Blindenführungen in der Frauenkirche – auch für Sehende

Altstadt · Den Dom abtasten

Gertraud Möhner (l.) und Ruth Lobenhofer vor der Frauenkirche. Die Dunkelführungen im Dom sind für Blinde und Sehende spannend. Foto: scy

Gertraud Möhner (l.) und Ruth Lobenhofer vor der Frauenkirche. Die Dunkelführungen im Dom sind für Blinde und Sehende spannend. Foto: scy

Altstadt · Den Münchner Dom gibt es auch als hölzernes Miniaturmodell. Es ist hübsch anzuschauen. Doch warum nicht mal eine andere Erfahrung machen und es rundherum mit den Fingern abtasten? »Leider nutzen die meisten Menschen ihren Tastsinn viel zu wenig. Er wird im Laufe des Lebens immer mehr vom Sehen abgelöst«, sagt Ruth Lobenhofer. Sie bietet für blinde und sehende Menschen gemeinsame Führungen an, unter anderem auch in der Frauenkirche.

Damit ermöglicht sie nicht nur den blinden Teilnehmern, sondern auch den sehenden neue Erfahrungen. »In gemischten Gruppen lernen Sehende von Blinden, wie gut man sich ohne Sehen auch auf seine anderen Sinne verlassen kann und um wie viel intensiver Details dadurch erlebt werden«, weiß auch Monika Kramer vom Münchner Bildungswerk, das die Kirchenführung der besonderen Art in sein Programm aufgenommen hat. Gertraud Möhner, von Geburt an blind, gehörte im Oktober 2011 zu den Ersten, die bei der 60-minütigen Führung »Den Dom be-greifen« teilgenommen hat. »Ich habe den Dom auf diese Weise viel besser kennengelernt«, erzählt die 73-Jährige. Dass sie dabei auch die Gelegenheit hatte, das Relief von Conrad Paumann abzutasten, sei ihr eine »besondere Freude« gewesen. Paumann war im 15. Jahrhundert der berühmteste Musiker Deutschlands und wurde »Meister ob allen Meistern« genannt. Auch er war von Geburt an blind. Und in seinen letzten Lebensjahren Organist in der Frauenkirche. Das Relief Paumanns befindet sich am westlichen Ende des südlichen Seitenschiffes, in einem sonst abgesperrten Bereich, wo auch das Kenotaph für den im Jahre 1347 gestorbenen Kaiser Ludwig den Bayern zu finden ist. »Es ist also gar nicht selbstverständlich, näher an das Relief heranzukommen«, so Möhner.

Für die sehenden Teilnehmer stellt Ruth Lobenhofer Schlafbrillen zur Verfügung, damit diese während der Führung erleben, wie es sich anfühlt, blind zu sein und welche anderen Erfahrungen sich so machen lassen. »Viele sind erstaunt, weil sie die Objekte plötzlich viel intensiver wahrnehmen«, berichtet Lobenhofer. »Guckt man sich eine Sache an, so glaubt man oft irrtümlich, alles schon erfasst zu haben, doch wie sich herausstellt, ist dem nicht so, sobald man vom Tastsinn Gebrauch macht.« Auch Lobenhofer hat selbst schon Erstaunliches entdecken können. Sie hat von der Art, wie Blinde die Welt wahrnehmen, viel dazugelernt. »Sie sind viel genauer und nehmen sich mehr Zeit.«

Das erlebt man auch, wenn man Gertraud Möhner betrachtet, während sie das hölzerne Miniaturmodell abtastet, langsam und sorgfältig. Wer macht sich schon die Mühe, alle Fenster, die sich direkt unter den Welschen Hauben befinden, zu erfassen? Getraud Möhner zählt sie genau ab, es sind 16 auf jeder Seite. Auch sonst erfühlt sie die Dinge genau, wenn sie Kirchen besucht, betastet Weihwasserkessel, Taufbecken und Kerzenleuchter oder auch Kirchenbänke. »Viele haben aufwendige Schnitzereien. Da denke ich mir dann, wie viel Mühe sich die Menschen damals gemacht haben, um Dinge herzustellen. Und dass ich das schön finde«, sagt die Seniorin. Die nächsten »Dunkelführungen für Blinde und Sehende mit Augenbinde« finden am Mittwoch, 17. Juli, und am Mittwoch, 11. September statt, jeweils um 14 Uhr. Treffpunkt ist im Eingangsbereich unter der Orgelempore. Die Teilnahme ist ohne Voranmeldung möglich und kostet pro Person sechs Euro. Im Dom werden vom Münchner Bildungswerk außerdem auch weitere Besichtigungen angeboten, jeweils am Sonntag, Dienstag und Donnerstag um 14 Uhr. Individuelle Gruppen- und Spezialführungen können jederzeit vereinbart werden. Weitere Informationen gibt es in der Broschüre »Führungen durch Stadt und Kirchen 2013«, die kostenlos beim Münchner Bildungswerk, Dachauer Str. 5/II, erhältlich ist oder auf www.muenchner-bildungswerk.de heruntergeladen werden kann.

Sylvie-Sophie Schindler

Artikel vom 09.07.2013
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