NS-Dokumentationszentrum sucht private Fotos von Bürgern

München · Brauner Terror im Alltagsleben

Elisabeth Angermair vom Stadtarchiv (mit Handschuhen) und Anke Hoffsten vom NS-Dokumentationszentrum. Foto: scy

Elisabeth Angermair vom Stadtarchiv (mit Handschuhen) und Anke Hoffsten vom NS-Dokumentationszentrum. Foto: scy

München · In tausenden Münchner Kellern, auf tausenden Münchner Dachböden lagern sie: alte Familienfotos. Oft schöne Erinnerungen an vergangene Tage. Doch nicht immer zeigen die Bilder Oma und Enkel, die sich lächelnd umarmen oder das junge Hochzeitsglück in Schwarz-Weiß. Die brutale Zeit des Zweiten Weltkrieges hat in Dokumenten von damals ebenso ihre Spuren hinterlassen.

Im Laufe der Jahrzehnte tauchten vereinzelt Fotografien auf, die schonungslos das zeigten, worüber man damals schwieg: die Verfolgung von Juden und anderer Opfergruppen. Im Jahr 2011 beispielsweise wurden in einer Ausstellung Ausschnitte aus dem Barackenlager für Juden im Münchner Stadtteil Milbertshofen gezeigt. „Es sind immer überraschende Einzelfunde, wenn so etwas auftaucht, fast eine Sensation“, sagt Elisabeth Angermair vom Münchner Stadtarchiv. „Doch ich bin überzeugt, es gibt noch mehr solcher Bilddokumente.“ Und genau deshalb startet das NS-Dokumentationszentrum München, das 2014 in der Brienner Straße 34 eröffnet wird, diesen Aufruf, den Mitarbeiterin Anke Hoffsten so formuliert: „Wir suchen Fotografien aus München und dem Umland, die die Verfolgung der Juden, der Sinti und Roma sowie anderer Opfergruppen oder Regimegegner während der Herrschaft des Nationalsozialismus dokumentieren.“ Geeignetes Bildmaterial werde in der künftigen Dauerausstellung des NS-Dokumentationszentrums gezeigt. Vielmehr: Die Originale werden sorgsam im Stadtarchiv aufbewahrt, sofern der Besitzer diese überlässt. In der Ausstellung präsentiert werden dann die Fotokopien. „Die Münchner sollen einfach mal alle Fotos durchschauen, vielleicht entdecken sie ja genau das, was wir suchen“, so Hoffsten weiter. Auch Fotos, die Alltagssituationen abbilden, etwa Menschen mit Judenstern am Mantel, die durch die Straßen gehen, seien geeignet. „Wer sich nicht sicher ist, ob wir ein Foto brauchen können oder nicht, sollte im Zweifel lieber bei uns nachfragen.“

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Von vielen Zeitzeugen ist der Satz bekannt: „Ich habe nichts gewusst“. Ein Satz, den nachfolgende Generationen mehr und mehr hinterfragen. „Ich kann es mir einfach nicht vorstellen, dass Menschen, die in unserer Stadt gelebt haben, nichts mitbekommen haben wollen“, sagt Angermair. Denn Juden und andere Verfolgte seien nicht ausschließlich in geheimen Nacht- und Nebelaktionen abgeführt oder brutal behandelt wurden. „Das geschah genauso am helllichten Tag. Genau das beispielsweise könnten entsprechende Fotos beweisen, von denen ja bereits einige wenige vorliegen.“ Die Diskriminierung, Entrechtung und Verfolgung der Juden sei, so Angermair weiter, im öffentlichen Leben der Stadt deutlich sichtbar gewesen. „Menschen jüdischen Glaubens waren dem Terror des NS-Regimes auf vielfache Weise ausgesetzt: Ihre Häuser und Geschäfte wurden angegriffen, sie mussten an ihrer Kleidung einen „Judenstern” tragen und durften zuletzt nur in eigens eingerichteten „Judenhäusern” und „Judenlagern”, wie beispielsweise in Milbertshofen, leben“, so Angermair. Auch wurde ihr Besitz beschlagnahmt und öffentlich versteigert. Und manch ein Arbeiter habe sicher im Betrieb mit Zwangsarbeitern zu tun gehabt. Oder in der Nachbarschaft, aus der Juden plötzlich wegziehen mussten. Und das sind nur einige von vielen Beispielen aus dem Alltag.

Immer noch suchen wir eine Antwort auf die Frage „Wie konnte es dazu kommen?“. Auch das NS-Dokumentationszentrum, das derzeit in der Brienner Straße 34 auf dem Gelände des im Krieg zerstörten „Braunen Hauses“, der ehemaligen Parteizentrale der NSDAP, entsteht, begibt sich auf diese Spurensuche. Auf etwa 950 Quadratmetern Ausstellungsfläche. „Wir bieten dabei zwei Vertiefungsebenen an, eine mit einem Durchgang von gut eineinhalb und eine andere mit einem Durchgang von etwa drei Stunden“, erklärt Hoffsten. Geplant seien rund 30 Schwerpunktthemen, darunter Themen wie „Die rechtsextreme Ideologie“, „Verweigerung, Opposition, Widerstand“, „Erhebung zur Hauptstadt der Bewegung“, „Alltag im totalen Krieg“ und „Die verzögerte und verschleppte Erinnerung im öffentlichen Raum“. Die Ausstellung werde im Frühjahr 2014, nach der Übernahme des Gebäudes, getestet und bei Bedarf weiter optimiert. „Damit sind wir auch heute schon vollauf beschäftigt, unser Konzept wird nach und nach verfeinert“, berichtet Hoffsten. Das Ergebnis soll der Öffentlichkeit dann im Herbst 2014, also genau gemäß offiziellem Zeitplan, präsentiert werden. Und wer weiß, vielleicht ist dann auch das eine oder andere Bilddokument von SamstagsBlatt-Lesern dabei. Machen Sie mit bei unserer Umfrage unter www.samstagsblatt.de: Werden Sie das NS-Dokumentationszentrum München besuchen? Von Sylvie-Sophie Schindler

Sie haben Fotos? Wer Fotografien aus München und dem Münchner Umland besitzt, die diese Vorgänge zeigen oder auf andere Formen nationalsozialistischer Verfolgung hinweisen, wird gebeten, die Aufnahmen beziehungsweise Fotokopien davon an das Kulturreferat der Landeshauptstadt München, NS-Dokumentationszentrum, Burgstraße 4, 80331 München zu senden. Fragen beantwortet das Büro der Gründungsdirektion unter Telefon 2 33 2 61 42 oder E-Mail info@ns-dokumentationszentrum-muenchen.de oder das Stadtarchiv unter 2 33 3 08 19 oder E-Mail elisabeth.angermair@muenchen.de .

Artikel vom 29.05.2013
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