Albrecht Ackerland im Münchner SamstagsBlatt über das Projekt „Zeitkapsel"

München · „Da schau her!“, zum Thema: München in 100 Jahren

München · Wir leben in einer schönen Zeit, finde ich. Es gibt jede Menge zum Granteln und zum Aufregen, ich kann mich herrlich darüber echauffieren, dass sich eigentlich kein Mensch richtig aufregt über Mietirrsinn, Stadtausverkauf, Übernahme ganzer Viertel, das An-den-Rand-Drängen Schwächerer in der Stadt, darüber, dass die Polizei manchmal den Anschein macht, sie mache was sie wolle.

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Oder sich bayerische Landespolitiker reihenweise bereichert haben und das auch noch lustig finden. Was wäre der Münchner ohne Granteln - nur leider bleibt es meistens beim Granteln. Für meinen Geschmack wäre da manchmal schon noch mehr drin, aus der schönen Grantelei ließe sich doch wunderbare Energie ziehen, dass wirklich auch mal was weitergeht. Das Schöne daran: Ich kann mich aufregen. Zum Glück hab ich eines nicht verloren: Die wirklich schönen Seiten nicht zu übersehen. Ich mag unser München. Ich mag es, so wie es ist. Vielleicht liegt das im Moment auch daran, dass in diesen Tagen der Wiesnaufbau beginnt und ich mich jetzt schon freue auf die wunderbare Oide Wiesn, die es diesmal wieder geben wird.

Trotzdem würde ich mich sofort in eine Zeitkapsel schlafen legen. Quasi als Dienst am Menschen. Zum einen wäre ich von der Straße, was der Jetztzeit eine schöne Zeit bescheren würde. Ein Grantler weniger. Und ich könnte dann denen, die mich in 150 Jahren wieder ausgraben, erzählen, was wirklich so los war in der Zeit, als ganze Straßenzüge mit wunderschönen Altbauten durch den Vollwärmeschutz ruiniert wurden, weil die aufgepappte Plastikisolierung keine Luft mehr an die Wände lässt und bald der Schimmel ein Fest feiert, da sind selbst 200 Jahre Wiesn nichts dagegen. Ich könnte erzählen, dass es Zeiten gab, da hat kaum mehr einer Münchnerisch gesprochen, dass es tatsächlich einmal so war, dass die Menschen in den paar Sommerwochen nicht bis spät in die Nacht draußen sein durften, weil sich immer irgendein verbiesterter Gschaftler findet, dem jeder Schoaß zu laut ist. Dass es Zeiten gab, wo die Münchner Löwen im Stadion der Bayern spielen mussten und dort die Fans bisweilen gezwungen waren, alkoholfreies Bier zu trinken.

Denn wenn sie mich in 150 Jahren ausgraben, dann setze ich mich erst einmal an einem wunderbar wohlig-warmen Maiabend bis um zwei Uhr früh in den Biergarten, alle reden ein Münchnerisch, wie ich es mir gar nicht vorstellen konnte, und sie erzählen von ihrem Grundgehalt, das jeder bekommt und damit seinen Quadratmeterpreis von fünf Euro schon mal locker zahlen kann. Ich kaufe mir noch eine Maß und sie kostet 4 Euro, und danach gehe ich durch die Straßen, und an mir fährt keine einzige Streife vorbei, denn es gibt nur noch ganze fünf Streifenfahrzeuge in München, schließlich hat seit Jahrzehnten keiner mehr irgendjemand anderes etwas angetan. Schau ma moi.

Artikel vom 11.07.2013
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