Interview mit der Leiterin der städtischen Schuldner- und Insolvenzberatung

München · Ein Leben im Minus: Immer mehr Münchner sind überschuldet

Schulden gilt es zu vermeiden, so Erika Schilz, Leiterin der städtischen Schuldner- und Insolvenzberatungsstelle. F.: scy

Schulden gilt es zu vermeiden, so Erika Schilz, Leiterin der städtischen Schuldner- und Insolvenzberatungsstelle. F.: scy

München · Und dann steht der Gerichtsvollzieher vor der Tür. Eine Situation, die niemand erleben möchte und doch ist sie stadtweit bittere Realität. Gut 99.000 Münchner, insbesondere im Norden, Osten und in Teilbereichen der Innenstadt, sind überschuldet. Das entspricht einer Quote von 8,13 Prozent, was einen geringfügigen Anstieg von 0,09 Prozentpunkten gegenüber dem Vorjahr bedeutet. Zum Vergleich: Bundesweit liegt die Quote bei 9,81 Prozent. Die durchschnittlichen Schulden betragen 33.500 Euro pro Kopf bei etwa acht Gläubigern.

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So die aktuellen Zahlen aus dem Schuldneratlas 2013, der von der Wirtschaftsauskunftei Creditreform erstellt wurde. Doch welche Schicksale stecken hinter diesen Zahlen? Wer gerät in diese Situation und warum? Und vor allem: Wie kommt man wieder raus aus der Überschuldung? Im Interview mit dem SamstagsBlatt gibt Erika Schilz, Leiterin der Schuldner- und Insolvenzberatungsstelle des Sozialreferates Stadt München und seit insgesamt 25 Jahren dabei, einen Einblick.

SamstagsBlatt: Wer sucht eine Schuldnerberatungsstelle auf?

Erika Schilz: In den Köpfen gibt es immer noch diese typische Klischeevorstellung, dass Menschen deshalb in Schulden geraten, weil sie ohnehin finanziell schlecht gestellt sind und darüber hinaus schlecht wirtschaften können. Tatsache ist, dass Menschen mit den unterschiedlichsten Biografien zu uns kommen. Im Grunde aus jeder Gesellschaftsschicht. Sowohl Menschen in Arbeitslosigkeit als auch ehemalige Selbstständige, alleinerziehende Mütter ebenso wie Paare, Singles und Familien. Die meisten unserer Klienten sind zwischen 35 und 45 Jahren alt, dicht gefolgt von den 45 bis 55-Jährigen. Auffällig ist allerdings, und das geht aus den Erhebungen von Creditreform hervor, dass doppelt so viele Männer wie Frauen überschuldet sind.

Woran liegt das?

Erika Schilz: Als Gründe nennt der Schuldneratlas, dass Männer in der persönlichen Finanzplanung bezüglich Kreditaufnahme und Kredithöhe wesentlich risikobereiter sind und dabei eher zur Selbstüberschätzung neigen. Zudem ist ihre Bereitschaft, sich in Krisensituationen Hilfe von außen zu holen, geringer als bei Frauen. Dennoch, bei uns in der Schuldnerberatung ist die Lage relativ ausgeglichen. Annähernd gleich viele Frauen und Männer holen sich Rat. In der Regel leider zu spät.

Wann sollte man alarmiert sein?

Erika Schilz: Ich kann gar nicht oft genug daran appellieren, sich möglichst früh zu melden, wenn man mit seiner finanziellen Situation überfordert ist. Können Rechnungen nicht mehr gezahlt werden, fällt bereits der Gang zum Briefkasten schwer oder werden gar Briefe überhaupt nicht mehr geöffnet, sollte man sich umgehend Hilfe holen. Viele glauben, sie können sich selbst da rausholen, doch das ist oft ein Irrtum. Und plötzlich steht dann der Gerichtsvollzieher vor der Tür oder das Gehalt oder Konto werden gepfändet. So lange sollte man auf keinen Fall warten. Da bei den Schuldnerberatungen außerdem mit Wartezeiten von drei bis vier Monaten zu rechnen ist, sollte man sich auch aus diesem Grunde frühzeitig anmelden. Die Situation wird demnächst etwas entschärft: Um mehr und schneller Hilfe anbieten zu können, hat die Stadt für das Jahr 2014 die Zahl der Schuldnerberater um sechs Stellen aufgestockt.

Wieso geraten Menschen in eine Überschuldungssituation?

Erika Schilz: Obwohl die Arbeitslosigkeit als Überschuldungsursache rückläufig ist, steht sie doch immer noch an erster Stelle. Gefolgt von Krankheit, Trennung oder Scheidung, Niedrigeinkommen und Problemen bei der Haushaltsführung. In der Niedrigzinsphase sind die Verbraucher konsumbereiter, Zum Verhängnis werden beispielsweise Ratenkredite für Smartphones, teure Klamotten und Autos. Insbesondere Ratenzahlungen sind ja längst gang und gäbe, jeder dritte Haushalt in Deutschland hat einen Ratenkredit. Anders als früher gilt es nicht mehr als Makel, sich etwas über Raten zu finanzieren. Bei Menschen mit Niedrigeinkommen können sich aber bereits Zahlungen aus der Reihe fatal auswirken, etwa Nachzahlungen bei der Heizkostenabrechnung.

Welche Hilfen werden angeboten?

Erika Schilz: Erst mal geht es darum, ein offenes Ohr zu haben für die problematische Situation, in der sich der Einzelne momentan befindet. Alleine, dass da einer da ist, der zuhört, tut in der Regel gut. Viele vertrauen sich ja nicht mal ihren Freunden oder Familienmitgliedern an. Das Thema Schulden ist nach wie vor sehr mit Scham behaftet. Im weiteren Gespräch beleuchten wir die Gründe der Überschuldung und überlegen, wie verhindert werden kann, dass der Betroffene nicht wieder da hinein gerät. Erstes Ziel ist die Gewährleistung der fixen Kosten wie Miete, Strom und des existenziellen Lebensunterhaltes. Auch eine Haushaltsbudgetberatung gehört dazu. In akuten Krisen muss schnell gehandelt werden, etwa bei drohendem Wohnungsverlust. Auf jeden Fall suchen wir nach einer Lösung, niemand wird allein gelassen. Deshalb nochmal mein Aufruf an alle Betroffenen: Melden Sie sich rechtzeitig bei uns.

Was halten Sie davon, Konsumgüter auf Pump zu kaufen? Stimmen Sie ab unter www.samstagsblatt.de.

Von Sylvie-Sophie Schindler

Umfassende Beratung

Stadtweit gibt es acht Schuldnerberatungsstellen, deren Hilfe allein im Jahr 2012 von etwa 10.000 Münchnern in Anspruch genommen wurde – persönlich, per Telefon oder online. Die Nummer der Hotline lautet 0 89/2 33-2 43 53 und ist durchgehend besetzt von Montag bis Donnerstag von 9.30 bis 15 Uhr und Freitag von 9.30 Uhr bis 12.30 Uhr. Die Schuldnerberatungsstellen bieten auch Präventivprogramme für Kinder und Jugendliche und Unterrichtsmaterialien für Lehrer an. Mehr dazu unter www.cashless-muenchen.de.

Artikel vom 12.12.2013
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