Magie seit 100 Jahren

Auf dem Storch reiten: Karusselljubiläum im Englischen Garten

Bettina Höllenreiner, Roberto senior und Roberto junior (v. l.) mit dem Lieblingstier vieler Kinder, dem Klapperstorch.	Foto: scy

Bettina Höllenreiner, Roberto senior und Roberto junior (v. l.) mit dem Lieblingstier vieler Kinder, dem Klapperstorch. Foto: scy

Schwabing · Er konnte noch nicht laufen, da fuhr er bereits im Karussell mit. Roberto junior ist der älteste Sohn der Schaustellerfamilie Höllenreiner, die das historische Kinderkarussell nahe dem Chinesischen Turm betreibt.

Der 18-Jährige träumt bereits heute davon, den Betrieb seiner Eltern mal zu übernehmen. »Das Karussell ist mir sehr ans Herz gewachsen«, sagt er. Und er dürfte damit nicht alleine sein. Seit bereits 100 Jahren kommen Kinder hierher und drehen in Kutsche und Schlitten und auf Pferden, Giraffe und Storch ihre Runden. Lachend und mit leuchtenden Augen. Und auch Erwachsene können sich der Magie dieses malerischen Ortes nicht entziehen. Kaum hat man ihn betreten, fühlt man sich in eine andere Zeit versetzt. »Es kommen oft auch Erinnerungen hoch an die eigene Kindheit.

Viele sind selbst als Kind hier gewesen und bringen nun ihre Kinder und Enkel mit«, erzählt Roberto Höllenreiner senior. Neulich sei eine Dame mit ihrem Urenkel da gewesen. Und wie viele ihrer Generation stellte auch sie fest: »Hier riecht es noch genauso wie früher.« Just zum 100-jährigen Jubiläum, das kürzlich gefeiert wurde, wurde das in einem zwölfeckigen Pavillonbau untergebrachte Bodenkarussell aufgemöbelt. Die Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen investierte etwa 120.000 Euro in Restaurierung und Pflege. Vor allem die verblichenen Malereien brauchten eine farbliche Auffrischung. »Es gibt nicht viele historische Orte, die auch für Kinder attraktiv sind. Umso wichtiger ist, diesen zu bewahren«, sagt Ines Holzmüller, Sprecherin bei der Bayerischen Schlösserverwaltung. Einzigartig ist auch seine Geschichte, denn es ist dies das bayernweit einzige im Originalzustand erhaltene Karussell. »Es hat immer hier gestanden, wurde nie abgebaut und nie zerstört«, so Holzmüller.

Damals, zur Zeit seiner Erbauung im Jahre 1913, war es in München üblich, in jedem Biergarten ein Kinderkarussell aufzustellen. Erstbesitzer war der Schwabinger Dekorationsmaler August Julier. Zusammen mit dem Grafiker Joseph Erlacher entwarf und errichtete er das Fahrgeschäft. Der Bildhauer Karl Röhrig schuf die Holzfiguren. An eben dieser Stelle beim Chinesischen Turm hatte vorher bereits ein Karussell aus dem Jahre 1856 gestanden, das jedoch baufällig geworden war. In liebevoller Feinarbeit wurde das Nachfolgermodell errichtet, mit rund zehn Metern Durchmesser und im Stil der Biedermeierzeit. Auf einem Innen- und einem Außenkreis sind drei Kutschen zu finden und 20 heimische und exotische Holztiere wie Hirsche, Steinböcke, Lama, Flamingo und Kamel. »Das bei den Kindern beliebteste Tier ist eindeutig der Klapperstorch, aber auch die Holzpferdchen sind schnell besetzt, vor allem von den Mädchen«, berichtet ­Höllenreiner. »Und wenn die Kinder wieder absteigen, streicheln sie das Tier, auf dem sie gefahren sind, oft noch zum Abschied oder geben ihm Bussis.« Auch kann man auf einem dunkelblauen Bauernschlitten mitfahren. Dessen Original-Inschrift lautet: »Schauen, fahren und dazu reiten – macht Fröhlichkeit zu allen Zeiten.« Die Musik kam über eine Walzenorgel, später zeitweise über ein Symphonion, so wird eine Spieluhr mit verschiedenen Lochplatten aus Metall genannt.

An den Wänden des inneren Pavillons finden sich allerlei Malereien bekannter Figuren aus der Kinderliteratur, darunter unter anderem Struwwelpeter, Hans im Glück und Max und Moritz. Rundherum zu sehen sind außerdem Porträts stadtbekannter Münchner Originale, wie der »Schichtl« und Trachtenfiguren aus den damals noch acht bayerischen Provinzen. »In den Anfangszeiten durfte hier immer ein Obdachloser übernachten. Der Besitzer hatte mit ihm vereinbart, er solle im Gegenzug darauf aufpassen, dass hier nichts wegkommt«, erzählt Höllenreiner.

Außerdem konnten sich junge Burschen ein paar Pfennige dazu verdienen, denn bevor die Drehbühne 1931 elektrisch betrieben werden konnte, musste sie vom Keller aus mit Körperkraft angeschoben werden. Eine Klapptüre führt auch heute noch gut zwei Meter in den Unterbau, zum Karussellbaum. Dort haben sich einige der Helfer mit Namen und Jahreszahlen verewigt. »Rottler Johann 1917 – 19« steht beispielsweise da, und »Frenk August von 1920 – 21«.

August Julier und seine Nachkommen führten das Karussell bis 1977, heute ist es im Besitz des Freistaates Bayern. Seit 1993 ist Bettina Höllenreiner die Pächterin. Ihre Familie ist eine typische Schaustellerfamilie, alle packen mit an. Unter anderem betreiben die Höllenreiners auch einen Mandelstand und ein weiteres Holzkarussell, aus dem Jahre 1955, das seit 2000 am Christkindlmarkt am Chinesischen Turm aufgebaut wird. »Die Schaustellerei liegt bei uns bereits seit vier Generationen im Blut«, so Roberto Höllenreiner senior, dessen Urgroßvater in München Puppenspieler gewesen ist. »Mein Mann und ich und unsere drei Kinder sind mit Leib und Seele dabei«, bestätigt Bettina Höllenreiner. »Wir erfreuen uns jedes Mal wieder neu daran, zum Karussell zu kommen, auch nach all den Jahren.«

Keine Frage, es gibt da wohl eine Faszination, die von dem historischen Karussell ausgeht, das so beschaulich unter einigen Buchen steht, im Volksgarten der Münchner, eine Faszination, der man sich einfach nicht entziehen kann. Öffnungszeiten sind von April bis Ende September bei schönem Biergartenwetter ab 14 bis 19 Uhr, in den Schulferien ab 13 Uhr. Kosten pro Fahrt zwei Euro, eine Karte für zwölf Fahrten ist für 20 Euro erhältlich. Sylvie-Sophie Schindler

Artikel vom 24.09.2013
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