»Ein Riesenverlust für uns«

Atomkraftgegnerin Gina Gillig aus Unterschleißheim ist tot

Gina Gillig bei einer Demonstration (gr. Foto). Die Mitbegründerinnen des Vereins 1996 (oben rechts): Gina Gillig, Astrid Leis und Ingrid Wundrak (v. l.) und Gina Gillig im Porträt.  	Fotos: Verein

Gina Gillig bei einer Demonstration (gr. Foto). Die Mitbegründerinnen des Vereins 1996 (oben rechts): Gina Gillig, Astrid Leis und Ingrid Wundrak (v. l.) und Gina Gillig im Porträt. Fotos: Verein

Unterschleißheim/Garching · Die Unterschleißheimerin Gina Gillig zählt zu den tragenden Persönlichkeiten des Widerstands gegen die Atomkraft im Münchner Norden. Ihr Jahrzehnte langes Engagement in den Vereinen »Mütter gegen Atomkraft e. V.« und »Bürger gegen Atomreaktor Garching e. V.«, die sie stark geprägt hat, brachte ihr großen Respekt ein. Seit vergangenem Oktober galt die 59-Jährige als vermisst. Inzwischen steht fest: Gina Gillig ist tot.

»Ihr Engagement gegen die Atomkraft begann mit der Katastrophe von Tschernobyl«, erinnert sich Renate Wolff, Vorsitzende des Vereins »Mütter gegen Atomkraft e. V.« Eine Gruppe von Müttern in Unterschleißheim habe sich aus Sorge um ihre Kinder nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl 1986 zusammengeschlossen, darunter auch Gillig. Ziel sei gewesen, unbelastete Nahrung für die damals noch kleinen Söhne und Töchter zu bekommen: »Es gab plötzlich keinen essbaren Spinat, keinen Salat und keine Milch mehr.« Jedoch hätten die Behörden das Problem heruntergespielt, glaubwürdige Informationen und sichere Messungen habe es nicht gegeben. Dies habe bei den Frauen große Ängste ausgelöst: »Wir wollten sogar den Sand in den Sandkisten austauschen.« Bereits damals habe sich Gilligs Kampfgeist gezeigt: »Sie hat gesagt, wir lassen uns nicht für dumm verkaufen und wollen als Mütter ernst genommen werden.«

Was in Unterschleißheim passierte, geschah auch an anderen Orten. In Starnberg, Pfaffenhofen und Nürnberg hätten sich Mütter miteinander solidarisiert, berichtet Wolff. Am Muttertag 1986 zeigte sich die Bewegung mit einer eindrucksvollen Aktion in der Öffentlichkeit: Die Frauen legten ihre Muttertagssträuße am Marienplatz zu einem riesigen Anti-Atomkraftzeichen zusammen. »Da hat Gillig dann gesagt, jetzt brauchen wir einen Verein, damit wir uns austauschen können«, erzählt Wolff.

Mit den Jahren habe sich Gillig sehr tief in das Thema Atomkraft eingearbeitet: »Sie war so gut informiert, dass sie es mit jedem Wissenschaftler aufnehmen konnte.« Vertreten gewesen sei sie als Vereinsvorsitzende bei sämtlichen großen Demonstrationen, unter anderem in Wackersdorf. Doch auch vor Ort habe sie stets viel geleistet, etwa am jährlichen Infostand zum Tschernobyltag an der Michaelskirche, an dem sie 2013 noch teilnahm, oder mit der Sammlung für die Kinder von Tschernobyl, die der Verein regelmäßig durch Sachspenden wie Lebensmittelpakete oder Rollstühle, aber auch Geld unterstützt.

Jedoch sei Gillig mit dem, was sie erreicht habe, nicht zufrieden gewesen: »Sie wollte, dass alle Atomkraftwerke abgeschaltet werden.« Sie persönlich sehe dies anders, betont Wolff. »Die jetzige Energiewende wäre ohne Menschen wie sie nicht möglich gewesen«, sagt die Vereinsvorsitzende. Die Gefahr sei inzwischen erkannt worden: »Und das haben wir unter anderem Gina Gillig zu verdanken.«

Auch Ingrid Wundrak, die Vorsitzende des Vereins »Bürger gegen Atomreaktor Garching e. V.«, trauert um die engagierte Atomkraftgegenerin: »Gilligs Tod ist ein Riesenverlust für uns.« Kennengelernt habe sie Gillig auf den Veranstaltungen der Bürgerinitiative gegen den Reaktor, die der Vereinsgründung 1990 vorausgegangen war.

Schon damals sei sie ihr als »sehr kompetente und kämpferische« Teilnehmerin aufgefallen. Auch bei dem Garchinger Verein gehörte Gillig zu den Gründungsmitgliedern und wechselte bald in den Vorstand. »Wegen ihrer Arbeit bei ›Mütter gegen Atomkraft« hat sie viel gewusst‹, sagt Wundrak.

Sie organisierte Demonstrationen, schrieb Briefe und arbeitete in der Verwaltung mit. »Auch wenn es ums Finanzamt ging, war sie immer sehr korrekt und ich war froh darüber, dass ich dafür jemanden hatte«, erinnert sich die Vorsitzende. Beim Tag der offenen Tür an der Technischen Universität sei Gillig stets vor Ort gewesen und habe Infomaterial verteilt. Sie sei eine »starke und mutige Frau« gewesen. Beeindruckend gewesen seien auch ihre Reden: »Sie war so emotional und mitreißend, dass man sich ihr nicht entziehen konnte.« Im Verein aktiv war Gillig bis zuletzt. Zwar sei sie in den vergangenen rund drei Jahre nicht mehr im Vorstand gewesen, räumt Wundrak ein. Jedoch habe sie immer wieder angerufen, etwa, wenn es darum ging, Atomkraftgegner in anderen Bundesländern zu unterstützen: »Sie war sehr gut vernetzt.« Auch zu den Jahreshauptversammlungen sei sie immer gekommen: »Dass sie bei unserer letzten Versammlung nicht da war, war komisch, unentschuldigt weg zu bleiben, so etwas gab es bei ihr sonst nicht.«

Doch zu diesem Zeitpunkt war sie bereits verschwunden. Vor kurzem wurde der Fund ihrer Leiche gemeldet. Gillig war verheiratet und Mutter von zwei inzwischen erwachsenen Kindern. Sie hinterlässt eine große Lücke – auch in der Anti-Atomkraftbewegung. Julia Stark

Artikel vom 28.01.2014
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