Auch Weihnachten am Apparat: Die Münchner Telefonseelsorge

München · Sorgen haben keine Feiertage

München · Weihnachten ist das Fest der Familie schlechthin. Und wer keine hat oder wo es Konflikte gibt, für den können die Tage um Heiligabend besonders bedrückend sein.

Dann, wenn die Geschäfte geschlossen sind, die ganze Hektik und Betriebsamkeit wegfällt und tatsächlich Stille auf den Straßen einkehrt und alle scheinbar glücklich vereint unterm Christbaum sitzen. Wobei bekanntlich in diesem Klima der verordneten Harmonie wiederum Probleme besonders hochkochen können.
Doch es gibt jemanden, der einem auch an den Feiertagen zuhört, auch mitten in der Nacht, wenn die Sorgen nicht warten können: Die Mitarbeiter der Telefonseelsorge München. „An Tagen wie Weihnachten spitzt sich alles zu“, sagt Angelika Zimmermann, die seit fünf Jahren hauptberuflich in der Telefonseelsorge tätig ist.

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Einsamkeit ist das große Thema, das viele besonders an den Feiertagen beschäftigt: „Das Gefühl, dass man gern Familie haben möchte und sie nicht hat, etwa die Sehnsucht nach der Schwester oder dem Bruder, zu denen man schon länger keinen Kontakt mehr hat, aber Kontakt haben sollte – das ist für viele schwer auszuhalten“, erzählt die 60-jährige gelernte Sozialarbeiterin, die zu dem Team von zehn hauptamtlichen Theologen und Sozialpädagogen und 37 ehrenamtlichen Mitarbeitern der katholischen Telefonseelsorge München gehört, die heuer vor 50 Jahren gegründet wurde.
1968 folgte die Evangelische Kirche München mit einer eigenen Telefonseelsorge. Auch wenn es zwei Rufnummern gibt (beide kostenfrei), 08 00/11 10-2 22 (katholisch) und 08 00/11 10-1 11 (evangelisch), richtet sich das Angebot an alle Menschen, die Hilfe, Unterstützung und Orientierung suchen, unabhängig von ihrer religiösen Ausrichtung und Weltanschauung – und zwar ohne Voranmeldung, 365 Tage im Jahr, jede Nacht, an jedem Wochenende, auch an allen Feiertagen wie Weihnachten.

In dieser besonderen, ursprünglich religiös geprägten Zeit bewege viele Anrufer auch eine innere Sehnsucht nach dem Glauben, erzählt Zimmermann, „dahinter steckt oft das schmerzliche Gefühl des Verlusts von Heimat und Kindheit und die Erinnerung an verstorbene Menschen“. Sie habe mit einem Anrufer mal Weihnachtslieder gesungen am Telefon, erinnert sich die Telefonseelsorgerin, die dieses Jahr an den Weihnachtsfeiertagen Dienst haben wird. „Ich glaube, es war „Es ist ein Ros entsprungen“. Jeder Anruf und Anrufer sei halt anders. „Da gibt es Menschen, da sprudelt’s nur so raus, andere sind schweigsam“, erzählt die Sozialarbeiterin. „Manche wollen wissen, wo man an den Weihnachtsfeiertagen hingehen kann“, um einsame Stunden zu überbrücken. „Andere Gespräche können 40 bis 50 Minuten dauern“. Sie habe aber das Gefühl, dass so ein Gespräch eine große Hilfe sein könne in solchen Krisenmomenten. Weil sich jemand Zeit nimmt und konzentriert zuhört. „Wir sind ein Stück Klagemauer.“

Für die etwa 100 Anrufe pro Tag sind die Mitarbeiter zwischen 27 und 85 Jahren speziell geschult „in Gesprächsführung und zu den Problemfeldern, die uns am Telefon begegnen“. Die Ausbildung für die Ehrenamtlichen, die gerade zwölf Menschen absolvieren, dauert ein Jahr. „Wir sind ein Notruftelefon, wir versuchen, Entlastung anzubieten und nennen passende Hilfsangebote, falls gewünscht, aber es gibt Schicksale, für die kann man keine schnelle Lösung parat haben.“ Nach manch einem Gespräch habe sie das dringende Bedürfnis, mehr zu tun, „aber wir sichern ja Anonymität und strenge Vertraulichkeit zu“, sagt die Telefonseelsorgerin. „Wenn jedoch ein Mensch ankündigt, seine Suizidgedanken jetzt umsetzen zu wollen und uns zugleich mitteilt, wo er wohnt, ist das für uns ein Hilferuf und Aufruf zu handeln.“

Während ältere Anrufer oft Einsamkeit und die Familiengeschichte plagen, klagen die Jüngeren immer mehr über zunehmenden Leistungsdruck und das Gefühl, nicht fit genug zu sein für die Anforderungen des Berufslebens, so der persönliche Eindruck der langjährigen Mitarbeiterin der Telefonseelsorge. „Ich stelle dann Fragen wie ,Wem vertrauen Sie, mit wem könnten Sie darüber reden?’ und versuche, den Tunnelblick zu öffnen, der die Panik noch verstärkt.“
Mit 35.000 Anrufen im Jahr, so die Statistik für 2011, scheint der Bedarf auch im 50. Jahr der katholischen Telefonseelsorge München sehr hoch. „Weil man sich hier Dinge anzusprechen traut, die man etwa seinen Arzt von Angesicht zu Angesicht nicht fragen möchte“, vermutet die Telefonseelsorgerin. Das Internet und die neue Möglichkeit der Chat-Beratung (unter www.telefonseelsorge-muenchen-kath.de) sieht die 60-Jährige aber nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung: „Es tut einfach gut, eine menschliche Stimme zu hören.“ Wie stehen Sie den Feiertagen gegenüber? Sagen Sie uns Ihre Meinung dazu und stimmen Sie ab unter www.samstagsblatt.de.
Von Michaela Schmid

Die Gründung der Katholischen Telefonseelsorge München 1962 geht zurück auf eine Initiative von Oskar Jandl, damaliger Caritas-Direktor, und Emil Radnitzky, zu der Zeit Mitarbeiter im Arbeitsministerium, und wurde auch vom damaligen Münchner Weihbischof Johannes Neuhäusler mit vorangetrieben. Seitdem hat sich die Arbeit der Einrichtung der Erzdiözese München und Freising stark verändert. Wurde sie anfangs von einem Priester, zwei Sekretärinnen und zwei pastoralen Mitarbeiterinnen betrieben, arbeiten dort heute zehn hauptamtliche Theologen und Sozialpädagogen und 37 ehrenamtliche Mitarbeiter. Auch die Anzahl der Hilfesuchenden hat sich massiv erhöht: von zunächst 22 Anrufen auf rund 100 Anrufe pro Tag und Nacht aus Stadt und Region München.

Artikel vom 20.12.2012
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