhr. Bei trockenem Wetter kommen 25 bis 35 Liter pro Sekunde an, bei Regen rund 150 Liter. Ist es mehr, fließt der Überschuss in fünf Rückhaltebecken und wird später gesäubert. Da der Kanal in zwei Metern Tiefe liegt, muss das Wasser anschließend im sogenannten Schneckenhebewerk auf das Niveau der gesamten Anlage gebracht werden. Es landet im Sandfang, einem etwa zehn Meter langen Becken, in dem Pumpen ständig das Wasser aufwirbeln, damit die Körner nicht zu Boden sinken. Das dürfen sie erst in dem Trichter, der etwa zwei Meter über dem Becken angebracht ist und in den das Wasser geleitet wird.

Auf dem Weg ins nächste Becken werden unterwegs die Temperatur des Wassers, der PH-Wert und der Zulauf gemessen. Von diesem Zeitpunkt an beginnt die biologische Abwasserreinigung, das bedeutet, Mikroorganismen übernehmen die Arbeit. Im Vorklärbecken wandeln Bakterien Nitrate in Stickstoff um, genannt Denitrifizierung. »Weil sie dazu viel Kohlenstoff brauchen, füttern wir sie mit Essigsäure. Sie ist ein sehr guter Kohlenstoffträger«, erklärt Siedler. Die feineren Feststoffe, die immer noch in dem Wasser enthalten sind, setzen sich am Boden ab und werden mit einer Art Schild in einen unterirdischen Behälter geschoben.

Von dort kommt der Schlamm in den so genannten Faulturm, wo er etwa 50 Tage lang bei circa 35 Grad Celsius gären darf. »Was danach passiert, erkläre ich später«, sagt der Werksleiter und geht auf einen von vier, etwa 30 Meter hohen Türmen zu, die nach oben hin offen sind. Von der metallenen Treppe aus kann man hineinschauen: Dunkle Brocken aus vulkanischer Schlacke, die vom Bodensee stammen, werden über ein rotierendes Gestänge permanent mit dem Wasser aus dem Vorklärbecken berieselt. Durch die Bewegung wird es über die Luft mit Sauerstoff angereichert. »Den brauchen die Bakterien in den Steinen, um Ammonium abzubauen«, erklärt Siedler den Zweck dieser Tropfkörper.

Die abgestorbenen Bakterien, die nur eine Lebensdauer von einem Tag haben, werden in einem Zwischenklärbecken herausgefischt, danach durchläuft das Wasser eine zweite Tropfstufe – die letzte Station, bevor das nun wieder saubere Wasser in die Ebrach geleitet wird. Mitte der 90er Jahre bewahrte Siedler die Stadt Ebersberg vor einer Millioneninvestition. »Damals gab es eine neue Verordnung, nach der auch Nitrat abgebaut werden musste«, erinnert er sich. Die Tropfkörper, damals nur zwei, sollten abgerissen und durch Belebungsbecken ersetzt werden. Die Anreicherung des Wassers mit Sauerstoff wäre dann maschinell erfolgt. »Nicht nur die Betriebskosten wären gestiegen, sondern der Umbau hätte acht bis zehn Millionen Mark gekostet«, erzählt der Rentner. In Zusammenarbeit mit dem Wasserwirtschaftsamt München tüftelte er das heutige Verfahren aus, das nur 300.000 Euro kostete.

Ein weiterer Meilenstein in seiner Karriere war der Einbau einer Mikroturbine im Faulturm zur Stromerzeugung. »Das war 2009 und Ebersberg war damit die zweite Kläranlage in ganz Deutschland mit einer solchen Turbine«, erzählt Siedler stolz. Aus dem Methangas, das bei dem Faulungsprozess des Klärschlamms entsteht, produziert sie durch Verbrennung 90.000 Kilowatt Strom pro Jahr und 300.000 Kilowatt Wärme. Früher musste das Gas abgefackelt werden, die Energie blieb ungenutzt. 2013 wurde zusätzlich noch eine Photovoltaikanlage neben dem Bürogebäude installiert, die rund 50.000 Kilowattstunden Strom pro Jahr liefert. Somit kann die Kläranlage ihren Energiebedarf nahezu komplett selbst abdecken. Und was passiert mit dem verfaulten Schlamm? »Der wird entwässert und das trockene Überbleibsel fahren wir nach Zolling im Landkreis Freising, wo es im Braunkohlekraftwerk mitverbrannt wird«, erläutert Siedler.

So kommen letztendlich Ebersberger Fäkalien als Strom über die Steckdose zurück. Von seinem Haus am Berg hat Helmut Siedler Blick auf sein Lebenswerk im Ebersberger Stadtteil Langwied. In den letzten Jahren hat er so viele Überstunden angesammelt, dass er bereits im Juli 2013 das Feld für seinen Nachfolger Georg Daser geräumt hat. Auch er arbeitet bereits seit 29 Jahren im Klärwerk. Vorerst bleibt es ruhig für ihn. »Aber man weiß ja nie, welche neuen gesetzlichen Vorgaben kommen und welche Umbaumaßnahmen dann nötig sind«, sagt Daser. Von Sybille Föll

Artikel vom 27.03.2014
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