Anlaufstelle »diversity« für homosexuelle Jugendliche

Altstadt-Lehel · »Sonderbar«? Nein!

Sie weiß aus eigener Erfahrung, wie sich ein Coming-Out anfühlt: Christina Nefzger an der Eingangstür des Jugendzentrums »diversity«. Foto: scy

Sie weiß aus eigener Erfahrung, wie sich ein Coming-Out anfühlt: Christina Nefzger an der Eingangstür des Jugendzentrums »diversity«. Foto: scy

Altstadt-Lehel · Warum ausgerechnet ich? Warum habe ich dieses Pech? Das fragte sich Christina Nefzger, als sie entdeckte, dass sie sich, anders als ihre Freundinnen, in Jungs einfach nicht verlieben konnte. Damals war sie 16 Jahre alt und lebte in Freising. »Ich fühlte mich zu Frauen hingezogen, kannte aber niemanden, dem es genauso ging«, erzählt die heute 22-Jährige. Für sie waren Lesben und Schwule Exoten.

»Man sieht sie im Film und im Fernsehen, aber sie leben nicht eben mal um die Ecke, so dachte ich.« Erst als sie mit der S-Bahn nach München fuhr, zum Jugendzent-rum »diversity« in der Blumenstraße, auf das sie im Internet gestoßen war, machte sie erstmals die Erfahrung, nicht alleine und nicht »irgendwie sonderbar« zu sein. »Es hat mich sehr erleichtert, dass es noch andere Mädchen gibt, denen es so geht wie mir«, erzählt Nefzger, die inzwischen zum Vorstand von »diversity« gehört.

Das Jugendzentrum ist ein Ort, wo sich lesbische und schwule Jugendliche aus München und dem Umland treffen, um miteinander Zeit zu verbringen. Manche kämen gut vier bis fünf Wochen vorbei und das sei es dann gewesen, andere würden einen festen Freundeskreis aufbauen und hier ein zweites Zuhause finden, erzählt Nefzger. Es werden unter anderem Filme gezeigt, Sport getrieben, Gesellschaftsspiele gespielt, gemeinsam gekocht oder man sitzt einfach zusammen und tauscht sich im Gespräch aus. Dabei besteht laut Nefzger reichlich Gelegenheit, auch über »schwierige« Themen zu diskutieren und »peinliche« Fragen zu stellen. Die Angebote werden gut angenommen. Pro Jahr kommen rund 3000 Besucher, das sind monatlich etwa 250. Auch bi- und heterosexuelle Jugendliche sind darunter. Ebenso Mädchen und Jungen, die sich »zwischen den Geschlechtern« empfinden und sich als Transgender definieren. »Insbesondere für diese Gruppe gibt es deutschlandweit nur wenige Anlaufstellen, dabei ist die innere Not der Betroffenen groß«, berichtet Nefzger. Ohnehin komme niemand hier sorgenlos an. Die meisten Jugendlichen hätten erstmal große Ängste, sich im Alltag zu ihrer Sexualität zu bekennen. Die typischen Fragen, mit denen sich alle herumschlagen sind: Wie werden meine Eltern reagieren? Was werden die Klassenkameraden sagen? »Es tröstet, zu wissen, dass es anderen genauso ergeht, man kann sich gegenseitig stärken und unterstützen«, so Nefzger.

»diversity« ist unter anderem Mitglied im Kreisjugendring München Stadt und anerkannter Träger der freien Jugendhilfe. Damit diese Anlaufstelle, die im Oktober 1993 an den Start ging und seit 2007 in den jetzigen Vereinsräumen untergebracht ist, weiter bestehen bleiben kann, braucht es entsprechende finanzielle Unterstützung. Rückenstärkung für ihre Arbeit bekommen die 25 Ehrenamtlichen beispielsweise von Lydia Dietrich und Thomas Niederbühl, beide von der Fraktion »Die Grünen/rosa liste« im Münchner Stadtrat. Im Juni haben sie in einem Antrag gefordert, der Stadtrat möge die lesbisch-schwule-transgender Jugendarbeit stärken und das Jugendzentrum »diversity« entsprechend finanziell ausstatten. »Diese Arbeit ist für die Jugendlichen von großer Bedeutung, denn gerade Jugendliche benötigen für ihr Coming-Out und im Anschluss daran Unterstützung«, heißt es im Antrag. »diversity« sei nicht nur Treffpunkt sondern biete auch Beratung, Information und Aufklärung. Und es sind immer mehr Jüngere, die diese Hilfe brauchen. Waren die Erstbesucher noch vor gut drei Jahren um die 17 Jahre alt, so seien sie inzwischen oft 13 Jahre alt, wie Nefzger berichtet. »Wie das kommt, können wir uns selbst nicht erklären«, so die Studentin. Die Probleme seien jedoch nicht anders als sie es immer schon waren. Fast alle Eltern hätten ein festes Schema im Kopf und stellen sich vor, dass ihre Kinder heiraten und selbst Kinder kriegen, so Nefzger. Würden sich die Kinder dann als homosexuell outen, dann hätten Mütter und Väter vor allem Panik, dass ihr Nachwuchs diskriminiert werden könnte. »Man muss Eltern genug Zeit lassen, damit sie sich an den Gedanken gewöhnen können.« Nefzger selbst hatte Glück, ihre Mutter hatte von Anfang an ein offenes Ohr für ihre Tochter.

Doch weil nicht alle Betroffenen wissen, dass es »diversity« gibt und weil auch eine gewisse Hemmschwelle da ist, um den ersten Schritt zum Coming-Out zu tun, kommen die Ehrenamtlichen auch an die Schulen. Und auch, um gängige Klischees und Vorurteile abzubauen. Denn laut Nefzger ist das Thema im Lehrplan »im Grunde nicht vorgesehen, da wird Homosexualität mal eben so nebenbei abgehandelt, meist in Verbindung mit Aids, und das ist auch schon alles«. Den »diversity«-Mitarbeitern geht es darum, tiefer in die Lebenswirklichkeit von lesbischen und schwulen Jugendlichen einzusteigen und ein positives, realitätsnahes Bild zu vermitteln. Lehrer können sich gerne jederzeit bei »diversity« melden. »Wir gehen an die Schulen, an die wir eingeladen werden«, so Nefzger, die hofft, dass Homosexualität den »Exotenstatus« irgendwann verliert. »Im Grunde leben wir auch kein anderes Leben als es Heterosexuelle tun.« Infos über »diversity«: Tel. 55 26 69 86, www.diversity-muenchen.de.

Sylvie-Sophie Schindler

Artikel vom 02.07.2013
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