Anders ist normal

Harlaching · Landesschule für körperbehinderte Kinder feiert Geburtstag

Die Landesschule einst und heute: Bildung und Ausbildung für 350 körperbehinderte Kinder und Jugendliche. 	Fotos: VA

Die Landesschule einst und heute: Bildung und Ausbildung für 350 körperbehinderte Kinder und Jugendliche. Fotos: VA

Harlaching · Die 350 Schüler der Bayerischen Landesschule für Körperbehinderte in der Kurzstraße 2 in Harlaching feiern gemeinsam mit ihren 200 Lehrern und Betreuern diese Woche den 100. Geburtstag ihrer ganz besonderen Einrichtung.

1914 wurde das wegweisende Gebäude eingeweiht, das ganz auf die besonderen Bedürfnisse von Schülern mit den verschiedensten Behinderungen zugeschnitten war. Hier wurden DIN-Normen für Barrierefreiheit mit entwickelt. Und von hier stammen auch technische Kommunikationsmittel für nichtsprechende Menschen. Ein Ziel zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Einrichtung: Menschen mit Behinderung auf ihrem Weg in ein selbstbestimmtes Leben zu begleiten, sie bei der Entfaltung ihres Potenzials zu fördern und gemeinsam mit ihnen das Bewusstsein ihrer Gleichwertigkeit zu entwickeln und zu vertiefen. »Anders sein ist hier ganz normal«, lautet das Credo der Schulfamilie. Schulleiter Johannes Nauerz erklärt dazu: »Jede Behinderung bringt ihre eigenen Bedürfnisse mit sich. So muss jeder Lehrer individuell entscheiden, was er welchem Kind mitgeben kann und wie er es vermitteln möchte«. Eine hohe Flexibilität ist hier von den Lehrern und Erziehern nötig, um die Kinder bestmöglich zu begleiten«, erklärt Nauerz.

Viele Kinder würden lange Jahre die Landesschule besuchen, denn das Angebot beginnt bereits für Kinder im Kindergartenalter mit einer Schulvorbereitenden Einrichtung und reicht, je nach dem Schweregrad der Behinderung bis hin zum Realschulabschluss auf dem Zweig der Wirtschaftsschule. Diese wird auch von Jugendlichen ohne Behinderung besucht. Von 75 Schülern der Wirtschaftsschule sind rund 30 ohne Förderbedarf, dies ist in Bayern wohl einzigartig, erklärt der Schulleiter nicht ohne Stolz. Beide Seiten profitierten von den kleinen Klassen und angepasstem Lerntempo, vor allem aber von der Tatsache, dass hier jeder sein könne, wie er eben sei, ohne deshalb schräge Blicke zu ernten. Zur Wirtschaftsschule gehört auch ein Internat, in dem die Schüler unter der Woche wohnen können. An die Grund- und Mittelstufe, die mit der 9. Klasse endet, schließt sich das Berufsvorbereitungsjahr (BVJ) für die meisten der Schüler an. Das BVJ vermittelt Grundkenntnisse in verschiedenen Berufsfeldern durch theoretischen und fachpraktischen Unterricht sowie durch externe Betriebspraktika. Fördern und fordern lautet der Leitspruch für alle Kinder. »Wenn uns die Schüler nach Ablauf ihrer Schulzeit verlassen, sollen sie so viel gelernt haben, wie möglich, vor allem aber, dass sie so, wie sie sind, vollkommen in Ordnung sind«, bringt Nauerz die Philosophie der Schule auf den Punkt. Die Ursprünge der Schule sind jedoch wesentlich älter als 100 Jahre.

So gründete Johann Nepomuk Edler von Kurz bereits 1832 das »pädagogisch-technischen Wohltätigkeitsinstituts für krüppelhafte Kinder«. Eine zu jener Zeit europaweit einzigartige Einrichtung. Er wollte körperbehinderten Jugendlichen eine Perspektive jenseits der Existenz als Straßenbettler ermöglichen. Er gab ihnen ein Zuhause und vor allem eine fundierte handwerkliche Ausbildung, die dem Tatendrang der Jugendlichen entsprach. Es gab Werkstätten für Buchbinder, Schneider und Schuhmacher, in denen die jungen Menschen vor allem eines lernten: Dass auch sie Erfolge haben können und in der Lage sind, ihren eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. In kürzester Zeit fand sein »Wohltätigkeitsinstitut« großen Zulauf und etablierte sich, trotz mancher Widrigkeiten. Schnell wurden die innerstädtischen Gebäude zu klein.

Nach mehreren Umzügen innerhalb der Stadt, sollte ein großzügiger Neubau in Harlaching endlich genug Platz für die steigenden Schülerzahlen sowie für die besonderen Ansprüche der Jungen und Mädchen bieten. Die Planung des großzügigen Gebäudes richtete sich allein am Wohlbefinden der Kinder aus: Landschaftlich schön gelegen, auf der grünen Wiese am Isarhochufer, bot dieser Ort viel frische Luft und vor allem genug Raum, um der Einrichtung die Weitläufigkeit zu verleihen, derer sie bedurfte.

Beim Bau des 1914 eingeweihten Gebäudes achtete man darauf, dass sich die Schüler möglichst selbstständig innerhalb des Gebäudes bewegen konnten: die Stufen der Treppen waren niedrig, der markante Arkadengang – ursprünglich nicht verglast – diente geschützten Spaziergängen. Es gab eigene Küchen und eine Wäscherei. Gleichzeitig mit dem Bau entstand eine orthopädische Klinik, die heutige Schönklinik. Sie sicherte unter anderem die Heilbehandlung der Kinder und Jugendlichen – ihnen standen 44 Freiplätze zur Verfügung. Auch heute noch ist die Schule für viele ihrer speziellen Therapien und Maßnahmen für die Schüler auf Wohltäter angewiesen, denn die staatlichen Fördermittel reichen oft nicht aus, um den bestmöglichen Unterricht für die Schüler zu gewährleisten. Wer für den guten Zweck spenden möchte, findet weitere Informationen auf der Schul-Homepage unter www.baylfk.de. Woschée/Komm-Büro

Artikel vom 25.03.2014
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