Mehr Räume nötig: Bahnhofsmission platzt aus allen Nähten

Zentrum · Hilfe, Tee und Brot

Zentrum · Adam (Name von der Redaktion geändert) ist vor zwei Jahren auf der Suche nach Arbeit aus Ungarn nach München gekommen. Ein Sturz auf einer Rolltreppe in der neuen Heimat, ein Krankenhausaufenthalt und eine kaputte Hüfte haben dieser Hoffnung schnell ein Ende gesetzt.

Seine Alternativen: Entweder in München oder in Ungarn auf der Straße zu leben. Adam hat sich für München entschieden – mit regelmäßigen Zwischenstopps in der Münchner Bahnhofsmission.

Montagmorgen, 8.30 Uhr: Die Tee- und Brotausgabe der Bahnhofsmission an Gleis 11 am Hauptbahnhof füllt sich langsam. Einige Besucher warten auf eine Beratung, die meisten jedoch holen sich am Tresen bei einer Mitarbeiterin der Einrichtung etwas zu essen und zu trinken. Die Tische sind besetzt mit Männern und Frauen, die, trotz des Trubels um sie herum, mit dem Kopf auf der Tischplatte schlafen. Der Aufenthaltsraum ist zwar gut besucht, aber noch nicht überfüllt. Das wird sich jedoch ändern, gerade wenn jetzt der Winter näher rückt: »Dieser Raum hier platzt oft aus allen Nähten«, sagt Andrea Sontheim, eine der Leiterinnen der Bahnhofsmission. Im vergangenen Winter hat sie sich an manchen Tagen zu ihrem Büro »durchkämpfen« müssen. Bis zu 50 Personen gleichzeitig haben damals in der Tee- und Brotausgabe Zuflucht vor der Kälte gesucht. Daher sehen sich die Verantwortlichen der Bahnhofsmission auch händeringend nach neuen Räumen um. Eine Wärmestube oder ein Treffpunkt mit Verpflegung solle es sein, das wünscht sich Andrea Sontheim. Und zwar möglichst nah am Hauptbahnhof, eventuell in der Goethe- oder der Schillerstraße.

Auf den Platzmangel in den Räumen an Gleis 11 soll aktuell auch eine Ausstellung aufmerksam machen: Unter dem Motto »Ohne Worte« sind in der Bahnhofsmission noch bis Dienstag, 5. November, Fotos von Frauen und Männern zu sehen, die dort zu Gast waren. Die Fotos stammen von der Fotografin Sanne Kurz und der Künstlerin und Psychologin Christiane Huber. Sie haben den Gästen Fragen wie »Zeigen Sie uns Ihre schönste Erinnerung« oder »Sie sind König von Deutschland. Was würden Sie tun?« gestellt und deren pantomimische Antworten fotografisch festgehalten.

Schön beim Projekt ist laut Andrea Sontheim gewesen, dass sie mehr über die Menschen erfahren hat. Denn in der Beratung gehe es ja immer um Probleme und man bekomme gar nichts von den Hobbys und Stärken der Besucher mit. So hat sich beim Fotografieren etwa herausgestellt, dass eine Frau aus Rumänien einen Hochschulabschluss als Chemikerin hat, eine Frau aus Bulgarien war an dem Tag, an dem sie fotografiert wurde, überglücklich – sie hatte zuvor einen Arbeitsvertrag ­bekommen. Zwei Deutsche haben sich auch fotografieren lassen – der eine ein riesiger Film-, der andere ein riesiger Fußballfan.

Den Abschluss der Ausstellung am 5. November gestaltet übrigens um 19.00 Uhr der Münchner Autor Friedrich Ani. Er unterstützt die soziale Arbeit der Bahnhofsmission und liest aus einem seiner Bücher vor. Jazz-Geiger Hannes Beckmann und Mitglieder der Münchner Bahnhofskapelle werden ihn musikalisch begleiten.

Bei der Münchner Bahnhofsmission sind zwölf hauptamtliche Mitarbeiter in Teilzeit beschäftigt sowie vier, die ein Freiwilliges Soziales Jahr leisten, und rund 100 Ehrenamtliche. Das klingt nach viel Personal, ist es aber nicht. Denn der Betrieb muss ja rund um die Uhr aufrecht erhalten werden – und das sieben Tage die Woche.

Weitere Ehrenamtliche sind in der Bahnhofsmission willkommen: Interessierte können sich unter muenchen@bahnhofsmission.de melden. Iulia (20) leistet gerade ihr Freiwilliges Soziales Jahr in der Bahnhofsmission. Sie ist seit 1. Oktober dabei und findet die Arbeit sehr aufregend. Allerdings erfordere der Job auch viel Stärke: Denn die Schicksale, die man in der Bahnhofsmission miterlebt »sind zum Teil schon hart«. Gemeinsam mit der Ehrenamtlichen Barbara (28) sitzt die junge Frau an diesem Montagmorgen in der Küche der Einrichtung und schmiert Brote im Akkord. Denn es gilt, viele hungrige Menschen zu verpflegen. Die Hofpfisterei spendet dafür Brot. Momentan verbraucht die Einrichtung 80 bis 100 Zwei-Kilo-Laibe pro Woche.

Die Bahnhofsmission hilft mit der Tee- und Brotausgabe vor allem den Menschen, die keinen Zugang zu Sozialleistungen haben. Darüber hinaus leistet sie aber noch viel mehr: Sie ist Anlauf- und Beratungsstelle, erteilt Auskünfte zu Unterbringungsmöglichkeiten, Ämtern, Behörden und sozialen Einrichtungen, bietet Reisenden »Umsteigehilfen« und sicheres Geleit an und begleitet allein reisende Kinder im Begleitdienst »kids on tour«.

Außerdem gibt es zu festen Zeiten Brot und Tee sowie einen Warteraum, der als nächtlicher Schutzraum für Frauen und Kinder dient. Pro Nacht suchen dort im Schnitt fünf Frauen Schutz und Unterkunft. Von Januar bis September 2013 hat die Bahnhofmission 6.674 Männer und Frauen beraten. Für die Ehrenamtliche Barbara ist die Arbeit mit den Kollegen »wie in einer zweiten Familie«. Und außerdem spannend, denn: »Man weiß nie, was der Tag bringt.« Kirsten Ossoinig

Artikel vom 29.10.2013
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