Kampf dem Bock!

Die Pretiosen schützen: Schädlingsbekämpfung in St. Sebastian

Die Votivschränke hinter Pfarrer Riedl sind leer, die Holzfiguren stattdessen in einem mit Stickstoff gefüllten Zelt (l.), um sie von Holzwürmern zu befreien. 	sf

Die Votivschränke hinter Pfarrer Riedl sind leer, die Holzfiguren stattdessen in einem mit Stickstoff gefüllten Zelt (l.), um sie von Holzwürmern zu befreien. sf

Ebersberg · Erst der Anstieg des Sauerstoffgehaltes in der Erdatmosphäre vor Jahrmillionen Jahren auf 21 Prozent ermöglichte Leben auf unserem Planeten. In dem rund 150 Kubikmeter großen Kubus, der momentan fast die gesamte St. Sebastianskapelle in Ebersberg ausfüllt, sind nur 0,6 Prozent des lebensnotwendigen Gases, der Rest ist Stickstoff.

Die Opfer des tödlichen Gasgemischs unter der luftdichten, silberglänzenden Folie: Holzwürmer und Holzböcke. Die Schädlinge hatten die wertvollen Kirchenschätze befallen, die in den Votivschränken an den Wänden der Kapelle ausgestellt oder auf dem Kirchenspeicher gelagert waren. »Immer wieder haben wir Holzmehl gefunden«, erzählt Pfarrer Josef Riedl. Die unliebsamen Gäste hatten an den Pretiosen und hölzernen Schnitzwerken geknabbert, wie zum Beispiel an der ältesten, gotischen Figur aus Lindenholz aus dem 14. Jahrhundert, dem Heiligen Sebastian. Auch Reliquien aus Filialkirchen wie zum Beispiel in Egglburg lagerten in der ehemaligen Klosterkirche, um sie vor Dieben zu schützen. Nun fanden andere Räuber sie.

Unter der Folie befindet sich ein großes Regal, auf dem dicht gedrängt alle Skulpturen liegen oder stehen. Am Aufgang zur Kapelle, neben der Sakristei, brummt ein Kompressor, der der Luft den Stickstoff entzieht und in den Kubus leitet. Durch den geringen Sauerstoffgehalt im Inneren ersticken die Schädlinge. Doch das ist längst nicht alles in dem High-Tech-Zelt: Elektronische Fühler messen permanent die Gaskonzentration und die Klimawerte wie Temperatur und relative Luftfeuchtigkeit. »Damit die Objekte nicht anfangen zu schimmeln, darf es nicht zu feucht sein, zu trockene Luft wiederum würde sie platzen lassen«, erläutert der diplomierte Restaurator Rainer Sgoff von der beauftragten Dresdner Firma Groli Schädlingsbekämpfung. Per Funk können alle Parameter abgerufen und gesteuert werden.

Trotz kühlem Herbstwetter ist es in der Kapelle angenehm warm, denn sie wird mit mobilen Heizkörpern auf etwa 20 Grad Celsius aufgeheizt. Bei Temperaturen unter 17 Grad würden die Holzschädlinge in einen Winterschlaf fallen und ihr gesamter Organismus würde auf Sparflamme schalten. »Dann dauert es viel länger, bis sie absterben«, sagt Sgoff. So sei das Prozedere nach etwa zwei Monaten abgeschlossen, das heißt, Mitte November werden die Kirchenschätze voraussichtlich wieder aus ihrer engen Behausung befreit. Um sicher zu gehen, dass bis dahin allen Holzfressern der Garaus gemacht wurde, sind in diesem Kubus sowie in einem zweiten, der im Nebenraum der Kapelle einen ebenfalls von Holzwürmern befallenen Renaissanceschrank beherbergt, sogenannte Prüfkörper eingebaut.

Die kleinen Holzkästchen mit Käferlarven werden in regelmäßigen Zeitabständen herausgeholt und von einem unabhängigen Labor untersucht. Einige Käfer sind laut Sgoff schon abgetötet. In Neumarkt-St. Veit hat die Erzdiözese München-Freising eine fest installierte Anlage für die Bekämpfung von Holzschädlingen. »Aber es wäre zu aufwendig gewesen, alle Figuren zu verpacken und dorthin zu transportieren«, sagt Pfarrer Riedl. Daher habe er sich zusammen mit der Kirchenstiftung und dem Kunstreferat der Erzdiözese entschieden, die Bekämpfung an Ort und Stelle vorzunehmen. Ist die Stickstoffbegasung abgeschlossen, werden alle Figuren sortiert und beschriftet. »Dann überlegen wir uns, wie wir sie eventuell in anderer Art und Weise präsentieren«, sagt der Pfarrer. Er schätzt, dass die Kirchenschätze Anfang nächsten Jahres wieder besichtigt werden können. Sybille Föll

Artikel vom 05.11.2013
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