Albrecht Ackerland im Münchner SamstagsBlatt: Kein wohliges Leid

München · „Da schau her!“ zum Thema der Woche: Stimmung gegen Griechen

München · Schadenfreude gehört in die Münchner Boazn wie die zu einer Spirituose destillierte Williams-Christ-Birne, kurz „Willi“. Das heißt: Der Willi hat tatsächlich schon seit Jahrzehnten einen wackeren Gegner.

Er schmeckt nach Anis, wird in Kontakt mit Wasser milchig, und behauptet wie der gute, alte Willi von sich, zur Verdauung des Genießenden einiges an Hilfe zu leisten. Das ist natürlich großer Unfug, weil in einer Münchner Boazn ist noch nie auch nur ein einziger Schnaps für oder gegen die Verdauung getrunken worden.

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Wenn in einer Boazn ein Schnaps auf den Tisch kommt, dann wollen wenige den großen Geschmack, und viele wollen das beschwingte Gefühl, das sich wenige Minuten nach dem Genuss einstellt. Alle jedenfalls dürfen sich auf einen Schädel am nächsten Tag freuen, aber das tut hier nichts zur Sache. Denn bei einem Kater ist Schadenfreude nicht angebracht, und um genau die soll es hier ja gehen. Ein Münchner Kopfschmerz bedarf Mitleid, könnte doch immer auch dieser furchtbare Föhn beteiligt sein, und nicht das letzte Bier am Vorabend, das womöglich fehlvergoren war. Von Mitleid sollen diese Zeilen aber nicht handeln, denn von Mitleid kann man sich nichts kaufen, weder eine Flasche Ouzo, einen Willi mit eingelegter Birne und Plastikspießchen nicht und auch keine Maß Bier.

Von der Schadenfreude kann man sich zwar auch nichts kaufen, dafür hat von ihr jeder was, anders als beim Mitleid, wo der Spender ja nun wirklich nichts hat, außer vielleicht so ein wohlig-leidiges Gefühl, wie es der Wiener, mitunter freilich aber auch der Münchner kennt. Bei der Schadenfreude nun bleibt aber wirklich kein Auge trocken. Wer sie abbekommt, hat die Wahl zwischen mitlachen und furchtbar aufregen. Wer sich über einen Schaden freut, der hat die Freude, und womöglich neue Freunde, weil ein guter Witz eine Verbindung schafft.

Im idealen Fall läuft das so: Der Dimitri kommt seit Jahren ins Stüberl, ist mehr Münchner als mancher Sepp hier drin und hat nun schon seit einiger Zeit die Lacher auf seiner Seite – oder gegen ihn, wie man’s nimmt. Thema: Griechenland. Ob er hier gerade das Staatsvermögen versäuft? Ob er eventuell ein Milliarderl herleihen könnte, nur für ein paar Jahrzehnte? Ob er sich schon auf die Pension freut (Dimitri ist keine Vierzig)? So was. So harmlos, so nervig, so lustig.

Dimitri nimmt’s je nach Tagesform lustig oder regt sich auf. Und am Ende zahlt irgendwer einen Schnaps, mal Ouzo, mal Willi. Denn im Grunde ist allen klar, dass die Menschen aus und in Griechenland vielleicht beteiligt sind an der Talfahrt, aber nicht die ganze Schuld tragen. So wird die Schadenfreude in der Boazn auch schnell zum Mitleid, eine mitfühlende Angelegenheit, die es auch braucht. Denn was es da einem beinahe täglich aus dieser großen deutschen Zeitung so ekelhaft entgegenschreit gegen die Griechen, das kann einem wirklich leidtun. Ein wohliges Leid ist das nicht.

Artikel vom 16.11.2012
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