Moosacher Verein Tabor kümmert sich um »Gestrauchelte«

Moosach · Du bist was wert!

Ingrid und Norbert Trischler vor dem Haus in Altenburg, in dem sie eine Wohngemeinschaft von ehemaligen Strafgefangenen betreuen.	Foto: Sybille Föll

Ingrid und Norbert Trischler vor dem Haus in Altenburg, in dem sie eine Wohngemeinschaft von ehemaligen Strafgefangenen betreuen. Foto: Sybille Föll

Moosach · Unterhalb der Moosacher Wallfahrtskirche Maria Altenburg, dort, wo der steile Bergpfad etwas flacher wird, liegt eingebettet zwischen Wald, Wiesen und hohen Hecken die Wohngemeinschaft Tabor. Die Bewohner des Hauses sind ehemalige Strafgefangene und andere Menschen aus sozialen Randgruppen, die hier ihre Chance bekommen, wieder ins normale Leben zurückzufinden.

Lisa (Name von der Redaktion geändert) ist eine von ihnen: Als Heroinabhängige hatte sie sich das Geld für Stoff auf kriminelle Weise beschafft und dafür einige Jahre in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Aichach verbüßt. 2003 kam sie zu Tabor. Sie hat schon mit elf angefangen zu trinken, dann kamen irgendwann Drogen dazu. 2003 wurde sie clean. Ingrid und Norbert Trischler, Vorsitzende des Tabor-Vereins, halfen ihr, einen Job zu finden, und ein Jahr später ihre damals elfjährige Tochter zu sich zu holen, die im Heim untergebracht war. Einige Zeit ging es gut, dann wurde Lisa rückfällig. »Ich hatte Panik, dass ich das alles nicht schaffe«, erzählt die Mittvierzigerin. Sie verließ Tabor, es folgte ein neuer Versuch, begleitet von Entzug und Therapie, dann kam der nächste Rückfall – und alles begann wieder von vorne. Seit 1. Juni ist sie nun zurück in Altenburg. Was sie an der WG am meisten schätzt: »Dass man hier was wert ist, dass man so angenommen wird, wie man ist, und nicht verurteilt wird, auch wenn man mal Schmarrn macht.«.

Inklusive des Ehepaares Trischler leben 14 Menschen in dem zweistöckigen, langgezogenen Haus, zwei Drittel davon ehemalige Strafgefangene. Die anderen kommen aus der Psychiatrie oder haben anderweitige Probleme, sich in die Gesellschaft zu integrieren. Und ein Pfarrer wohnt noch dort. Die Sozialpädagogin und Heilpraktikerin Ingrid Trischler wünscht sich aber mehr »normale« Mitbewohner. »Das täte unseren Sorgenkindern gut«, meint sie. Vor 20 Jahren, damals noch Studentin, gründete sie den Verein zusammen mit einem Münchner Pfarrer, der zu dieser Zeit ehrenamtlich in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Stadelheim tätig war. Sie selbst hat damals Strafgefangene kennengelernt. Und erlebt, wie sie nach ihrer Haft »ins Nichts« entlassen wurden oder wie Drogenabhängige von Einrichtung zu Einrichtung weitergereicht wurden. Trischler hat sie bei sich wohnen lassen. Sie wollte den Traum vom großen Haus verwirklichen, um viele dieser Menschen aufnehmen zu können: Eine Chance hierfür sah sie nur in der Gründung eines Vereins. Ihre Motivation: »Den Menschen zu zeigen, dass sie etwas wert sind. Oft sind sie selbst Opfer von Missbrauch oder Gewalt gewesen.« So wie Lisa. Der Staat allein könne diese Hilfe nicht leisten. Ohnehin dürfe man nicht alle ­Verantwortung an öffentliche Stellen abgeben, sagt Ingrid Trischler. Für ihren Mann Norbert sind »christliche Nächstenliebe und ehrenamtliche Arbeit wichtig in unserer Gesellschaft«.

Gehörige Portion Idealismus gefragt

Seit 18 Jahren gibt es die WG in Altenburg, dazwischen existierten noch andere Wohngemeinschaften. »Aber es ist schwierig, das alles ehrenamtlich zu stemmen«, sagt Ingrid Trischler. Die beiden schaffen es irgendwie, obwohl sie sich gerade eine Praxis aufbaut und er Vollzeit in der JVA Stadelheim als Seelsorger tätig ist. »Man muss eine gehörige Portion Idealismus mitbringen«, sagt der Pastoralreferent. Zwar würden die Bewohner nicht ständig betreut, weil sie lernen sollen, ihr Leben selbst in den Griff zu bekommen. Aber es treten doch manchmal Spannungen und Probleme auf. »Im Moment bestreikt einer unser regelmäßiges Abendessen um 19 Uhr. Mal sehen, wie wir das lösen«, sagt die Hausherrin lächelnd. Das Abendessen ist eine »Pflichtveranstaltung«, ansonsten hat jeder seinen individuellen Tagesablauf. Einige arbeiten, andere bemühen sich, Job und Wohnung zu finden, daneben wird Haus- und Gartenarbeit verrichtet und abwechselnd gekocht.

Jeden Dienstag treffen sich alle, um den wöchentlichen Dienstplan zu erstellen und Probleme zu besprechen. »Jeder bringt sich mit seinen Fähigkeiten ein, wir leiten nur an«, erklärt Ingrid Trischler. Seit etwa zehn Jahren besucht das Paar auch zusammen mit Bewohnern Schulklassen und Firmgruppen, um bei Jugendlichen dem Abrutsch in die Kriminalität vorzubeugen. »Wenn zum Beispiel Lisa ihre Geschichte erzählt, prägt sich das mehr in den Köpfen ein als theoretisches Gerede von Nichtbetroffenen«, so die Sozialpädagogin.

Ohne Tabor: tot oder in der Klapse

Dass sie mal so etwas machen würde, hätte Lisa sich nie träumen lassen. »Ich war immer sehr verschlossen«, erzählt sie. Doch es hat sich vieles in ihrem Leben verändert. Sie ist guter Dinge, nicht zuletzt, weil sie seit einem Jahr Oma ist und damit eine neue Aufgabe hat. »Aber ohne Tabor wäre ich schon tot oder in der Klapsmühle«, ist sie sich sicher. Tabor hieß der Berg, den einst Jesus mit seinen Jüngern Petrus, Johannes und Jakobus bestieg. Dort erblickten die Jünger ihren Herrn in gleißendes Licht gehüllt und hörten die Stimme Gottes. Die Geschichte aus dem Lukasevangelium ist das Leitbild von Tabor: Wer auf dem Berg ankommen will, um das Licht zu sehen, muss den Aufstieg wagen. Mehr zu dem Verein gibt es unter www.tabor-ev.de.

Sybille Föll

Artikel vom 16.07.2013
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